Pässe in Kasachstan gestohlenSchweizer Paar erlebt Ausreise-Horror und wird im Jet attackiert
Sven Ziegler
6.10.2024
blue News Redaktor Sven Ziegler und seiner Freundin werden in Kasachstan die Pässe gestohlen. Sie erleben einen Spiessrutenlauf – und werden auf dem Rückflug zu allem Übel auch noch angegriffen.
Sven Ziegler
06.10.2024, 08:42
06.10.2024, 15:16
Sven Ziegler
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
blue News Redaktor Sven Ziegler und seiner Partnerin werden in Kasachstan die Pässe gestohlen.
Nach dem Diebstahl unserer Pässe in Kasachstan heisst es für uns: Warten. Die Botschaften haben übers Wochenende geschlossen, vor Montag geht es für uns nicht weiter. Wir hängen in der ehemaligen Hauptstadt Almaty fest, buchen uns in ein Hotel ein, wohl wissend, dass wir noch länger hier bleiben müssen.
Währenddessen beginnt das Umbuchungs-Prozedere mit der Swiss. Für die Umbuchung, so heisst es, werden über 3000 Franken fällig. Das kommt für uns nicht infrage. Während der folgenden Tage telefoniere ich immer wieder mit der Airline, doch es ist nichts zu machen. Insgesamt 14 Anrufe tätige ich, doch es bleibt bei der Ansage: Wenn ich die 3000 Franken nicht bezahle, kann ich nicht umbuchen.
Am Montagmorgen melden wir uns schliesslich bei den Botschaften. Sowohl die deutsche Botschaft als auch die Schweizer Vertretung zeigen sich hilfsbereit, versprechen sofortige Unterstützung. Doch ich werde gewarnt: Bis der Schweizer Notpass aus der 2000 Kilometer entfernten neuen Hauptstadt Astana in Almaty eintreffe, würde es mehrere Tage dauern. «Vermutlich wird es Mittwoch», sagt die diplomatische Vertreterin. Meine Freundin hat mehr Glück: Die Bundesrepublik unterhält weiterhin auch in Almaty eine Vertretung. Sie darf noch am gleichen Tag im deutschen Konsulat um die Ecke ihren Notpass abholen.
Schweizer Vertretung im Bürogebäude
Doch auch dort läuft nicht alles reibungslos. Denn kurz vor Mittag wird der Prozess plötzlich unterbrochen: «Sie haben mir gesagt, es sei nun Mittagspause und ich solle am Nachmittag wieder kommen», erzählt mir meine Freundin später. Wir können mittlerweile nur noch über die absurde Situation lachen, in der wir uns befinden.
Auch ich muss bei der Schweizer Vertretung vorstellig werden. In einem Bürogebäude, dem «Swiss Centre» irgendwo in Almaty werde ich von einer freundlichen Dame empfangen. In ihrem Hauptberuf leitet sie eine Firma, daneben ist sie Honorarkonsulin und hilft Schweizer Bürger*innen in Not. Sie organisiert, dass der Notpass von Astana nach Almaty geschickt wird. Ich bin unendlich dankbar.
Doch die Stunden dazwischen sind lang. Wir wollen nach Hause, müssten arbeiten. Wissen nicht, wie lange es noch geht, wie lange wir hier noch feststecken. Am Dienstag feiere ich meinen Geburtstag in Kasachstan. Es ist der einzige Tag ohne Behörden. Was ich dabei noch nicht ahne: Der Mittwoch wird ein Spiessrutenlauf und Wettrennen gegen die Zeit.
Wir drängen uns vor, um nach Hause zu kommen
Am Mittwochmorgen erhalte ich die lang ersehnte Nachricht: Der Pass ist da. Sofort fahre ich zur Vertretung, juble wohl etwas zu laut. Die Mitarbeiter drehen sich fragend um. Doch als wir zur Migrationspolizei fahren, um den Ausreisestempel abzuholen, erleben wir eine böse Überraschung: Wir bräuchten ein Visum zur Ausreise, das dauere. Wir müssten einen Antrag stellen, erklärt uns der Beamte. Fingerabdrücke nehmen lassen – natürlich nicht hier, in einem anderen Gebäude.
Für uns bricht eine kleine Welt zusammen. Das merken auch die Behörden. Sie versprechen uns ein Eilverfahren, sobald wir alle Dokumente beisammen hätten. Wir fahren sofort los, eilen zum Fingerabdruck-Zentrum. Dort liegt eine handgeschriebene Liste auf. 70 Personen pro Tag werden bearbeitet, wir sind Nummer 92. Zudem sei gerade Mittagspause, keine Chance heute.
Wir setzen uns vor die Tür, vor alle anderen. Als die zuständige Sachbearbeiterin aus dem Mittag zurückkehrt, fängt meine Partnerin sie ab, erklärt ihr die Situation. Sie bittet uns in ihr Büro, schliesst ab. Wir dürfen die Fingerabdrücke abgeben, erhalten sofort ein Formular. Dann eilen wir zurück zur Migrationsbehörde.
Doch dort passiert: nichts. Ein Stromausfall bringt die Vorgänge zum Stillstand. Ob wir heute noch unser Visum erhalten, wissen wir nicht. Wir bleiben sitzen. Warten endlos lange. Zwei Stunden. Drei Stunden. Um 17.20 Uhr springt das Licht plötzlich wieder an. Doch der Feierabend naht – und der ist in dem zentralasiatischen Land heilig.
Doch wir haben Glück: Der Beamte hinter dem Visa-Schalter bleibt tatsächlich unseretwegen länger, bearbeitet unseren Antrag. Eine Stunde nach Dienstschluss überreicht er uns unsere Visa. Wir jubeln – und buchen Flüge für den nächsten Morgen. Via Istanbul, egal wie, egal wo. Hauptsache, raus aus Kasachstan.
Schläge und Gebrüll zum Abschluss
Als wir am nächsten Morgen um 5 Uhr im Flugzeug sitzen, ist die Erleichterung greifbar. Doch beinahe werden wir noch in eine Schlägerei verwickelt.
Als ich das Gepäckfach öffne, fällt eine Laptoptasche heraus – Sekunden später wird mir ein Schlag versetzt. Eine Frau brüllt mich an, was das solle, dass ich ihren Laptop zu Boden werfe. Ich halte sie fest, damit sie nicht weiter auf mich einschlägt. Erst ihr Freund kann die junge Frau beruhigen. Verletzte oder einen beschädigten Laptop gab es nicht.
Und wir kommen heil nach Hause. Vier Tage zu spät – aber voller Dankbarkeit.
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