Frage der MitschuldVergewaltigungsopfer prüft Gang ans Bundesgericht
SDA/gbi
3.8.2021
Ein Basler Gericht gibt einer Frau eine Mitschuld an ihrer Vergewaltigung und senkt das Strafmass für den Täter. Das Urteil hat die betroffene Frau schockiert. Sie behält sich einen Weiterzug ans Bundesgericht offen.
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03.08.2021, 18:04
04.08.2021, 11:31
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Das Appellationsgericht Basel hat sich mit einem Vergewaltigungsfall befasst – und ein Urteil gefällt, das bis nach Deutschland nachhallt. «Woran wir merken, wie schlecht es generell immer noch steht um die Unterstützung von Opfern sexualisierter Gewalt?», fragt Agota Lavoyer, Leiterin der Opferhilfe Solothurn, auf Twitter. Die Antwort gibt sie gleich selber: «Daran, dass es Opfern so viel bedeutet, wenn man ihnen glaubt und wenn man ihnen keine Mitschuld gibt.»
Die besagte «Mitschuld» gibt das Appellationsgericht seiner Ansicht nach einer Frau, die im Februar 2020 vor ihrer Wohnung in Basel von zwei Männern vergewaltigt wurde. Die «bz Basel» zitiert aus der Urteilsbegründung: Das Vergehen werde relativiert durch «die Signale, die das Opfer auf Männer aussendet».
Woran wir merken, wie schlecht es generell immer noch steht um die Unterstützung von Opfern sexualisierter Gewalt? Daran, dass es Opfern so viel bedeutet, wenn man ihnen glaubt und wenn man ihnen keine Mitschuld gibt. Dabei wäre das bloss mal das absolute Minimum.
Die Vergewaltigung hatte sich nach einer Clubnacht ereignet. Die Frau liess sich von den beiden Angreifern nach Hause begleiten. Davor habe sie auf der Toilette eines Clubs ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einem weiteren Mann gehabt, so das Gericht. «Man muss feststellen, dass sie mit dem Feuer spielt», schlussfolgert die Gerichtspräsidentin laut «bz Basel».
Das Gericht bestätigte zwar den Schuldspruch für einen der Täter, einen heute 33-jährigen Portugiesen. Im Vergleich zur ersten Instanz reduzierte es aber das Strafmass deutlich und kürzte die Genugtuung für das Opfer um 3000 Franken. Der zweite Angreifer war zur Tatzeit noch minderjährig, er muss sich demnächst vor dem Jugendstrafgericht verantworten.
«Völlig unverständlich, wie eine Frau so etwas sagen kann»
Das Opfer hält sich offen, das Urteil vor das Bundesgericht weiterzuziehen. Das sagte die Anwältin der Frau am Dienstag zur Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Sie wolle erst das schriftliche Urteil abwarten und dann entscheiden.
Ihre Klientin sei zutiefst schockiert über die mündliche Begründung der Gerichtspräsidentin und fassungslos, sagte die Anwältin. «Es ist für meine Klientin völlig unverständlich, wie ein Gericht, eine Richterin, also sogar eine Frau, so etwas sagen kann.»
Die Frau mache sich wegen dieser Begründung auch für die Zukunft grosse Sorgen, sagte die Anwältin. Frauen dürften sich in Zukunft noch weniger trauen, Anzeige zu erstatten, weil sie immer damit rechnen müssten, ihnen würde eine Mitschuld angelastet.
«Auch äusserst schockiert war und ist meine Klientin über die Äusserung des Gerichts, sie sei bislang in keiner Therapie gewesen und es sei deswegen nicht klar, ob sie überhaupt psychische Folgen von der Tat davongetragen habe.» Ihre Klientin leide heute noch stark unter den Folgen dieser schlimmen Tat.
Auch die Opferhelferin ist fassungslos
Auch Opferberatungsexpertin Agota Lavoyer zeigt sich ob der Urteilsbegründung fassungslos: Damit werde «suggeriert, dass Frauen, die sich freizügig geben, die sexuell offen sind und Spass haben, sich nicht wundern sollen, wenn sie vergewaltigt werden», erklärt sie bei «20 Minuten». Das Verhalten der Frau trage in dieser Logik dazu bei, «dass der Mann die Kontrolle verliert und gewalttätig wird».
Sie wünsche sich, dass Richter*innen im Bereich der sexualisierten Gewalt, etwa was Psychotraumatologie angehe, obligatorisch geschult würden.
Das Strafgericht hatte den Täter noch zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 51 Monaten und einem Landesverweis von acht Jahren verurteilt. Dagegen legte er Berufung ein. Das Appellationsgericht senkte die Freiheitsstrafe nun auf 36 Monate, davon 18 Monate unbedingt. Somit wird der Täter nächste Woche aus dem Strafvollzug entlassen. Den Landesverweis reduzierte das Appellationsgericht auf sechs Jahre.