Zwei Covid-Patientinnen erzählen Mehrfach infiziert, und jedes Mal wurde es schlimmer

Von Gil Bieler

17.7.2022

Infektion folgt auf Infektion: Wegen der Omikron-Varianten des Coronavirus hält der Infektionsschutz nicht mehr allzu lange an. Im Bild: Ein Testcenter in Mont-sur-Lausanne. 
Infektion folgt auf Infektion: Wegen der Omikron-Varianten des Coronavirus hält der Infektionsschutz nicht mehr allzu lange an. Im Bild: Ein Testcenter in Mont-sur-Lausanne. 
Bild: Keystone

Die Omikron-Varianten des Coronavirus sind Meister darin, das Immunsystem auszutricksen. Zwei- und sogar dreifache Ansteckungen sind keine Seltenheit mehr. Zwei Betroffene erzählen.

Von Gil Bieler

«Wenn ich das jetzt alle drei Monate bekomme, fände ich das nicht so prickelnd.» Rahel Müller* wird vom Coronavirus richtiggehend verfolgt. Die 35-jährige Zürcherin hat es schon dreimal erwischt – in einem halben Jahr. Trotz Impfung und Booster.

Zum ersten Mal schlug das Virus am 20. Januar zu. Knapp zwei Wochen, nachdem sie die Auffrischimpfung von Pfizer erhalten hatte. Womöglich hätte sie von ihrer Infektion gar nichts mitbekommen: «Ich hatte keine Symptome, aber weil eine Arbeitskollegin krank wurde, habe ich trotzdem einen PCR-Test gemacht. Dass der Test positiv war, hat mich überrascht.» Obschon sie nicht gewusst habe, ob sie ansteckend sei oder nicht, habe sie die damals noch empfohlene Quarantäne von zehn Tagen eingehalten.

Zwei Monate später. «Da war ich mich mega müde. Es fühlte sich an, als ob ich eine schwere Erkältung hätte», erinnert sich Müller. Um auf Nummer sicher zu gehen, machte sie wieder einen PCR-Test: wieder positiv. Für sie eine Erleichterung: «Ich war ganz froh, konnte ich dann alles absagen, weil ich fühlte mich ohnehin nicht fit.»

«Ich fühlte mich recht krank. Aber im Vergleich zum dritten Mal war es noch harmlos.»

Rahel Müller

35-jährig, geimpft und geboostert

Einen Tag lang legte es sie ins Bett, danach war sie noch mehrere Tage angeschlagen. «Ich fühlte mich recht krank, konnte mich nicht konzentrieren, mir ging es einfach nicht gut», sagt Müller. «Aber im Vergleich zum dritten Mal war es noch harmlos.»

Dass die verschiedenen Omikron-Varianten des Coronavirus darauf spezialisiert sind, die Immunantwort des Körpers auszutricksen, ist bekannt. Auch eine Mediensprecherin des Bundesamts für Gesundheit (BAG) bestätigt auf Anfrage, dass der Anteil der Reinfektionen seit Beginn der Omikron-Welle Ende November 2021 angestiegen sei. Wie hoch die Rate sei, lasse sich aber nicht sagen, da das Infektionsgeschehen nicht vollständig erfasst werde. In der Schweiz dominiert die Untervariante BA.5.

Das Problem: Eine Omikron-Infektion löst «nur eine schwache Immunantwort gegen Omikron aus», wie das BAG festhält. Man kann sich also gut mehrfach anstecken. Auch eine Impfung oder eine Infektion mit einem früheren Virustyp – zum Beispiel der Delta-Variante – schützt nach aktuellem Wissensstand nicht zuverlässig.

Das musste auch Christelle Sutter* aus Zürich erfahren. Ein erstes Mal hat sich die 50-Jährige kurz vor Weihnachten 2021 mit der Delta-Variante infiziert, ein zweites Mal Anfang Juli mit Omikron. Die Folgen für sie waren aber beide Male heftig. Dazu erklärt Sutter: «Ich bin nicht geimpft, weil ich den Impfstoffen nicht traue. Deren Entwicklung ging mir viel zu schnell.»

«Während der ersten Infektion hatte ich drei Tage lang hohes Fieber. Das war unangenehm, aber damit konnte ich leben. Viel schlimmer waren die Kopfschmerzen», erzählt Sutter. Sie leide ohnehin an Migräne, und auch die Corona-Infektion habe ihr solche schwere Kopfschmerzen bereitet, dass sie tagelang ausser Gefecht gesetzt worden sei: «Ich konnte nicht einmal mehr herumlaufen, es ging mir richtig schlecht.» Alles in allem sei sie zweieinhalb Wochen angeschlagen gewesen.

«Das waren brutale, seltsame Schmerzen»

Christelle Sutter

50-jährig, nicht geimpft

Auch bei der zweiten Infektion hatte sie Fieber, am meisten machten ihr aber die Kopfschmerzen zu schaffen: «Dieses Mal war ich nicht so lange krank, aber die Kopfschmerzen wurden so stark, dass ich auf Anraten des Ärztetelefons eine Nacht im Spital verbracht habe.»

Die Schmerzen hätten bis ins Kreuz ausgestrahlt, weshalb unklar gewesen sei, ob es sich um eine Hirnhautentzündung handle. «Das waren brutale, seltsame Schmerzen.» Weil sie Darmprobleme habe, dürfe sie auch nicht einfach so Schmerzmittel nehmen, sagt Sutter. «Da bin ich im Nachteil gegenüber anderen.»

Sind heftige Symptome typisch für Reinfektionen?

Sind die Erfahrungen der beiden Frauen typisch? Führen Reinfektionen in der Regel zu schwereren Symptomen als die erste Ansteckung? Pauschal kann die Wissenschaft dies nicht beantworten: Es kommt unter anderem darauf an, mit welcher Virusvariante man sich jeweils ansteckt. Denn das bestimmt auch, wie die Immunantwort des Körpers ausfällt. 

