Umfrage unter ArmeeangehörigenSexismus, Gewalt, Ausgrenzung – die Armee hat ein Problem
sda/gg
31.10.2024 - 14:00
Eine neue Studie im Auftrag des Bundes zeigt: Fast die Hälfte aller Armeeangehörigen hat geschlechtsspezifische Diskriminierung und sexualisierte Gewalt erlebt. Nun greift die Armeeführung durch.
31.10.2024, 14:00
31.10.2024, 19:45
SDA
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Eine Studie im Auftrag des Bundes zeigt: Fast die Hälfte der Armeeangehörigen hat geschlechtsspezifische Diskriminierung und sexualisierte Gewalt erlebt.
Sexistische Sprüche, Belästigung, Vergewaltigung: Seit Jahren sorgen Aussagen von Frauen im Militär für Aufsehen. Lange Zeit tat die Armee das als Einzelfälle ab.
Erst unter Armeechef Thomas Süssli bekannte sie sich 2023 zur Nulltoleranz-Strategie. «Wir wollen, dass konsequent dagegen vorgegangen und vor allem nicht weggeschaut wird», sagte Süssli in einem von der Armee produzierten Video auf der Internetplattform Youtube.
Ein Jahr davor schuf die Armee eine Fachstelle für Frauen. Das Motto: «Eine Armee für alle.» Sie trage die Verantwortung, «eine Kultur zu schaffen, in der bewusst, respektvoll und gewinnbringend mit Vielfalt umgegangen wird,» lautete die vollmundige Ankündigung.
Nun zeigt erstmals eine Studie im Auftrag des Bundes: Fast die Hälfte der Armeeangehörigen hat geschlechtsspezifische Diskriminierung und sexualisierte Gewalt erlebt. Jetzt greift die Armeeführung durch.
764 Frauen und 362 Männer wurden befragt
Die Studie wurde Anfang 2023 durchgeführt. 1126 Militärangehörige wurden befragt, 764 Frauen und 362 Männer. Sie gaben Auskunft zu ihren Erfahrungen während der Dienstzeit.
Das Ergebnis: 50 Prozent der Teilnehmenden warenwährend ihrer Dienstzeit ab Ende der Rekrutenschule von Diskriminierung betroffen, wie die Armee am Donnerstag mitteilte.
40 Prozent der Befragten gaben an, verbale, nonverbale oder körperliche sexualisierte Gewalt erlebt zu haben. 81 Prozent berichteten, selten bis sehr oft mit sexistischen Bemerkungen und Witzen im Dienst konfrontiert gewesen zu sein.
Ergebnisse als Weckruf
Einzelfälle? Auf keinen Fall. Das Problem ist strukturell. Diskriminierung und sexualisierte Gewalt seien «mit der Organisationskultur der Schweizer Armee verflochten», heisst es in der Studie. DIe Ergebnisse sollten «ein Weckruf» sein, schreiben die Autoren.
Am Donnerstagnachmittag zeigte sich Armeechef Thomas Süssli erschrocken über die Resultate: «Sie sind nicht akzeptabel.» Es gebe keinen Platz für Diskriminierung und sexualisierte Gewalt. «Wir müssen mehr unternehmen, um die Prävention und den Schutz zu verstärken.»
Die Armeespitze kündigt daraufhin mehrere Massnahmen an: Im Bereich der Prävention möchte die Armee auf Stufe Zug und Kompanie einen Kodex und Ausbildungsmodule schaffen. Auch soll ein anonymes Meldetool eingeführt werden. Weiter schwebt der Armee eine Stärkung der Opferrechte vor. Wie etwa der Aufbau eines Reportings von Disziplinarfällen aufgrund von sexualisierter Gewalt.
Eine Zwischenevaluation über diese Massnahmen ist 2026 geplant. Ein Jahr später sollen die Armeeangehörigen dann erneut befragt werden, um zu schauen, ob sich etwas verbessert hat.
Aber reicht das aus? Besonders betroffen sind jene, die nicht dem traditionellen Soldatenbild entsprechen. Also männlich, weiss, stark und selbstdiszipliniert.
Kein Platz für «andere» in der Armee
Die Betroffenheit bei jenen Personen sei viel grösser, wenn sie nicht den vorherrschenden Normen in der Schweizer Armee entsprechen. Laut Studie sind das all jene, die nicht männlich, heterosexuell und/oder cis sind oder deren Körper, Hautfarbe, Herkunft oder Religion abweicht. Ihnen werde signalisiert, dass für sie kein Platz in der Armee sei, sagt Mahide Aslan, Chefin der Frauen-Fachstelle in der Armee.
So haben rund 95 Prozent der befragten Frauen Situationen erlebt, die als sexualisierte Gewalt eingestuft werden können. Die Liste von grenzüberschreitendem Verhalten ist lang: Sexistische Sprüche, sexuelle Belästigung, aufdringliche Blicke, hemmungsloses Anstarren, Exhibitionismus, körperliche Übergriffe beim Duschen und beim Schlafen, ungewollte Berührungen und Küsse, wie auch in seltenen Fällen versuchte und ausgeführte Vergewaltigungen.
Ähnlich hoch ist die Betroffenheit auch bei nicht-heterosexuellen Männer, etwas weniger stark bei trans Männern und Personen (70 Prozent). Wenig überraschend gehören homophobe Begriffe zum Truppenalltag.
Nulltoleranz-Strategie wird ebenfalls kritisiert
Die Studie kritisiert auch gewisse Aspekte der Nulltoleranz-Strategie der Armeeführung. Dazu gehöre die Vorstellung, in der Armee seien alle in derselben Uniform und daher gleich. Es zähle nur die Leistung und nicht das Geschlecht. Diese Narrative verhinderten, dass bestehende Unterscheidungen, auf denen Abwertungen beruhen, gesehen und abgebaut werden könnten.
Die Studie warnt auch davor, sexistische Sprüche zu verharmlosen. Würden diese als normal und ungefährlich angesehen, bereiteten sie den Boden für noch schwerwiegendere Formen sexualisierter Gewalt. Dies verdeutliche die Aussage einer Soldatin. «Mit blöden Witzen, Äusserungen und gewissen Bemerkungen fängt es an. Man bekommt via Natel Nachrichten, sexuelle Anfragen, Sex-Videos etc. Sexuelle körperliche Belästigung folgt als nächstes.»
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