Ruhe vor dem Sturm?Tierheime fühlen sich vom Bund im Stich gelassen
Von Jennifer Furer
16.7.2020
Schweizer Tierheime kämpfen ums Überleben. Denn: Die Menschen haben jetzt genug Zeit, um sich um ihre Tiere zu kümmern. Das könnte sich bald ändern. Jetzt fordern Tierheime mehr Unterstützung vom Bund.
Sasha spitzt die Ohren, sodass sie kerzengerade in den Himmel ragen. Sein Mund ist leicht geöffnet. Es sieht aus, als würde der Hund lächeln. Sasha ist erst seit Kurzem in der Schweiz und lebt im Tierheim Strubeli in Hegnau ZH. Bevor er in die Schweiz kam, lebte er sich auf der spanischen Insel Menorca. Jetzt sucht der einjährige Racker ein neues Zuhause.
Auf der Suche nach einem festen Platz für Sasha muss das Tierheim Strubeli bedacht vorgehen. Denn in der Coronazeit würden sich viele Leute melden, die ein Tier aufnehmen wollen, «weil sie im Moment viel Zeit haben». Es könne deshalb schnell zu «unüberlegten Spontankäufen» kommen, wie Athina Löhner vom Tierheim zu «Bluewin» sagt.
Auch die Einsamkeit, die aus der Coronakrise resultieren könnte, sei ein Grund für Spontankäufe. «Uns fiel beispielsweise auch auf, dass deutlich weniger Tiere abgegeben wurden», so Löhner. Dies sei damit erklärbar, dass Besitzer in dieser schweren Zeit mehr an ihren Tieren hängen. «Die Tiere geben den Menschen ein Gefühl von Vertrautheit und Geborgenheit.»
Keine Zeit und Muse
Karin Hawelka, Kampagnenleiterin der Tierschutzstiftung Vier Pfoten, schlägt in die gleiche Kerbe. «Die Ausgangsbeschränkungen und die damit verbundene Isolation haben bei vielen Menschen den Wunsch nach einem Haustier geweckt, das ihnen Gesellschaft leistet.»
Die aktuelle Lage scheint der perfekte Zeitpunkt zu sein, um einem Tier eine vorübergehende Pflegestelle anzubieten oder gar ein eigenes Haustier von einem Tierheim zu adoptieren oder zu kaufen.
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Die Befürchtung: Tiere, die jetzt angeschafft werden, könnten wieder auf der Strasse oder in einem Heim landen, weil die Besitzerinnen und Besitzer keine Zeit und Muse mehr haben. «Es kann gut sein, dass uns in den kommenden Monaten viele Telefonate von Personen erreichen werden, welche ein Tier abgeben wollen», sagt Löhne vom Tierheim Strubeli.
Auch Flavia Purtschert vom Tierheim Paradiesli im Kanton Nidwalden kann sich durchaus vorstellen, dass künftig mehr Menschen ihre Tiere wieder abgeben möchten, «wenn der normale Alltag eingekehrt ist und man wieder arbeiten geht».
Deutliche Einnahmeeinbussen
Das stellt die hiesigen Tierheime aber vor ein Problem: Diese finanzieren sich unter anderem mit Einkünften durch die Tiervermittlung und durch das Anbieten von Ferienplätzen. Beide Einnahmequellen sind jedoch während des Lockdowns und auch danach stark eingebrochen.
Denn während des Lockdowns hätten keine Tiere platziert werden können. Und auch die temporäre Aufnahme von Tieren sei zurzeit wenig nachgefragt. «Wir hatten deutlich weniger Tiere in unserer Obhut. Bis heute hat sich die Situation jedoch nicht normalisiert», sagt etwa Löhnert vom Tierheim Strubeli.
Auch Purtschert vom Tierheim Paradiesli meint: «Wir haben grosse Einbussen, da wir während des Lockdowns viel weniger Feriengäste und Tagesgäste betreuen konnten.» Die Situation hängt auch damit zusammen, dass viele Schweizerinnen und Schweizer nicht in die Ferien fliegen. «Wir haben deutlich weniger Tiere bei uns in Obhut als in anderen Sommerferien.»
Beim Tierheim Surber gestaltet sich die Situation ähnlich. «Seit März haben wir nur Stornierungen bis in den Herbst hinein», sagt Betreiberin Daniela Siegrist-Surber. Helfen könnten jetzt nur Spenden, «damit wir ohne Einnahmen überleben können, bis die Leute unsere Dienste wieder brauchen».
Auf Spenden angewiesen
Siegrist-Surber kritisiert in diesem Zuge den Bund. «Tierheime wurden einfach vergessen», sagt sie. Man sei nicht unterstützt worden. «Es hiess, dass wir den Betrieb ja wieder aufnehmen können.» Das sei ein Hohn, findet Siegrist-Surber.
Denn: «Womit verdienen wir unser Geld, wenn wir keine Kunden haben?» Eine Unterstützung sei nur schon angebracht, weil es Tierheime in einer Gesellschaft brauche – spätestens dann, wenn einige Menschen ihre Haustiere wieder loswerden möchten.
Das muss ich mir vor dem Haustierkauf überlegen
Karin Hawelka, Kampagnenleiterin von Vier Pfoten Schweiz, rät von Spontanentscheidungen ab. «Ob man ein Haustier aufnimmt, muss sorgfältig überlegt sein.» Eine Adoption oder ein Kauf eines Haustieres würden eine langfristige Verpflichtung gegenüber einem Tier darstellen, das auf ein stabiles und sicheres Zuhause angewiesen ist. «Auch eine zeitlich begrenzte Pflegestelle sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden, da viele Tiere besondere Aufmerksamkeit und Pflege benötigen.»
Auch Flavia Purtschert vom Tierheim Paradiesli sagt, dass ein Kauf gut durchdacht werden müsse. Bei einer Katze seien etwa die Fragen zu beachten:
- Kann man ihr Freigang bieten?
- Darf man eine Katzenklappe einbauen?
- Wer schaut während der Ferien zu meiner Katze?
- Hat man die finanziellen Mittel (Tierarzt, Futter, Fremdbetreuung, …)?
- Sind Katzen in der Wohnung überhaupt erlaubt?
Und man müsse sich auch Gedanken darüber machen, dass Katzen bis zu 20 Jahre alt werden können und sich damit eine lange Verantwortung stellt. Bei Hunden sind etwa folgende Fragen und Überlegungen essenziell:
- Die Bedürfnisse der Hunderasse müssen genau studiert und abgeschätzt werden. Und darauf stellen sich die Fragen, ob man die Rassebedürfnisse des Hundes bieten kann, also beispielsweise den Auslauf oder die Beschäftigung.
- Ist in der Wohnung ein Hund erlaubt?
- Was macht man während der Arbeit mit dem Hund?
- Verfüge ich über die finanziellen Mittel (Tierarzt, Futter, Hundeschule, Fremdbetreuung)?
- Wer schaut während der Ferien zu meinem Hund?
- Scheue ich mich wirklich nicht vor dem Aufwand?
- Es müsse zudem die Frage gestellt werden: Wie lebe ich in zehn Jahren und kann ich dann immer noch für den Hund sorgen?
- Man sollte sich Zeit nehmen, um den Hund kennenzulernen, bevor man ihm einen Lebensplatz schenkt, damit es auch wirklich passt.