Gestrichene Halte «Unhaltbare Praxis»: SBB lässt Passagiere einfach stehen

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3.7.2019

Der Zug fällt heute aus: Um Verspätungen kleiner zu halten, streicht die SBB kurzerhand Halte an kleineren Bahnhöfen.
Der Zug fällt heute aus: Um Verspätungen kleiner zu halten, streicht die SBB kurzerhand Halte an kleineren Bahnhöfen.
Keystone

Der nächste Halt fällt einfach aus: Um Verspätungen wieder rauszuholen, lässt die SBB während der Fahrt planmässige Halte mir nichts, dir nichts weg. Das Nachsehen haben die Passagiere.

20 Minuten Verspätung hatte sein Zug bereits. Damit, dass er zu seinem Termin in Baden ein wenig zu spät kommen würde, hatte sich der Passagier des Interregio 16 schon abgefunden. Doch als ihm und anderen Reisenden dann per Lautsprecherdurchsage in Olten mitgeteilt wurde, dass der Zug nicht in Baden und Brugg halten, sondern direkt nach Zürich fahren würde, waren die Grenzen der Toleranz erreicht.

«Dass wir förmlich aus dem Zug geworfen wurden, war der Gipfel», empört sich der Betroffene in den Zeitungen von CH-Media, «ich musste dann in Olten warten, auf einen Regioexpress umsteigen und so weiterfahren.»

Der ärgerliche Vorfall ereignete sich vergangenen Samstag – und ist kein singuläres Ereignis. Am Abend desselben Tages liess die SBB auf der Intercity-Strecke von Zürich nach St. Gallen die planmässigen Halte in Wil, Uzwil, Flawil und Gossau weg, um eine Verspätung von 15 Minuten rauszuholen. Reisende, die in einem der betroffenen Orte aussteigen wollten, waren ab Winterthur auf sich gestellt. Besonders ärgerlich: Der nächstmögliche Zug in die Richtung wartete nicht auf die Passagiere, die den Intercity unfreiwillig verlassen mussten.

Manche haben das Nachsehen

Nicht nur die Betroffenen sind über diese Praxis erzürnt: Der Wiler Bahnhof sei für die Stadt und die weitere Umgebung als Drehschreibe zentral, formulierte Stadtpräsidentin Susanne Hartmann in einem Brief an die SBB und forderte den Konzern auf, den Halt in Wil künftig nicht einfach wegfallen zu lassen. «Unhaltbare Praxis der SBB auf dem Buckel der Reisenden», schimpft bei Twitter FDP-Nationalrat Thierry Burkart. «Dagegen werde ich parlamentarisch vorgehen!»

SBB-Personenverkehrschef Toni Häne hat durchaus Verständnis für die wütenden Reaktionen, bittet die Betroffenen jedoch, das Gesamtbild im Blick zu behalten: «Uns ist bewusst, dass wir hin und wieder zu Massnahmen gezwungen sind, die sich direkt auf unsere Passagiere auswirken», schreibt er. «Für die einen positiv, für die anderen negativ», zitiert CH-Media aus seiner Antwort an Hartmann. Sprich: Damit Verspätungen für die Mehrheit der Reisenden nicht noch gravierender ausfallen, muss im Zweifelsfall eine Minderheit in den sauren Apfel beissen.

Stärkung der Passagierrechte ab 2020 geplant

Vielleicht ist es für jene Minderheit zumindest ein kleiner Trost, dass ihr in solchen Fällen schon im nächsten Sommer Entschädigungen zustehen könnten: Die Passagierrechte sollen dann in der Schweiz an EU-Regelungen angepasst werden. Sollte dann beispielsweise vor Antritt der Fahrt absehbar sein, dass aufgrund der grossen Verspätung ein Termin am Zielort nicht mehr zu schaffen ist, kann der Reisende unter Erstattung des vollen Ticketpreises von der Fahrt zurücktreten.

Auch bei verspäteter Ankunft am Zielort stünde Passagieren eine Entschädigung zu, allerdings erst, wenn die Verspätung grösser als 60 Minuten ist. 25 Prozent des Ticketpreise können dann zurückgefordert werden, bei zweistündiger Verspätung sogar 50 Prozent. Liegt der Erstattungsbetrag allerdings unter zehn Franken, sind die Transportunternehmen von der Entschädigungspflicht befreit.

Bilder aus der Schweiz
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