Klares Nein Trotz erneuter Schlappe: Die SVP will die Zuwanderung nicht ruhen lassen

Von Julia Käser, Rothrist

27.9.2020

SVP-Präsident Marco Chiesa am Abstimmungshöck im Restaurant «Pöstli» in Rothrist AG. 
SVP-Präsident Marco Chiesa am Abstimmungshöck im Restaurant «Pöstli» in Rothrist AG. 
Bild: Keystone

Die SVP muss mit dem Nein zur Begrenzungsinitiative eine weitere Niederlage einstecken. Die Köpfe hängen lassen will man nicht – es gibt aber durchaus kritische Stimmen aus den eigenen Reihen. 

Der Hunger ist nach den ersten Hochrechnungen weitgehend gestillt. Das Brunch-Buffet im Restaurant «Pöstli» in Rothrist wird nur noch zögerlich aufgefüllt. «Es braucht mehr SVP in diesem Land», sagt Nationalrätin Martina Bircher. Im Unterschied zu anderen Parteiexponenten schwingt in ihrer Stimme eine gewisse Wut mit.

Die deutliche Ablehnung der Begrenzungsinitiative (BGI) ist eine weitere Klatsche für die Schweizer Volkspartei. Einmal mehr betrifft sie ihre Kernthemen Zuwanderung und Personenfreizügigkeit. Jene Themen also, die die SVP überhaupt erst gross gemacht haben.

Hängende Köpfe sieht man in Rothrist trotzdem kaum. Man gibt sich kämpferisch. Sowohl Co-Kampagnenleiterin Esther Friedli als auch Parteipräsident Marco Chiesa und Fraktionschef Thomas Aeschi beteuern, das Thema Zuwanderung sei noch lange nicht vom Tisch.

Volle Tische und wenig Abstand

Das deutliche Nein zur BGI ist gleichzeitig ein deutliches Ja zum bilateralen Weg mit der EU – von einer Niederlage will in Rothrist trotzdem keiner sprechen. Wie schon sein Vorgänger Albert Rösti redet auch der neue Parteichef Chiesa von einem Kampf David gegen Goliath.

Es sei ein ansehnliches Resultat, sagt Fraktionschef Aeschi im Hinblick auf den Ja-Anteil von rund 38 Prozent. Er verweist auf das Rahmenabkommen mit der EU, über das der Bundesrat mit Brüssel verhandelt, und macht den Anwesenden klar: Der nächste Kampf steht schon vor der Tür. Dafür gibt es viel Zuspruch von den vollen Tischen.

Überhaupt: Mit den Corona-Massnahmen nimmt es hier niemand so genau. Bei den engen Platzverhältnissen im «Pöstli» ist das Einhalten der BAG-Abstandsregelung ein Ding der Unmöglichkeit. Für die Händehygiene liegen einzeln verpackte Desinfektionstücher mit Werbung für die BGI bereit. Auch Masken mit demselben Logo werden verteilt – aber kaum getragen.

Das Problem mit der Mobilisierungskraft

Nicht alle geben sich mit dem Resultat zufrieden. Die SVP habe sich mit der Kampagne ins eigene Fleisch geschnitten, sagt eine Anwesende. Sie erhält Zustimmung vom Nebentisch. Als zu abschreckend wird die Abstimmungskampagne bezeichnet – kein Wunder, dass es nicht gelungen sei, über die Parteigrenzen hinweg zu mobilisieren.

«Die SVP wird immer als die Böse unter den Parteien dargestellt. Indem man alle Migranten über einen Kamm schert, wird man dieses Image nicht los», sagt die Frau. Daran gelte es zu arbeiten – denn in der Sache sei sie natürlich bei der SVP. «Irgendwo müssen wir bei der Zuwanderung eine Grenze setzen.»

Weniger die Kampagne als vielmehr das Vorgehen der SVP bemängelt Urs Bieri, Politologe bei gfs.bern, wie er gegenüber «blue News» angibt. Die Partei habe nach der Selbstbestimmungs- und der Durchsetzungsinitiative bereits die dritte hauseigene Initiative zum Themenbereich Personenfreizügigkeit und Europa verloren.

«Das zeigt, dass ihr gewohntes Vorgehen – ihr Kernthema über Initiativen zu bearbeiten – am Ende angelangt ist», so Bieri. Man scheint sich einig: Die SVP hat ein Problem mit ihrer Mobilisierungskraft. 

SVP kämpft weiter für eine «massvolle Zuwanderung»

Das will Co-Kampagnenleiterin Friedli so nicht stehen lassen. Wie sie gegenüber SRF betont, habe dieses Mal auch die Coronakrise den Gegnern der BGI in die Karten gespielt. «In unsicheren Zeiten wollen viele Leute eher am Status quo festhalten.» 

Fakt sei aber auch, dass viele etwas an der Zuwanderung ändern wollten. Deshalb werde sich die SVP nach wie vor für eine «massvolle Zuwanderung» einsetzen.

Im «Pöstli» wird mittlerweile Glacé serviert. Zwischen die angeregten Diskussionen mischen sich vereinzelt genervte Ausrufe. Ein junger Mann echauffiert sich – aber nicht etwa über das Abstimmungsresultat zur BGI, sondern über die hohe Zustimmung zum Vaterschaftsurlaub. Auch das Kopf-an-Kopf-Rennen bei den Kampfjets stösst den Anwesenden sauer auf.

Kampf gegen das EU-Rahmenabkommen 

Für einen kurzen Moment liegt das Hauptaugenmerk nicht auf der Zuwanderung oder Europa. Dass dem aber nur von kurzer Dauer ist, lässt  Präsident Chiesa an diesem Abstimmungssonntag mehrmals durchblicken. Die SVP werde nun gegen das Rahmenabkommen kämpfen, sagt auch er. 

Tatsächlich ist zu erwarten, dass dieses heisse Eisen jetzt vermehrt in den aussenpolitischen Fokus rücken wird, wie FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter an der Pressekonferenz zu den Abstimmungsresultaten dann auch  erwähnte.

Weil man den Ausgang zur BGI-Abstimmung abwarten wollte, hat man seitens EU mit weiteren Forderungen zugewartet. Diese Zurückhaltung könnte nun passé sein. 

Auch in der Schweiz hielt man sich bis zur Abstimmung zurück. Doch laut einem Bericht von SRF brodelt es hinter den Kulissen gewaltig. Demnach ist das Rahmenabkommen klinisch tot – weil es von den Sozialpartnern in der jetzigen Form nicht unterstützt wird. 

Der europapolitische Kampf geht also weiter. Die gute Nachricht für die SVP: Anders als bei der BGI steht die Partei beim institutionelle Rahmenabkommen mit ihrem Widerstand nicht alleine da. 

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