Gasversorgung im Winter Schweiz droht Italien, Gasleitung im Notfall anzuzapfen

lpe, sda

14.8.2022

Die Verhandlungen um ein Solidaritätsabkommen mit Italien und Deutschland blieben bisher ohne Erfolg. 
Die Verhandlungen um ein Solidaritätsabkommen mit Italien und Deutschland blieben bisher ohne Erfolg. 
Symbolbild: Keystone/AP/Michael Probst

Deutschland und Italien wollen die Gasexporte einschränken – direkt betroffen – die Schweiz. Eine solidarische Lösung scheint in weiter Ferne.  Darum fährt Energieministerin in den bilateralen Verhandlungen schärferes Geschütz auf. 

lpe, sda

14.8.2022

Die Warnungen tönen in ganz Europa ähnlich: Das Gas werde wegen des Kriegs in der Ukraine diesen Winter knapp werden, Massnahmen müssten her. Während die EU und ihre Mitgliedsländer Notfallpläne und Sparziele bereits konkretisieren, hält sich die Schweiz bisher zurück.

Im Interview mit dem «Sonntagsblick» schätzt die Energieministerin Simonetta Sommaruga ein Gassparziel von 15 Prozent, wie es die EU vorsieht, als «sicher sinnvoll» ein. Ein derartiger Entscheid des Bundesrats steht allerdings noch aus – im Herbst wird erst mal eine Energiesparkampagne lanciert.

«Wir müssen aufhören, Energie zu verschwenden», sagt Sommaruga. Das werde die zentrale Botschaft sein. Nur ein Grad weniger heizen, spare fünf Prozent Energie. Die öffentliche Verwaltung müsse dabei mit gutem Beispiel vorangehen.

Sommaruga: «Wenn man den Leuten jetzt sagt, wie sie sparen müssen, versteht das niemand»

Dass eine solche Kampagne erst im Herbst komme und nicht bereits laufe, wie etwa in Deutschland, liege an der hiesigen Stromproduktion: «In der Schweiz produzieren wir einen grossen Teil unseres Stroms aus Wasserkraft», so Sommaruga. Deutschland verbrauche hingegen viel Gas für die Stromproduktion. Die Schweiz sei erst im Winter zum Heizen auf Gas angewiesen. «Wenn man den Leuten jetzt im Sommer, wo es so heiss ist, sagt, wie sie sparen müssen, versteht das niemand.»

Die drohende Mangellage sei zudem kein Zeichen für das Scheitern der Energiepolitik: «Gescheitert ist jene Politik, die blind auf Gas- und Ölimporte gesetzt hat! Sie hat unser Land abhängig und verletzlich gemacht», sagte die Energieministerin. Die Schweiz sei bei Öl und Gas vollständig vom Ausland abhängig. Ein Mehr davon sei daher der falsche Weg.

Eine der wichtigsten Gasquellen ist die durch die Schweiz führende Gasdurchleitungslinie, die Deutschland, Frankreich und Italien verbindet. 10 Prozent der Durchleitungskapazität darf die Schweiz für eigene Zwecke abzwacken. Bisher reichte diese Menge in der Summe mit anderen Zuleitungen für die Versorgung aus.

Schweiz zieht «Extremszenarien» in Betracht

Doch mit dem Ukraine-Krieg droht die Menge, die durch die Schweiz fliessen wird, drastisch zu sinken. So planen sowohl Deutschland als auch Italien, den Gasexport zu senken. Deutschland will seine Gasspeicher früher als gewöhnlich füllen, in Rom tritt im Krisenfall zudem ein Gesetz in Kraft, das Gasexporte praktisch verunmöglicht, wie die «Sonntagszeitung» berichtet. Gemäss diesem Gesetz muss in Notlagen der Import gesteigert werden. Das würde folglich Gasdurchleitungen in die Schweiz nicht erlauben. Laut Marco Saalfrank, Leiter des internationalen Handelsgeschäfts der Axpo, haben darum alle Gasverträge, die mit Italien verbunden sind, einen Krisenvorbehalt.

Deshalb versucht Simonetta Sommaruga seit geraumer Zeit ein Solidaritätsabkommen auszuhandeln. Bisher ohne grosse Zugeständnisse. Darum fährt sie jetzt schwereres Geschütz auf: Sie bringt in den Verhandlungen mit Italien den sogenannten Konzessionsfall auf den Tisch – eine Klausel im Vertrag, die der Schweiz laut der Sonntagszeitung ermöglicht, im Krisenfall das Gas der Transitlinie zu nutzen.

Laut «Sonntagszeitung» sei dieser Schachzug in Italien nicht gut aufgenommen worden. Sommarugas Sprecherin Annetta Bundi wolle von einer Eskalation jedoch nichts wissen. Doch: «Selbstverständlich zieht in dieser Situation jedes Land verschiedenste Szenarien in Erwägung, auch Extremszenarien», sagte sie gegenüber der Zeitung.