Schweizer Studie zu Hass im Netz Mädchen werden am häufigsten wegen ihres Aussehens gemobbt

Von Philipp Dahm

25.8.2021

Die Pandemie als Treiber von Hate Speech im Internet: Im Lockdown ist Plaggeistern und Hass-Kommentatoren gar nichts anderes übriggeblieben, als online zu pöbeln. Themenbild aus der Netflix-Serie «13 reasons why».
Die Pandemie als Treiber von Hate Speech im Internet: Im Lockdown ist Plaggeistern und Hass-Kommentatoren gar nichts anderes übriggeblieben, als online zu pöbeln. Themenbild aus der Netflix-Serie «13 reasons why».
Symbolbild: KEYSTONE

Wie haben sich Jugendliche in der Pandemie informiert? Welche Sorgen haben sie, wie gehen sie damit um – und welche Rolle spielt bei ihnen das Online-Mobbing? Eine Studie gibt Antworten.

Von Philipp Dahm

Die Pandemie und der Lockdown haben nicht nur den Erwachsenen alles abverlangt, auch der Nachwuchs kam an und über seine Grenzen: «Für viele Jugendliche fiel die gewohnte Alltagsstruktur und ein wichtiger Ort des sozialen Austauschs weg», hält der neue JamesFocus-Bericht fest. «Auch in der Freizeitgestaltung waren Jugendliche stark eingeschränkt.»

«Mute the Hate»

Hatespeech gehört im digitalen Raum leider zum Alltag. Dank des neuen Instagram-Guides «Mute The Hate» von Swisscom gibt es jetzt eine einfache Anleitung, wie du richtig auf Hass und Cybermobbing reagierst. Joya Marleen tritt am diesjährigen Energy Air auf am 4. September.

Unter den besonderen Umständen wird das Internet zum Zufluchtsort, zur ablenkenden Spielwiese, zur Möglichkeit für die Kommunikation mit anderen und auch zur Quelle für Informationen. Etwa ein Drittel der befragten Jugendlichen liest kaum, also maximal einmal wöchentlich über die Seuche nach, ein weiteres Drittel informiert sich regelmässig, also mehrmals pro Woche, und das letzte Drittel beschäftigt sich intensiv mit dem Thema.

Wie oft treffen Kinder und Teenager dabei auf Online-Mobbing und Hate Speech? Wo informieren sie sich, und welche Ängste haben sie? Was sagt der Bericht über die Unterschiede aus, und wie haben die Betroffenen ihre Probleme bewältigt? Antworten gibt der JamesFocus-Bericht der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Swisscom, für den in der Schweiz tausend Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren befragt worden sind. 

Wie viele Jugendliche betrifft Hate Speech?

Mit Online-Mobbing ist rund jeder zweite Jugendliche konfrontiert: 53 Prozent der Mädchen und 41 Prozent der Jungen geben an, im Lockdown regelmässig auf herabwürdigende Kommentare zu stossen. Das Problem nimmt zu, je älter die Betroffenen werden: Die 16- bis 19-Jährigen trifft es am häufigsten.

Eine Schülerin mit Handy: 53 Prozent der Mädchen hat hierzulande schon Hasskommentare bekommen.
Eine Schülerin mit Handy: 53 Prozent der Mädchen hat hierzulande schon Hasskommentare bekommen.
Symbolbild: KEYSTONE

Werden Mädchen also häufiger runtergemacht? «Es ist schwierig zu beurteilen, ob Mädchen sich tatsächlich häufiger mit solchen Meldungen konfrontiert sehen», erklärt die an der Studie beteiligte ZHAW-Medienpsychologin Céline Külling, «oder ob es unterschiedliche Wahrnehmungen darüber gibt, was überhaupt als Hassrede empfunden wird.»

Am häufigsten werden Jugendliche im Internet wegen ihres Aussehens beleidigt. Hier sind insbesondere Mädchen betroffen: 81 Prozent kennen das Problem. Jugendliche berichten aber auch von Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung, Herkunft und Hautfarbe. Drei Viertel der Mädchen geben an, Hasskommentare würden sie entsetzen oder traurig machen – bei den Jungen sind es dagegen nur zwei Fünftel.

Was an der Pandemie besorgt Jugendliche?

Während die Befragten kaum davor Angst haben, selbst zu erkranken, machen sie sich grosse Sorgen, dass Menschen in ihrem Umfeld schwer infiziert werden könnten. Die Pandemie hat vielen Jugendlichen Sorgen um Gegenwart und Zukunft beschert, wie die Grafik zeigt:

Sorgen und Ängste rund um Corona nach Landeteil.
Sorgen und Ängste rund um Corona nach Landeteil.

