Tessin Polizei und Bürgermeister wollen keine Deutschschweizer Oster-Touristen 

dor/aka

2.4.2020

Die Tessiner Kantonspolizei kontrolliert derzeit Reisende entlang der italienisch-schweizerischen Grenze – und bald auch innerhalb der Schweiz?
Die Tessiner Kantonspolizei kontrolliert derzeit Reisende entlang der italienisch-schweizerischen Grenze – und bald auch innerhalb der Schweiz?
Bild: Keystone

Ostern steht vor der Tür – und damit auch die alljährliche Reisewelle ins Tessin? Politiker und lokale Bürgermeister wollen das in Zeiten von Corona verhindern.

Im Tessin und anderen Kantonen fürchtet man sich vor den Touristen, die trotz der dort kritischen Lage an Ostern darauf bestehen könnten, ihre Feriendomizile heimzusuchen. Schon jetzt schotten sich erste Ferienorte ab – und die kantonalen Polizeikorps von Uri und dem Tessin planen laut «Tages-Anzeiger» eine «Abwehraktion» am Gotthard, um Oster-Touristen vom Gotthard fernzuhalten. Die Polizei entscheidet dem Bericht zufolge am Freitag, wie sie «Deutschschweizer von der Reise in den Süden abbringen wollen».

Doch auch mehrere lokale Bürgermeister wollen keine Deutschschweizer Touristen über diese Tage im Tessin. «Wir haben volle Spitäler, die Ressourcen sind erschöpft. Wir müssen die Ankunft der Deutschschweizer zu Ostern vermeiden», sagt Giovanni Cossi, Präsident der Bürgermeister-Konferenz gegenüber «tio.ch».

Und deren Forderungen haben es in sich: Der Gotthard und der San Bernardino müssten also für Reisende aus dem Norden geschlossen werden.

Von Reiseplänen abhalten

Die Urner Kantonspolizei, die den wichtigen Zugang zum Süden – den Gotthardstrassentunnel – bewacht, suche mit der Tessiner Kantonspolizei fieberhaft nach Wegen, wie die Deutschschweizer von ihren Reiseplänen abgehalten werden können.

Am Freitag sollen konkrete Massnahmen beschlossen werden, dazu solle offenbar das «gezielte Anhalten von Automobilisten» durch die Urner Polizei gehören, um den reisefreudigen Deutschschweizern den Ernst der Lage klarzumachen und sie zu einer Rückkehr zu bewegen.



Diskutiert werde auch die mögliche Abgabe von Flugblättern. Auf Anregung der Kantonspolizeien werde zunächst die Information der Bevölkerung verstärkt. Das Bundesamt für Strassen (Astra) tausche sich derzeit mit dem Schweizer Radio und Fernsehen aus, um Hinweise zu geplanten Osterfahrten ins Tessin zu platzieren. Noch vertraue das Astra auf die Einsicht der Bevölkerung und die Wirksamkeit von dringlichen Appellen.

Nationalstrassen bleiben offen

Selbst wenn sie den Gotthardtunnel schliessen wollten, seien den Urnern und Tessinern die Hände gebunden. Der Bundesrat könne eine Sperrung aufgrund der «ausserordentlichen Lage» theoretisch veranlassen – falls es sich als notwendig und verhältnismässig erweisen würde. Aus Sicht des eidgenössischen Verkehrsdepartements sei jedoch klar, «dass die Nationalstrassen als Hauptadern der Versorgung gerade jetzt offen bleiben müssen», heisst es in dem Bericht weiter.

Auch Politiker flehen die Bürger an, doch vernünftig zu sein. «Kommen Sie nicht in unser Tal», schreibt etwa der verzweifelte Gemeinderat Adriano Bellinato laut «Tages-Anzeiger» allen Besitzern von Zweitwohnungen im Onsernonetal.

Offenbar hat Bellinato damit nur mässigen Erfolg: Die örtliche Polizei kontrolliere zwar die einzige Zufahrtsstrasse, zurückweisen könne sie die Leute jedoch nicht.

Das enge Tal oberhalb von Locarno mit rund 700 Einwohnern und der minimalen Infrastruktur – ein Lebensmittelladen, ein Arzt – würde bereits mit wenigen Corona-Ansteckungen in Bedrängnis kommen. Es drohe der Kollaps. Fast die Hälfte der ständigen Bewohner sei über 65 Jahre alt, in den Gemeinden Russo und Loco stehen Altersheime. Im nahegelegenen Centovalli starb bereits eine Person an Covid-19.

Appell von Bundesrat Alain Berset

In mancher Gemeinde seien die Immobilien zum grossen Teil im Besitz von Deutschschweizern – und in vielen dieser Häuser brenne abends neuerdings Licht, so Gemeinderat Bellinato. In den letzten Tagen sei die Bevölkerung in Onsernone um etwa 30 Prozent angestiegen. Damit steige auch das Risiko einer Pandemie in dem Tal, in dem das öffentliche Leben seit Wochen stillstehe. Denn die Zweitwohnungsbesitzer könnten das Virus einschleusen, die «zwischenmenschlichen Kontakte und Ansteckungen fördern».

«Bleibt daheim»

Auch Gemeinden in anderen Kantonen, etwa Lenzerheide (Graubünden) rufen die Zweitwohnungsbesitzer eindringlich dazu auf, über Ostern zu Hause zu bleiben. Und in Brunnen (Schwyz) werden an den kommenden Wochenenden die Quaianlagen geschlossen.

Bundesrat Alain Berset hatte bereits am vergangenen Freitag bei einer Pressekonferenz an die Vernunft der Bürger appelliert, an Ostern doch bitte nicht ins Tessin zu fahren. Die vielen Zweitwohnungsbesitzer müssten jetzt verzichten – der Gesundheitsminister sprach von Fortschritten, von Selbstverantwortung und gesellschaftlichem Zusammenhalt.

Man dürfe jetzt nicht alles wieder zunichtemachen – und zudem die Tessiner in eine noch schwierigere Situation bringen. «Dies schon mal vorweg. Wir werden auf diesen Punkt noch zurückkommen», sagte Berset weiter.

Auch Bersets Aufruf könnte ungehört verhallen. Aufgrund der guten Wettervorhersage und steigenden Temperaturen könnten viele Besitzer von Zweitwohnungen und -häusern alle Warnungen und Bitten in den Wind schlagen.

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