Hickhack mit Stadt Amriswil Traditions-Zirkus muss Platz räumen – und steht vor dem Aus

Samuel Walder

7.10.2024

«Rolly» und «Ruedi» müssen ihren Hof räumen. 
«Rolly» und «Ruedi» müssen ihren Hof räumen. 
zvg

Sie leben seit 32 Jahren von ihren Auftritten und sozialem Engagement mit ihren Tieren. Jetzt muss der Traditions-Zirkus Rodolfo seinen Platz räumen. Die Stadt will Massnahmen ergreifen.

Samuel Walder

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Nach 32 Jahren fordert die Stadt Amriswil den Abbau des Kleinzirkus Rodolfo, der in einer geschützten Zone betrieben wurde.
  • Trotz jahrelanger Duldung und sozialem Engagement der Familie Langjahr besteht die Stadt nun auf einem formellen Verfahren, da keine Baugenehmigung eingereicht wurde.
  • Sollte der Kanton das Baugesuch ablehnen, droht der kostspielige Rückbau, was die finanziell angeschlagene Zirkusfamilie vor grosse Herausforderungen stellt.

Nach 32 jahren Freude trauern Fans, Freunde und Familie um den Rodolfo Zirkus. Dieser muss auf Wunsch der Stadt seinen Platz in Amriswil TG räumen – und das eigentlich schon seit Jahren. 

Rudolf Langjahr ist 71 Jahre alt. Er ist in der Region Amriswil TG als Heimkind aufgewachsen und kam später dann mit seiner «Hunde-Nummer», wie er selber gegenüber blue News sagt, zum Zirkus. «Ich reiste in ganz Europa mit dem Zirkus umher.» Vor über 32 Jahren lernte Langjahr seine Frau Rosmarie Langjahr kennen, bekam Kinder und wurde sesshaft. 

Er sagt: «Damals wollte ich wegen der Kinder und meiner Frau nicht mehr in ganz Europa unterwegs sein.» Langjahr erinnerte sich, dass er als Kind auf dem Schulweg an einem alten Bauernhof vorbeikam. Für ihn sei immer klar gewesen, dass dies das perfekte zu Hause für seine Familie sein würde. Denn Langjahr wollte weiter Tiere halten. 

Das Geschäft boomte

«Wir merkten schnell, dass bei Einkaufszentren und Messen das grosse Bedürfnis für Streichelzoos und Ponyreiten bestand», erklärt Langjahr. Also wuchs der Kleinzirkus der Familie. Schnell waren Langjahrs in der ganzen Schweiz unterwegs. Immer mit dabei: Ihre Tiere. Theater und Städte wurden auf die Familie aufmerksam und halfen bei Sozialprojekten mit. 

Seit fast 40 Jahren betreibt das Ehepaar zudem den Kleinzirkus Rodolfo, der auf Jahrmärkten und Messen mit Ponyreiten, Streichelzoos und Säulirennen bekannt wurde. Sie lebten in einem Wohncontainer, der im Laufe der Jahre zu einem gemütlichen Zuhause wurde.

Zeitweise hatte der Zirkus über 30 Ponys. Auf dem Hof beherbergte die Familie Schweine, Ponys, Ziegen, Tauben und Wildschweine.
Zeitweise hatte der Zirkus über 30 Ponys. Auf dem Hof beherbergte die Familie Schweine, Ponys, Ziegen, Tauben und Wildschweine.
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Später kamen Schulklassen und führten Zirkusnummern auf und die Familie bot Übernachtungen im Stroh an – ein Klassenlager im Freien.

Zunächst lief alles rund. «Ich bemühte mich stets, dass es den Tieren gut geht, dass sie genug Platz haben und ich immer alle Bewilligungen eingeholt habe», sagt der 71-Jährige im Gespräch mit blue News.

Die Familie wusste, dass ihr Standort in Amriswil eigentlich weder Landwirtschaftszone noch Gewerbezone ist. «Leider leben wir in einer Schutzzone. Wir haben aber mit den Behörden stets eine Lösung gefunden und wurden geduldet. Auch der Tierschutz kontrollierte regelmässig, wie es unseren Tieren geht – es gab nie Bedenken.» 

Seit zwei Jahren befinden sich Stadt und Familie in einer misslichen Lage

Bis jetzt. Die Stadt fordert seit zwei Jahren den Rückbau der illegalen Anlagen, die sich in der Landwirtschafts- und Landschaftsschutzzone befinden. 

Eine Odysee beginnt. Gabriel Macedo (35), Stadtpräsident von Amriswil,sagt gegenüber blue News, die Geschichte ziehe sich über die letzten 30 Jahre hin: «Die Stadt hat immer beide Augen zugedrückt, wenn es um den Hof von Langjahrs ging.» In den letzten zwei Jahren sei das aber nun nicht mehr gegangen. 

Die ursprüngliche Einigung zwischen den Langjahrs und der Stadt wäre gewesen, dass sich die Familie nach der Pensionierung zurückzieht und den Hof auflöst und wegzieht. «Das ist leider nicht passiert», sagt Macedo.

Es ist Zeit für den formellen Weg

Weiter sagt Macedo: «Jetzt ist es Zeit, das Ganze auf dem offiziellen Weg zu regeln. Grundsätzlich sind all die Fristen reiner Goodwill gewesen von uns. Uns ist ja das Tierwohl wichtig und auch die Familie selber. Aber irgendwann müssen wir den formellen Weg einleiten.»

Die Stadt habe sich das ebenfalls einfacher vorgestellt. Wichtig ist es, dass weder Tiere noch Familie in eine Notsituation geraten würden. Die Stadt habe aber die Familie etwa aufgefordert, ein Baugesuch einzureichen. Das sei nicht passiert. Langjahr sagt, die Aufforderung habe zynisch gewirkt und sei zudem zu teuer. 

Die Stadt Amriswil leitete daraufhin das Baubewilligungsverfahren von Amts wegen ein. Dieses werde nun vom Kanton geprüft. Stand jetzt warten beide Parteien auf die Stellungnahme des Kantons. «Danach muss der Stadtrat entscheiden, ob dieses Baugesuch angenommen wird oder nicht», erklärt Macedo. 

Kanton prüft und der Stadtrat entscheidet

Falls der Stadtrat das Baugesuch ablehnen sollte, wird der Rückbau der Anlage gefordert. Die Kosten für einen Rückbau müsste dann die Familie Langjahr tragen. Doch finanziell sieht es beim Kultzirkus nicht gut aus. «Dadurch, dass wir einige Tiere schon weggegeben haben und wir unser Angebot massiv zurückschrauben mussten, haben wir keine Einnahmen mehr», sagt Langjahr. Im Falle, dass die Familie für die Rückbaukosten nicht aufkommen werde, wird der Steuerzahler den Rückbau finanzieren müssen.

Für beide Parteien ist die Angelegenheit schwierig. Rudolf Langjahr ist ratlos: «Ich weiss gar nicht mehr, was ich sagen soll.»