Verbot krachend gescheitert So geht es mit den Tierversuchen jetzt weiter

Von Gil Bieler

13.2.2022

Mäuse kommen in Schweizer Labors weiterhin zum Einsatz. (Archivbild)
Mäuse kommen in Schweizer Labors weiterhin zum Einsatz. (Archivbild)
Bild: Keystone

Die Initiative für ein Tierversuchsverbot ist krachend gescheitert. Dennoch will der Bundesrat die Zahl der eingesetzten Labortiere und deren Leid weiter verringern. Die Initianten befürchten eine reine Alibiübung. 

Von Gil Bieler

Es ist eine Niederlage mit Ansage: Hohe 79 Prozent der Stimmbürger*innen haben die Tierversuchs-Initiative abgelehnt. Aber alles andere wäre auch einer Sensation gleichgekommen. Kein einziges Mitglied von National- und Ständerat mochte sich im Abstimmungskampf für ein Ja einsetzen, auch nicht der Schweizer Tierschutz. Zu extrem. Das Initiativkomitee – bestehend aus privaten Tierfreund*innen – war auf sich allein gestellt.

Der fehlende Rückhalt aus dem grünen Lager enttäuscht Mitinitiator Renato Werndli: Zwar hätten sich Politiker*innen und Vertreter*innen von Tierschutzorganisationen unterstützend geäussert, dem Komitee aber gleichzeitig auch gesagt, «dass wir mit der Initiative zu konsequent sind und deshalb hochkant verlieren werden», erklärt der Tierarzt auf Anfrage von blue News. Doch anstatt das Komitee umso mehr zu unterstützen, hätten sie sich zurückgehalten, «um ja das Gesicht nicht zu verlieren».

Der Fahrplan steht bereits

Trotz des klaren Votums der Stimmbevölkerung: Die Zahl der Tierversuche will der Bundesrat unabhängig davon weiter senken. Zu diesem Zweck hat er im Februar 2021 ein Nationales Forschungsprogramm gestartet, das den etwas sperrigen Titel trägt: «Advancing 3R – Tiere, Forschung und Gesellschaft».

Hinter 3R verstecken sich die englischen Begriffe Replacement, Reduction und Refinement. Und darum geht’s:

Das 3R-Programm des Bundes

  • Replacement («Ersatz»): Wann immer möglich sollen Tierversuche durch alternative Methoden ersetzt werden.
  • Reduction («Reduktion»): Die Zahl der Tierversuche und die Zahl der eingesetzten Tiere soll sinken.
  • Refinement («Verfeinerung»): Für jene Tiere, die in Labors eingesetzt werden, sollen Belastung und Stress reduziert werden. Ausserdem soll mit jedem durchgeführten Versuch der Erkenntnisgewinn gesteigert werden.

Der Bund hat das Forschungsprojekt mit 20 Millionen Franken dotiert und auf fünf Jahre angelegt. Forscher*innen können ihre Projektvorschläge beim Schweizerischen Nationalfonds einreichen. Die Ausschreibung läuft noch – über die Auswahl soll im Juni informiert werden, wie eine Nationalfonds-Sprecherin auf Anfrage erklärt.

Mit diesem Programm soll eine Entwicklung fortgeführt werden, die bereits seit Längerem Bestand hat. In den letzten 40 Jahren konnte die Zahl der eingesetzten Labortiere gemäss Statistik des Bundes stark gesenkt werden. Seien es Anfang der Achtzigerjahre noch rund zwei Millionen Tiere eingesetzt worden, waren es 2020 noch 560'000 Tiere. Mehrheitlich sind es Mäuse und Ratten.

Belastende Versuche haben zugenommen

Was hierzu erwähnt werden muss: Dieser Rückgang wurde vor allem bis Mitte der Neunzigerjahre erreicht. So waren es auch im Jahr 2000 rund 566'000 eingesetzte Tiere, also in etwa gleich viele wie heute. Und: Seit einigen Jahren gibt es eine Zunahme bei besonders belastenden Versuchen, die dem sogenannten Schweregrad 3 entsprechen. Im Jahr 2020 wurden hierfür ganze 68 Prozent mehr Tiere eingesetzt als noch 2012.

Dass es dringend eine Verringerung der Zahl Laborversuche braucht, finden auch Tierschützer*innen, die nicht hinter der Verbots-Initiative standen. «Was die Zahlen der eingesetzten Versuchstiere angeht, ist in den letzten 20 Jahren rein gar nichts passiert», sagt Bea Roth vom Zürcher Tierschutz.

«Zu den effektiv eingesetzten Tieren kommen noch die sogenannt überzähligen Tiere dazu.» Also Tiere, die man aus diversen Gründen – wie Genetik, Geschlecht oder Alter – nicht für einen Versuch einsetzen konnten. Das seien noch einmal Hunderttausende Tiere. Für Roth steht daher fest: «Hier gibt es noch sehr, sehr grosses Verbesserungspotenzial.»

Selbst viele Forschende seien einem Verzicht auf Tierversuche nicht abgeneigt – das sagte der Veterinärmediziner Hanno Würbel kürzlich im Interview mit blue News. Er ist Professor für Tierschutz an der Universität Bern und präsidiert die Kommission für Tierversuchsethik der Akademien der Naturwissenschaften (SAMW) und der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT). 

«Es ist sicher angezeigt, dass wir unser Verhältnis zu Tieren überdenken»

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Die Schweiz diskutiert so intensiv über Tierversuche wie nie. Sind Tierversuche noch zeitgemäss, und hat die Schweiz wirklich eines der strengsten Gesetze? Hanno Würbel, Präsident der Tierversuchsethik-Kommission und Professor für Tierschutz an der Uni Bern, gibt Antworten.

09.02.2022

«Von Tierversuchen möglichst wegzukommen, das muss langfristig sicherlich ein Ziel sein», so Würbel. Jedoch habe die abgelehnte Initiative auch ein Verbot von Menschenversuchen sowie von Medikamenten miteingeschlossen. «Und das ist eine Position, die in ihrer Radikalität weit über das hinausgeht, was momentan konsensfähig ist.»

«Das Gewissen beruhigen»

Die Initianten der gescheiterten Vorlage halten wenig vom 3R-Programm. «Das nationale Forschungsprogramm 79 wird ziemlich sicher wieder eine Alibiübung, wie die ganze 3R-Bewegung oder das 3R-Kompetenzzentrum», kritisiert Renato Werndli. «Die Forschenden haben hier das Sagen. Es soll das Gewissen beruhigen.» Das erwähnte 3R-Kopetenzzentrum wurde 2018 gegründet und wird vom Bund finanziell unterstützt. 

Der 3R-Ansatz werde seit Jahrzehnten verfolgt, doch die offiziellen Zahlen seien trügerisch. «Überschusstiere» etwa tauchten gar nicht in den Statistiken auf. Ganz generell hält er fest: «Jedes Opfer ist eines zu viel und merkt nicht, ob mit ihm noch Millionen andere leiden müssen.»