Massnahmen auf dem PrüfstandMacht der Bundesrat die Schweiz wieder ein bisschen locker?
uri/dor mit Material von SDA
17.2.2021
Angesichts sinkender Fallzahlen wächst der Druck auf den Bundesrat, die Massnahmen wieder zu lockern. Die Experten des BAG dagegen drücken auf die Bremse. Wie entscheidet sich die Landesregierung?
Am heutigen Mittwoch trifft sich der Bundesrat, um die aktuelle Corona-Lage zu besprechen – und die noch bis Ende Monat schweizweit geltenden Massnahmen. Zuletzt wurde der Druck auf die Regierung immer grösser, Lockerungen vorzunehmen. Ob die Schutzmassnahmen womöglich angepasst werden, wird am Nachmittag bei einer Medienkonferenz des Bundesrats zu erfahren sein. Definitive Entscheide will die Regierung aber erst in einer Woche, am 24. Februar, fällen. Zuerst sollen die Kantone angehört werden.
Der Bundesrat will einen Mechanismus vorschlagen, der jeweils per Monatsanfang neue Lockerungsschritte vorsehe – sofern die Fallzahlen dies zulassen, schreibt der «Blick» unter Berufung auf Quellen in Regierungskreisen. Als Erstes sollen Einrichtungen wie Museen geöffnet werden, in denen der Abstand gewahrt werden kann und Masken getragen werden. Auch die baldige Öffnung von Läden – mit strengen Auflagen – sei vorgesehen. Generell sei aber zuerst mit Lockerungen für Tätigkeiten im Freien zu rechnen, da dort das Ansteckungsrisiko geringer ist als in Innenräumen.
An Forderungen von Verbänden, Kantonen und Vertretern der Kulturbranche mangelt es nicht – eine Auswahl:
Lockerungen im Freien gefordert
Bereits am Sonntag hatte der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse gemeinsam mit anderen Verbänden aufgrund der stark verbesserten epidemiologischen Lage in einer Mitteilung gefordert, zu Anfang März dort zu lockern, «wo ein tiefes Ansteckungsrisiko besteht – also bei den meisten Tätigkeiten im Freien wie Eislaufen, Velofahren oder Wandern».
Zudem forderte der Verband die Beschränkung auf fünf Personen für Versammlungen im öffentlichen Raum aufzugeben oder wenigstens zu lockern. Laut «Blick» will der Bundesrat diese Beschränkung von fünf auf 15 Personen erhöhen.
Die Forderung von Economiesuisse, dass Restaurants im Aussenbetrieb wieder öffnen können sollten, dürfte dem Bericht zufolge noch nicht erfüllt werden. Selbst auf der Terrasse dürfte die Bewirtung nicht so rasch erlaubt werden.
Geschäfte sollen wieder öffnen dürfen
Auch aus den Kantonen kamen am Wochenende vielfach entsprechende Forderungen. «Lockerungen sind jetzt möglich», sagte der Walliser Regierungspräsident Christophe Darbellay (CVP) in der «SonntagsZeitung». Zugleich verlangte er, dass als Nächstes «die Geschäfte für Waren des nicht täglichen Bedarfs wieder öffnen».
Für den Genfer Gesundheitsdirektor Mauro Poggia (MSG) haben Ladenöffnungen ebenfalls hohe Priorität. Ausserdem sollten auch Sportanlagen, Fitnesszentren und Schwimmbäder wieder zum 1. März öffnen, wie er dem «SonntagsBlick» sagte.
Auch die Kultur meldete sich zu Wort. Hunderte Kulturschaffende machten am Samstag in mehreren Westschweizer Städten auf ihre schwierige Lage aufmerksam. In einem offenen Brief an die Behörden forderten zudem 31 Westschweizer Dach- und Berufsorganisationen eine schrittweise Öffnung kultureller Institutionen, die seit fast vier Monaten geschlossen sind.
Am gestrigen Dienstag schliesslich verlangte auch der Schweizerische Gewerbeverband SGV die sofortige Zulassung von Terrassen- und Outdoorbetrieben in der Gastronomie sowie von Outdoorverkauf im Detailhandel. Für den 1. März 2021 solle zudem die komplette Öffnung der Wirtschaft erfolgen, wie der Verband vor den Medien darlegte. Der Verband verlangt zudem in einer Mitteilung, dass Corona-Tests intensiviert und ausgeweitet werden, um die Ansteckungsketten zu unterbrechen. Ausserdem müsse das vollständige Impfprogramm per Ende Juni 2021 abgeschlossen sein.
Bundesrat Alain Berset hatte vergangene Woche in einem Interview mit «Le Nouvelliste» angedeutet, dass es gewisse Lockerungen geben könnte. Allerdings dürften diese dann ausbleiben, wenn Berset voll und ganz auf seine wissenschaftlichen Berater hört.
Kritische Stimmen aus dem BAG
So erklärte Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) ebenfalls am Dienstag vor den Medien in Bern, dass die Öffnung von Restaurants und Läden nicht bedenkenlos möglich sei, weil die Schutzkonzepte die Pandemie nicht verhindern und eine Ansteckung mit dem Coronavirus nicht stoppen könnten.
Auf die Frage nach einer Lockerung des coronabedingten Lockdowns oder einer Öffnung der Wirtschaft ab 1. März verwies Mathys auf die Entscheidungsmacht des Bundesrates. Er wolle nicht vorgreifen, denn die Situation sei «immer noch äusserst fragil». Immerhin steige die Zahl der ansteckenderen Coronavirus-Mutationen weiter an – um wie viel, sei allerdings nicht zuverlässig zu beziffern.
Auch Virginie Masserey, Leiterin Sektion Infektionskontrolle beim Bundesamt für Gesundheit (BAG), erklärte, klare Ansagen und Perspektiven für die Bevölkerung seien aktuell nicht möglich. Momentan gebe es noch zu viele Unsicherheiten, die Lage müsse erst noch klarer werden.
Ebenfalls sah Linda Nartey, Berner Kantonsärztin und Vizepräsidentin der Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte, in der Medienkonferenz derzeitige Lockerungen nicht angezeigt. Sie sagte, die Kantonsärztinnen und -ärzte würden zudem zunehmend mit der Ungeduld und dem Unmut in der Bevölkerung konfrontiert. Die Stimmung sei zwar verständlich, «aber die Sorge um die Mutation ist weiterhin gross». Es sei unklar, wie es weitergehe.
Auch wenn es niemand mehr hören wolle, es brauche weiterhin Geduld und Solidarität bei den Massnahmen, um diese Pandemie erfolgreich bekämpfen zu können, so Nartey. Das Ziel sei, «hoffentlich bis zum Sommer hin eine bessere Situation zu bekommen».
Bis zum Sommer ist es tatsächlich noch etwas hin. Dafür wird man bereits heute herausfinden, ob der Bundesrat mehr auf die Stimmen aus der Wissenschaft oder auf die aus Wirtschaft und Politik hört.