Das BAG hält dazu lediglich fest: «Infektionen mit der Omikron-Untervariante B.5. führen nach aktuellem Wissen nicht zu schwereren Krankheitsverläufen als mit den bisherigen Omikron Untervarianten BA.1 oder BA.2», teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit.

Der renommierte US-Immunologe Anthony Fauci wagt keine abschliessende Beurteilung, meint aber, dass der Immunschutz durch eine bereits durchgemachte Infektion oder Impfung «ziemlich gut gegen einen schweren Krankheitsverlauf zu schützen scheinen». Dennoch könnten manche auch eine gegenteilige Erfahrung machen.

In der generellen Betrachtung kam Akiko Iwasaki, Professorin für Immunbiologie an der Yale-Universität, im Gespräch mit NBC News zu einer ähnlichen Einschätzung: «Es ist unwahrscheinlicher, dass man beim zweiten Mal kränker wird.»

Im Falle von Rahel Müller kam es anders. Im Juni wurde die Mittdreissigerin von der Sommerwelle erwischt – und zwar heftig. Am 25. Juni testete sie sich zum dritten Mal positiv auf das Coronavirus. «Am Vorabend, es war ein Freitag, war ich noch auswärts zum Nachtessen, alles war easy. Doch in der Nacht ging es mir hundsmiserabel.» Müller hatte abwechselnd heiss und kalt, bekam kein Auge zu. Doch am Samstag schleppte sie sich trotzdem zur Arbeit. «Auch auf dem Velo habe ich gefroren, aber ich dachte, das wäre vielleicht der kühle Fahrtwind.» Nach Feierabend ging sie erneut einen Test machen.

Die Heimfahrt vom Testcenter blieb ihr besonders schlimm in Erinnerung: «Ich hatte üble Kopfschmerzen und jede Bodenwelle hat mir unglaublich wehgemacht. So etwas habe ich noch nie erlebt.» Von Samstagnachmittag bis Montagmorgen lag sie flach, «ich mochte nicht einmal aufstehen, um ein Glas Wasser zu trinken». Als sie ein paar Tage später ätherische Öle inhalieren wollte, bemerkte sie, dass auch ihr Geruchssinn weg war. «Der Geruchssinn war komplett weg, das war eine erschreckende Erfahrung.» Nach einer Woche stellte sich jedoch wieder Normalität ein.

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Als ängstlich würde sich Rahel Müller trotz dieser Dreifachinfektion nicht bezeichnen: «Ich sperre mich jetzt nicht daheim weg. Das Leben findet ohnehin wieder im Freien statt, das kommt mir zugute.» Bei Anlässen in geschlossenen Räumen überlege sie sich manchmal schon, ob sie wirklich gehen wolle. Eine Schutzmaske trage sie aber nirgends mehr. «Ich passe nicht mega auf», räumt sie ein.

Was ihr nicht klar sei: Ob sie sich ein zweites Mal boostern lassen solle. «Ich weiss nicht, ob und wie lange mich das schützen würde. Und ich bin mir nicht einmal sicher, was gerade die offiziellen Empfehlungen sind.»

Die ungeimpfte Christelle Sutter hat trotz zweier schwerer Krankheitsverläufe Zweifel, etwa: ob eine Impfung gegen die Omikron-Variante überhaupt etwas nütze. Ausserdem höre sie von Impfnebenwirkungen, die sie sich nicht wünsche. «Da bin ich sehr skeptisch.» Über eine Impfung denke sie daher trotz allem nicht nach.

Die über 80-Jährigen im Fokus

Zunächst zur Frage nach dem Booster: Die Eidgenössische Kommission für Impffragen (Ekif) und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) empfehlen nur Personen über 80 Jahren, sich bereits jetzt den zweiten Booster zu holen. Dasselbe gilt für stark immungeschwächte Personen. Alle anderen – worunter auch die dreifach infizierte Rahel Müller fällt – könnten bis zum Herbst warten. Wer sich dennoch früher impfen lassen will, muss die Kosten selber tragen.

Die verfügbaren Imfpstoffe wurden allesamt vor dem Auftreten von Omikron entwickelt, angepasste Vakzine sind erst in der Entwicklung. Wie gut also schützt der Piks? Zusammengefasst: Vor einer Infektion schützt die Impfung – wegen der bereits erwähnten schlechten Immunantwort – nicht zuverlässig, wohl aber vor einem schweren Krankheitsverlauf mit Spitaleinweisung. Dieser Schutz werde «für zumindest kurze Zeit» wieder erhöht, erklärte Ekif-Präsident Christoph Berger vor den Medien. 

Im Falle von Ungeimpften – wie Christelle Sutter – hält das BAG auf Anfrage fest, dass eine Durchimpfung weiterhin empfohlen sei. Zu den wesentlichen Argumenten dafür zählt, dass die Impfung vor einem schweren Verlauf schütze. Eine Impfung sei zudem die sicherere Art, einen Immunschutz aufzubauen. Und: Man helfe so mit, das Gesundheitssystem zu entlasten und die Pandemie einzudämmen.

Nicht zuletzt mahnen Expert*innen, dass mit jeder Infektion auch das Risiko besteht, an Long Covid zu erkranken: «Je häufiger man das Virus bekommt, umso wahrscheinlicher hat man Pech und endet mit Long Covid – also dem Ding, das niemand von uns will, weil es so ernst sein kann», unterstrich vor Kurzem etwa David Nabarro, Corona-Experte bei der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Will heissen: Es lohne sich trotz Unklarheiten, eine Infektion zu vermeiden. 

*Namen auf Wunsch geändert

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