Wer nun denkt, aus den Unterschieden zwischen den Landesteilen darauf schliessen zu können, dass Deutschschweizer weniger in der Familie verwurzelt oder gar sorgloser sind, irrt sich: Die Deutschschweiz war weniger stark von Krankheit und Tod betroffen als die Romandie – und vor allem das Tessin.

Was ist am schlimmsten am Lockdown?

Zwei Drittel der jungen Schweizer leidet darunter, keine Freunde treffen zu können, während 58 Prozent beklagen, nicht ihren Hobbys nachgehen zu können. Mädchen belastet die Lage jedoch stärker als Buben, wobei es bei der Einschränkung der Freiheit oder der Belastung in der Schule oder beim Job die deutlichsten Unterschiede gibt: Hier stehen 51 und 46 Prozent 38 und 33 Prozent bei den Jungs gegenüber.

Einen klaren Unterschied gibt es auch nach Landesteilen: Tessiner machen die sozialen Kontaktbeschränkungen mehr zu schaffen als Romands und Deutschschweizern. Letztgenannte haben signifikant weniger Probleme mit dem Zuhausebleiben und auch weniger Umstellungsprobleme bei Schule oder Arbeit.

Belastung während des Lockdowns nach Landesteilen.
Belastung während des Lockdowns nach Landesteilen.

Woher kommen die Informationen?

Jugendliche erfahren einerseits durch persönliche Gespräche (67 Prozent) und andererseits durch TV (61 Prozent) das Meiste zur Pandemie. Mädchen sind dabei eindeutig sozialer: Während hier drei Viertel angeben, durch Gespräche viel zu erfahren, sind es bei den Jungen nur 56 Prozent.

Je nach Landesteil unterschiedlich ist der Stellenwerts des Fernsehens, der in der Deutschschweiz auf 55 Prozent der Nennungen kommt, in der Romandie jedoch auf 71 Prozent und im Tessin mit 73 Prozent sogar noch vor der persönlichen Besprechung rangiert.

Hauptsächliche Informationskanäle nach Landesteilen – Mehrfachnennungen möglich.
Hauptsächliche Informationskanäle nach Landesteilen – Mehrfachnennungen möglich.

Viel Mediennutzung = mehr Ängste?

Wie häufig sich Jugendliche informieren, ist relativ ähnlich – unabhängig von Geschlecht oder Alter. Die Forscher haben aber auch das Leseverhalten mit den Ängsten korreliert. Und tatsächlich gibt es einen Zusammenhang zwischen starker Mediennutzung und den Sorgen, die sich die Befragten machen.

Einen kausalen Zusammenhang kann man daraus aber nicht schliessen: Es ist nicht klar, ob die Jugendlichen mehr Ängste haben, weil sie viele Medien konsumieren, oder ob sie sich mehr informieren, weil sie mehr Ängste durchstehen.

Drogen werden kaum als Lösung angesehen

Insgesamt haben sich 64 Prozent der Jugendlichen an die öffentlichen Empfehlungen gehalten. Noch 38 Prozent haben über ihre Gefühle gesprochen, wobei die Zahl mit dem Alter zunimmt: Bei den 12- und 13-Jährigen sind es 26 Prozent, bei den 14- und 25-Jährigen 32 Prozent und bei den 16- und 17-Jährigen dann 45 Prozent.

Problemfokussierte Verhaltensweisen nach Geschlecht.
Problemfokussierte Verhaltensweisen nach Geschlecht.

Auch emotionsfokussierte Bewältigungsstrategien werden wie die problemfokussierten von Mädchen häufiger als von Buben angewandt. Erfreulich: Der Fluchtreflex in Nahrungsmittel oder Drogen ist nicht sehr stark ausgeprägt.

Emotionsfokussierte Verhaltensweisen nach Geschlecht.
Emotionsfokussierte Verhaltensweisen nach Geschlecht.

In diesem Punkt bilden die Tessiner eine kleine Ausnahme: Die Ablenkung mit Schule, Arbeit oder anderen Aktivitäten ist dort mit 67 Prozent viel ausgeprägter als in der Romandie (47 Prozent) oder der Deutschschweiz (41 Prozent). Auch das positive Denken spielt dort eine grössere Rolle: 59 Prozent stehen 54 und 45 Prozent gegenüber.