Notstrom aus Gas und ÖlDer Bundesrat setzt auf dreckige Energie – ginge es nicht auch sauberer?
Von Anna Kappeler
18.8.2022
Was, wenn im Winter der Strom ausgeht? Für den Bundesrat heisst die Lösung: Öl- und Gaskraftwerke. Doch das hat seinen Preis – ökologisch und finanziell. Stimmen aus der Politik.
Von Anna Kappeler
18.08.2022, 18:00
20.08.2022, 09:40
Anna Kappeler
Es ist das dominierende Polit-Thema dieses Sommers: die drohende Stromlücke der kommenden Wintermonate. Nun hat der Bundesrat an seiner ersten Sitzung nach den Ferien einen umstrittenen Entscheid getroffen. Notfalls fliesst in der Schweiz Strom von fossilen Reserve-Kraftwerken. Konkret: Aus Gas- und Ölkraftwerken.
Das ist eine Kehrtwende, sind sich bürgerliche und linke Politiker*innen der Energiekommission Urek einig. «Ich sehe den Plan des Bundesrats kritisch», sagt Nationalrat und Urek-Mitglied Kurt Egger (GP/TG).
Fossile Kraftwerke sind laut – und sie stinken. Egger: «Der ökologische Schaden durch Öl- und Gaskraftwerke ist klar nicht in Kauf zu nehmen. Auch nicht, um eine allfällige Mangellage zu verhindern.» Besonders störend sei der Plan, weil sich die Schweiz ja ohnehin schon schwertue, den CO2-Ausstoss zu reduzieren. «Deshalb ja, der Richtungswechsel des Bundesrats hin zu Ölkraftwerken hat mich überrascht.»
Darum geht es
Ergänzend zur Wasserkraft soll Strom aus Gas- und Ölkraftwerken im Notfall die Schweiz mit Strom versorgen – dies, um ein Blackout zu verhindern. Und es soll schnell gehen, der Bundesrat will diese fossilen Reservekraftwerke bereits ab Februar oder März 2023 laufen lassen. Also zwei Jahre früher als bisher geplant. Geregelt werden soll dies via Verordnung. Es geht um eine Leistung von 300 MW. Das entspricht rund 80 Prozent des abgeschalteten KKW Mühleberg. Die Reservekraftwerke werden nur dann in Betrieb genommen, wenn in der Schweiz bereits eine Strommangellage herrscht. Der Strommarkt also vorübergehend nicht in der Lage ist, die Nachfrage zu decken. (aka)
Mässig begeistert ist auch Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher (FDP/SG), ebenfalls Mitglied der Urek. Sie sagt: «Dass uns Schweizer Notstrom aus Gas und Öl aus der Mangellage helfen soll, begrüsse ich. Aber klar: Könnten wir eine grüne Wiese bespielen, wäre das nicht die Ideallösung. Nur schon deshalb nicht, weil sie schlecht mit unserer Energiestrategie vereinbar ist.»
Trotzdem gelte es nun, pragmatisch zu sein. «Ja, Gas- und Ölkraftwerke sind allenfalls mit Lärm- und Geruchsemissionen verbunden. Um eine Mangellage zu verhindern, ist der ökologische Nachteil zähneknirschend in Kauf zu nehmen», sagt Vincenz-Stauffacher. Eine sichere Versorgung sei für alle und für die Wirtschaft enorm wichtig. «Wir müssen gleichwohl verschiedene Massnahmen parallel weiterverfolgen, Energiesparmassnahmen und ganz besonders die Wasserkraft.»
Vincez-Stauffacher: «Natürlich zahlen wir mit Gas- und Ölkraftwerken einen ökologischen und einen finanziellen Preis.» Doch um eine Krise bewältigen zu können, müssten zeitlich begrenzte Abstriche gemacht werden. «Wenn ich dafür eine warme Wohnung habe, zahle ich das.» Allerdings: Eine Zweiklassengesellschaft dürfe nicht die Folge sein. «Wer knapp bei Kasse ist, soll Hilfe bekommen.»
Ausweichende Antwort vom Bund
Also Anfrage beim zuständigen Bundesamt für Energie BFE: Wie die Umwelt schützen? Und wer zahlt die Kosten für die Reservekraftwerke? Die Antwort ist ausweichend: «Bis die Verträge abgeschlossen sind, können wir keine Informationen zu Anzahl der Anlagen, Standorte, Kosten oder Anbietern machen», teilt Sprecherin Marianne Zünd mit. Nur so viel ist klar: «Die Kosten für den Betrieb der Anlagen werden – analog zu den Kosten der Wasserkraftreserve – an die Verbraucher überwälzt.» Heisst: Die Konsument*innen zahlen.
Und wie soll der CO2-Ausstoss der fossilen Reservekraftwerke kompensiert werden? «Die Grenzwerte der Luftreinhalteverordnung und allenfalls der Lärmschutzverordnung müssten zwischen Februar 2023 und Mai 2023 spezifisch für die bezeichneten Kraftwerke temporär aufgehoben werden», sagt Zünd. Dies gelte für den Fall, dass die Reservegaskraftwerke aufgrund einer länger andauernden kritischen Stromsituation länger als 50 Stunden pro Jahr laufen müssten.
«Emissionen müssen kompensiert werden»
Für Grünen-Nationalrat Bastien Girod, auch er Urek-Mitglied, ist wichtig: «Falls Reservekraftwerke genutzt werden, sind deren Emissionen zu 100 Prozent zu kompensieren, primär im Inland.» Der Bundesrat sollte, so Girod, viel mehr tun, dass es eben nicht dazu kommt. «Unter anderem soll der Bundesrat dafür sorgen, dass die Wasserkraftwerke nicht unter einen Pegelstand von 2 Terawattstunden Ende Januar sinken.» Damit wäre die Stromversorgung gemäss Girod für zirka fünf Wochen gesichert.
Girods Parteikollegen Egger schwebt zusätzlich eine andere Idee vor: «Der Bund soll Ausschreibungen für Unternehmen lancieren. Firmen können dem Bund mitteilen, wie und wie viel Strom sie in einem bestimmten Monat sparen wollen.» Und wie sie dafür entschädigt werden wollen. Die günstigsten Angebote würden berücksichtigt und vom Bund entschädigt. «In Deutschland gibt es das bereits.» Egger schlägt dies der Urek-N am nächsten Montag an der Sitzung vor.
Egger geht davon aus, dass die fossilen Reservekraftwerke einen «tiefen 3-stelligen Millionenbetrag» kosten werden. «Ob sich das für 300 Megawatt mehr lohnt? Zum Vergleich: Produzierten alle Schweizer Speicherseen gleichzeitig Strom, kämen wir auf 11'000 Megawatt.»
Es soll auch neue Gaskraftwerke geben
Bleibt die Frage, wo die Gas- und Ölkraftwerke, die in wenigen Monaten schon den Betrieb aufnehmen sollen, stehen. Das hält der Bundesrat vorerst geheim. Eines wird wohl in Birr AG sein. blue News weiss, dass Firmen Interesse haben, solche Reservekraftwerke zu betreiben. Dazu gehört die CPH Chemie + Papier Holding AG im luzernischen Perlen.
Sie steht mit dem Bund in Kontakt. «Unser Gelände in Perlen wäre sehr gut geeignet als Standort für ein neues Gaskraftwerk, um eine allfällige Stromlücke in Zukunft abzudecken», bestätigt Sprecher Christian Weber. Der Bau einer solchen Anlage dauere aber sicher zwei, drei Jahre, wenn nicht länger. Man werde die Unterlagen der Ausschreibung vom Bund prüfen.