Experten über härtere Iran-Sanktionen «Sonst kommt es so weit wie bei Kuba oder Nordkorea»

Von Monique Misteli

26.10.2022

Das iranische Regime geht mit aller Härte gegen die Demonstrierenden vor, Sanktionen westlicher Staaten sollen es zu einem anderen Umgang bewegen.
Das iranische Regime geht mit aller Härte gegen die Demonstrierenden vor, Sanktionen westlicher Staaten sollen es zu einem anderen Umgang bewegen.
BIld: Keystone

Die Stimmen werden lauter, dass die Schweizer Regierung härtere Sanktion gegen das iranische Regime verhängen soll. Doch sind Sanktionen überhaupt effektiv?

Von Monique Misteli

«Ich wüsste jetzt nicht sofort, welche weiteren Sanktionen noch möglich wären», sagte Bundespräsident und Aussenminister Ignazio Cassis Anfang Oktober am Rande einer Sitzung des Europarats in Strassburg zu SRF.

Damit nahm er Stellung zu den zunehmenden Forderungen aus Politik, Kultur und Wissenschaft, die Schweiz müsse das iranische Regime härter sanktionieren. Dieses geht seit Wochen mit äusserster Härte gegen die Demonstrierenden vor. Dabei verstösst es massiv gegen Menschenrechte.

Offener Brief an den Bundesrat

In einem offenen Brief an den Bundesrat fordern 100 Schweizer Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wissenschaft dazu auf, weitere Sanktionen gegen die iranische Führung zu ergreifen und die Demokratiebewegung zu unterstützen.

Den Appell unterzeichnet haben unter anderem die Schriftstellerin Sybille Berg und der Historiker und frühere Grünen-Politiker Josef Lang.

Das sind die sechs Forderungen

1) Sämtliche Wirtschaftssanktionen der EU und der USA übernehmen
2) Lebenslanges Einreiseverbot in die Schweiz für Mitglieder des islamischen Regimes, der Revolutionsgarde sowie Mitglieder der Basidsch-Miliz
3) Sämtliche Gelder des islamischen Regimes, der Revolutionsgarde und der Basidsch-Milizen auf Schweizer Bankkonten einfrieren
4) Die Revolutionsgarde und die Basidsch als Terrororganisation einstufen
5) Den iranischen Botschafter in Bern einbestellen
6) Iranische Regimegegner*innen, die sich in der Schweiz aufhalten, vor der Ausschaffung schützen

«Sanktionen sind nur ein Teil der Gleichung»

Doch bringen Sanktionen überhaupt etwas? Haben sie sogar die Kraft, ein Regime zu stürzen?

Laut Erica Moret, Sanktions-Expertin am Graduate Institute in Genf ist nur schwer messbar, ob und wie effektiv Sanktionen greifen. Zumindest habe bis jetzt noch keine Studie aufzeigen können, dass Sanktionen allein zu einem Wandel führen, so Moret.

Damit man diese überhaupt messen könne, müsse man wissen, was man mit den Sanktionen erreichen wolle, sagt Moret. Konkret: Sollen die Sanktionen eine bestimmte Gruppe unterstützen? Sollen sie Einheit verschiedener Staaten gegenüber dem zu sanktionierenden Staat signalisieren? Oder geht es darum den Zugang zu verschiedenen Ressourcen zu erschweren? Laut Moret ist es im Fall vom Iran bereits eine Mischung.

Hinzu kämen weitere Faktoren, welche die Wirksamkeit von Sanktionen beeinflussen. Etwa die diplomatischen und politischen Beziehungen zum jeweiligen Zielstaat, aber auch die politischen Bewegungen im zu sanktionierenden Land selber. «Sanktionen sind nur ein Teil von der Gleichung», sagt Moret.

«Das iranische Regime hat gelernt, die westlichen Sanktionen zu unterlaufen»

Zudem wisse man, dass in autoritär regierten Ländern, die zudem auch noch über starke Verbündete verfügen, Sanktionen ebenfalls weniger effektiv seien, sagt Moret. Auch dies ist beim Iran gegeben. Moret sagt: «Das iranische Regime hat gelernt, die westlichen Sanktionen zu unterlaufen.» Etwa indem es die eingeschränkten Ressourcen aus Russland oder China beziehe, erklärt Moret und sagt: «Sanktionen sind kein Wundermittel.»

Das bestätigt auch Fredi Gsteiger, diplomatischer Korrespondent von SRF. Mit Sanktionen könne man vor allem bezwecken, dass der Druck von innen auf das Regime wachse: «Die schärferen Sanktionen werden wohl wenig bewirken, die sind nur eine weitere kleine Drehung an der Schraube.»

Sanktionen gegen den Iran

Bezieht die Schweiz Stellung, wird rasch Kritik laut, dass dies der diplomatischen Stellung der Schweiz und ihrer Vermittlerrolle schaden würde. Im Falle von Iran sei dies falsch, sagt Diplomatie-Experte Gsteiger. Denn die Schweiz trete im Iran nicht als Vermittlerin, sondern als Schutzmacht auf.

Wollte der Iran nicht länger am Schutzmacht-Mandat der Schweiz festhalten, bräuchte er eine alternative, also einen anderen Staat, der die Rolle der Schweiz übernehme. Dafür bräuchte es aber das Einverständnis der USA. Schutzmacht könne nur ein Land sein, dass in dieser Rolle von beiden direktbetroffenen Staaten akzeptiert werde, erklärt Gsteiger und sagt: «Die Übernahme schärferer Sanktionen gegen den Iran würde die diplomatische Rolle der Schweiz wohl nicht nachhaltig beeinträchtigen.»

Die Schutzmacht-Mandate der Schweiz

Laut dem Bundesamt für auswärtige Angelegenheiten EDA sind Schutzmacht-Mandate Teil der «guten Dienste» der Schweiz. Als Schutzmacht übernimmt sie konsularische und/oder diplomatische Aufgaben, wenn zwei Staaten ihre Beziehungen ganz oder teilweise abbrechen. Dank der Schutzmacht können die Staaten minimale Beziehungen aufrechterhalten.
Aktuell hat die Schweiz diese Mandate inne:
1) Iran in Ägypten
2) USA in Iran
3) Russland und Georgien
4) Iran und Saudi-Arabien
5) Iran in Kanada

Sanktionen ja, aber

Sanktionen seien gut, wenn die diplomatischen Mittel ausgeschöpft und militärische keine Option seien, aber dann müsse man die Herangehensweise ändern.

Und zwar indem man dem sanktionierten Regime anstelle von weiteren Restriktionen vielmehr deren Lockerung in Aussicht stelle, erklärt Moret und sagt weiter: «Sonst kommt es so weit wie bei Kuba oder Nordkorea.» Die beiden Staaten sind seit Jahrzehnten mit harten Sanktionen belegt. Dennoch haben diese Länder ihren politischen Kurs nicht oder nur minimal verändert.

Im Falle des Irans könnten solche strategischen Sanktionslockerungen gemacht werden, wenn die Regierung in Teheran sich beispielsweise bereit zeige für Atomgespräche. Solche Lockerungen seien ein Teil eines umfassenderen politischen Prozesses. Würden diese nicht eingehalten, könne man die gelockerten Restriktionen wieder verschärfen.