Burnout und Co. «Pflege am Limit»: Lockdown-Ende sorgt für volle Psychiatrien 

Von Jennifer Furer

7.7.2020

Die psychiatrischen Kliniken verzeichneten Fälle, in denen Patienten und Patientinnen sich mit dem Coronavirus angesteckt haben.
Die psychiatrischen Kliniken verzeichneten Fälle, in denen Patienten und Patientinnen sich mit dem Coronavirus angesteckt haben.
Keystone

Nach dem Ende des Lockdowns verzeichnen Psychiatrien einen Anstieg der Patientenzahlen. Woran das liegt und was sie gegen eine Ausbreitung des Coronavirus unternehmen.

Elena* ist Pflegerin in einer psychiatrischen Klinik im Kanton Zürich. Das Ende des Lockdowns bedeutet für sie keine Rückkehr in normale Alltagsstrukturen. Denn sie spürt jetzt die Folgen der Corona-Massnahmen hautnah. «Die Kliniken sind rappelvoll, das Personal am Limit», sagt sie. Überstunden, Stress und wenig Pausen bestimmen Elenas Alltag.

Marc Stutz, Leiter Kommunikation der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, sagt, dass ein «klarer Anstieg» der Patientenzahlen seit dem Ende des Lockdowns zu verzeichnen ist.

Das sei einerseits auf das Behandlungsangebot zurückzuführen, das nun wieder zur Verfügung steht. Nicht medizinisch absolut notwendige Behandlungen durften während des Lockdowns nicht durchgeführt werden. «Andererseits ist – wie zu erwarten war – ein Zuwachs bei Patienten mit Depressionen und Manien zu verzeichnen», so Stutz.

Burn-out, Zwänge und Schlafstörungen

Auch Alain Kohler, Leiter Marketing und Kommunikation beim Spitalverbund Appenzell Ausserrhoden, stellt fest, dass der Lockdown bei einigen psychische Spuren hinterlassen hat. «Die Mehrfachbelastung durch Homeoffice und Kinderbetreuung sowie die Unsicherheit der weiteren Entwicklung in beruflicher Hinsicht können eine grosse psychische Belastung darstellen», sagt Kohler.

Entsprechend seien nun besonders Patientinnen und Patienten mit Ängsten, Depressionen, Burn-out, Zwängen oder Schlafstörungen an das Psychiatrischen Zentrum Appenzell Ausserrhoden gelangt.

Ein Ende des Anstiegs der Bettenbelegungszahlen sei nicht in Sicht. «Wir rechnen damit, dass in der nächsten Zeit vermehrt Menschen mit psychischen Problemen zu kämpfen haben werden, welche in den letzten Wochen noch gerade so durchgehalten haben», sagt Kohler.

So sieht ein Zimmer in der Klinik für Kinder und Jugendliche an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel UPK aus.
So sieht ein Zimmer in der Klinik für Kinder und Jugendliche an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel UPK aus.
Keystone

Noch während des Lockdowns sah die Situation in psychiatrischen Einrichtungen diametral anders aus. Stutz von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich spricht von einer «Unterbelegung».

Gründe dafür sehen die psychiatrischen Einrichtungen zum einen in der Möglichkeit telefonischer sowie Video-Behandlungen und im verringerten Behandlungsangebot in Kliniken. Auch die strengen Auflagen bezüglich eingeschränkten Besuchs- und Ausgangsmöglichkeiten könnten dazu geführt haben, dass Patientinnen und Patienten sich einen Aufenthalt zweimal überlegt haben.

Coronavirus in Klinik

Zum anderen könnte aber auch die Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu weniger Patientinnen und Patienten geführt haben, schreiben die Sprecher der Psychiatrien unisono.

In den psychiatrischen Einrichtungen gab es Patientinnen und Patienten, die sich mit dem Virus angesteckt haben. In Zürich seien es drei gewesen, in Thurgau eine Person, in Basel «einige wenige». Alle bestätigten sowie Verdachtsfälle seien auf eine separate Station gebracht worden, wo sie weiterbehandelt worden seien.

Um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern, haben die psychiatrischen Einrichtungen Massnahmen umgesetzt. Es wurde geschaut, dass Abstands- und Hygieneregeln eingehalten wurden, Mitarbeitenden, Patientinnen und Patienten mussten ihre Bewegungen auf dem Campus einschränken und durften sich nicht gegenseitig auf den Stationen besuchen und Risikogruppen wurden isoliert.

Platz auf Akutstationen

Zudem galt oder gilt in einigen Kliniken Maskentragpflicht und Patientinnen und Patienten wurden etwa mittels Fiebermessen regelmässig kontrolliert. Es galt während des Lockdowns ein Besuchs- und Ausgehverbot. Diese wurde mittlerweile in einigen Einrichtungen gelockert.

Trotz der momentanen Zunahme der Bettenbelegung nach dem Lockdown hat es in allen von «Bluewin» angefragten psychiatrischen Einrichtungen Platz für Akutfälle. «Notfälle und unaufschiebbare Behandlungen – ob ambulant oder stationär – werden an der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel jederzeit behandelt», sagt Pascale Hofmeier, stv. Leiterin Kommunikation und Marketing.

Auch Marc Kohler, CEO der Spital Thurgau AG, sagt, dass die Akutstationen fast immer ausreichend Kapazitäten hätten. «Wenn es enger wird, werden weniger dringende Fälle zugunsten von Notfällen zurückgestellt.»

«Wo bleibt unser Applaus jetzt?»

Um zeitnah Auskunft über die Verfügbarkeit von Behandlungsplätzen geben zu können, beteilige sich das Psychiatrische Zentrum AR mit weiteren psychiatrischen Kliniken in der Region, an einem internetbasierten Bettenspiegel. «Käme es also zu einem Engpass, stehen alternative Behandlungsplätze in der Region zur Verfügung», sagt Sprecher Alain Kohler.

Auch Stutz von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich sagt, dass in Ausnahmesituationen Patienten anderen Kliniken innerhalb des Kantons zugewiesen werden könnten. «Daneben gibt es – je nach Krankheitsbild – auch die Möglichkeit zum Home Treatment.»

Die momentane Lage und die sich immer wieder veränderten Situationen in der Klinik setzt Pflegerin Elena zu, wie sie sagt. Trotzdem ist sie bereit, sich dieser zu stellen – «um jene zu unterstützen, die Hilfe jetzt dringend benötigen». Sie wünscht sich indes aber mehr Anerkennung der Gesellschaft. Sie glaubt, dass die Menschen die Pflege schon wieder längst vergessen haben. Sie fragt sich: «Wo bleibt unser Applaus jetzt?»

*Name geändert und der Redaktion bekannt



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