Ominöse Ermittlungen Warum das Mordgeständnis bei der Wahrsagerin nicht zählt

phi

20.4.2022

Der Turm, der Tod und Tarot: Als Wahrsagerin hat eine verdeckte Ermittlerin einem Verdächtigen ein Geständnis abgerungen. So geht es nicht, befand nun die Justiz.
Der Turm, der Tod und Tarot: Als Wahrsagerin hat eine verdeckte Ermittlerin einem Verdächtigen ein Geständnis abgerungen. So geht es nicht, befand nun die Justiz.
Bild: Keystone

Nach der Ermordung einer Frau in Zürich im Jahr 2009 entlocken verdeckte Ermittler ihrem Mann ein Geständnis, indem sie seinen Aberglauben ausnutzen. Zu Unrecht, urteilt nun das Bundesgericht.

phi

Zürich, 19. Oktober 2009: Im Stadtteil Oerlikon fallen Schüssen, als die 41-jährige Nasrin R. vor der Haustür gerade ihr Auto aufschliessen will. Die «schöne Schuhverkäuferin», wie «20 Minuten» sie beschreibt, versucht zu fliehen, wird jedoch tödlich getroffen. 

Noch am selben Tag wird ihr Ehemann verhaftet – und verbringt sieben Monate in Untersuchungshaft. Der 53-Jährige ist tatverdächtig, weil seine Frau zwei Liebhaber hatte und offenbar mit dem Gedanken spielte, mit ihren Söhnen in die USA zu fliehen. Die fünf und zwölf Jahre alten der insgesamt vier Kinder des Opfers kommen in ein Heim.

Im Mai 2010 muss die Polizei den Bangladescher jedoch wieder entlassen, weil sie keine Beweise hat. «Der Tatverdacht gegen den Ehemann besteht weiterhin», sagt die leitende Staatsanwältin Françoise Stadelmann damals. «Die Ermittlungen laufen weiter.» Sowohl die Wohnung als auch das Telefon von Humayun R. werden angezapft: Der Verdächtige redet zwar schlecht über die Verstorbene, doch eine Art Geständnis gibt es nicht.

Was die Polizei laut SRF aber herausbekommt, ist, dass der Doppelbürger sehr abergläubisch ist – das gilt es zu nutzen. Ein Ermittler gewinnt das Vertrauen des Verdächtigen und vermittelt ihn an eine angebliche Wahrsagerin, die jedoch Polizistin ist. Sie erklärt Humayun R., der Geist seiner toten Frau sei sehr wütend, weil er die Tat nicht gestehe.

Das tut der Mann dann doch: Der verdeckten Ermittlerin und einem Freund gegenüber gibt er den Mord zu. Die Handschellen klicken, im August 2018 kommt es schliesslich zum Prozess.

«Von Papas Unschuld überzeugt»

Der Ehemann sei von «Eifersucht zerfressen» gewesen und habe die 41-Jährige mit fünf Schüssen niedergestreckt, erklärt die Staatsanwältin. Das Gericht folgt ihrer Argumentation, obwohl es weder Zeugen noch Beweise gibt.

«Wir können das Urteil kaum glauben und sind von Papas Unschuld überzeugt», sagen anschliessend drei der vier Söhne dem «Blick». Zwei von ihnen stammen aus der ersten Ehe des Opfers. Den Jüngsten trifft der Fall am härtesten: Er «verlor seine Mutter, der Vater verschwand für acht Monate in Untersuchungshaft. Er konnte nicht mehr sprechen, zog sich in sich selbst zurück.»

Das Bundesgericht in Lausanne hat eine Revision der Staatsanwaltschaft Zürich abgewiesen und sich hinter den Verdächtigen gestellt.
Das Bundesgericht in Lausanne hat eine Revision der Staatsanwaltschaft Zürich abgewiesen und sich hinter den Verdächtigen gestellt.
Symbolbild: KEYSTONE

Doch nicht nur die Söhne sehen in ihrem Vater einen «Sündenbock», auch die Justiz befasst sich weiter mit dem Mordfall. Im September 2020 widmet sich das Zürcher Obergericht der Sache – und spricht den «gebrechlich wirkenden» Angeklagten frei, berichtet der «Blick». Der Präsident des Obergerichts, Rolf Naef, geht mit den Ermittlern hart ins Gericht: «Die Verwertbarkeit der verdeckten Ermittlung ist rechtsstaatlich zweifelhaft.»

«Eines Rechtsstaates unwürdig»

Und weiter findet Naef: «Das Mass der Einwirkung wurde bei Weitem überschritten. Das ist eines Rechtsstaates unwürdig.» In seinen 30 Dienstjahren habe er noch nie so eine dünne Indizienkette gesehen.

Elf Jahre nach dem Tod der 41-Jährigen und nach acht Jahren Ermittlungen muss die Polizei wieder vor vorn anfangen. Doch Staatsanwältin Françoise Stadelmann zieht es vor, das Urteil des Obergerichts anzufechten.

Nun muss die Juristin einsehen, dass sie auf dem Holzweg gewesen ist: Das Bundesgericht hat nicht nur den Freispruch des Angeklagten bestätigt, sondern den Strafverfolgern auch ihre Grenzen erneut aufgezeigt. So sei ein gewisses Mass an Täuschung bei einer verdeckten Ermittlung zwar normal, doch im vorliegenden Fall sei der Verdächtige psychisch unter Druck gesetzt worden.

So sei das Geständnis geradezu erzwungen worden, berichtet SRF über die Urteilsverkündung. Die gestellte Szene mit der Wahrsagerin sei noch belastender gewesen als die Verhöre bei der Polizei, befindet das Bundesgericht. Weil das Recht zu schweigen und das Recht, sich nicht selbst zu belasten, nicht gewahrt worden seien, sei das Verfahren nicht fair gewesen und das Geständnis auch nicht verwertbar.

Der Freispruch von Humayun R. ist damit rechtskräftig.