Jetzt mal ehrlichKeller-Messahli: «Die Schweiz ist für Islamisten ein Rückzugsort»
Silvana Guanziroli
7.1.2019
Sie warnt vor der schleichenden Islamisierung in der Schweiz. Kritiker werfen ihr vor, sie habe sich selbst radikalisiert. In der «Bluewin»-Rubrik «Jetzt mal ehrlich» stellt sich Islam-Kennerin Saïda Keller-Messahli auch unangenehmen Fragen.
Frau Keller-Messahli, Sie sind Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam. Jetzt mal ehrlich: Gibt es diesen Islam überhaupt?
Aber sicher. Er wird von mindestens 85 Prozent der muslimischen Bevölkerung in der Schweiz gelebt. Doch leider gelangen nur die negativen Ereignisse rund um den Islam in die Schlagzeilen. Wenn etwas völlig unauffällig, normal und nicht beunruhigend ist, dann interessiert es niemanden. Und das gilt auch für den fortschrittlichen säkularen Islam.
Sie fordern, dass sich die Anhänger des säkularen Islams besser organisieren. Dafür werden Sie selbst immer wieder bedroht. Warum und in welcher Form?
Wir Muslimen, die eine klare Trennung von Politik und Religion fordern, sind eine Bedrohung für die Vertreter eines Islams, die ihre Religion als politisches Programm sehen. Hier spreche ich ganz konkret von gut organisierten, vernetzten Islamverbänden in der Schweiz. Für diese Verbände wirken wir bedrohlich, weil wir die Mehrheit der Muslime darstellen, zwar unorganisiert, aber eben die Mehrheit.
Dort, wo Religion einen poltischen Anspruch erhebt, entstehen Konflikte und Gewalt – und das will ich nicht hinnehmen. Als säkulare Muslimin äussere ich diese Meinung mit Überzeugung. Und dafür werde ich diskreditiert, verleumdet und eingeschüchtert. Ich habe schon diverse Drohungen erhalten und habe diese bei der Polizei angezeigt. Aber ich habe keine Angst vor meinen radikalen Gegnern, doch ich glaube: sie vor mir.
«Ich habe diverse Drohungen erhalten und diese bei der Polizei angezeigt.»
Saïda Keller-Messahli, Islam-Kennerin
Sind solche Drohungen der Grund, weshalb es in der Schweiz keine liberale Moschee – wie Sie etwa 2017 in Berlin mitbegründet haben – gibt?
Leider ist das so. Aber es ist auch in der Schweiz höchste Zeit dafür. Wie viele Frauen und Männer wünsche ich mir einen Ort, an dem ich gleichberechtig bin, an dem ich Seite an Seite mit den Männern beten kann. Oder an dem ich auch mal einer intelligenten Predigt einer Frau lauschen darf, statt immer die gleichen martialischen Worte der Imame hören zu müssen.
Doch dafür braucht es mutige Menschen, die mit ihrem Gesicht und ihrem Namen dafür eintreten. Ich vermisse es, dass Muslime hierzulande aufstehen, sich zu Wort melden und sagen: 'Die bestehenden Islamverbände sprechen nicht für mich. Ich lebe einen ganz anderen Islam'. So lange sich Muslime einschüchtern lassen, wird sich nichts ändern.
Sie sprechen von gutorganisierten Islamverbänden, die Druck ausüben. Was meinen Sie damit genau?
Islamverbände repräsentieren die fast 300 Moscheen der Schweizer mit ihren verzweigte Hierarchien und internationalen Netzwerken. Die meisten muslimischen Gotteshäuser, Stiftungen und Organisationen sind nur Fassade und der verlängerte Arm ausländischer Organisationen. Imame haben in der Regel ein Mandat eines anderen Landes – zum Beispiel aus Bosnien, dem Kosovo, Mazedonien oder aus der Türkei. Das wirft bei mir die Frage auf: 'Welcher Gesetzgebung sind diese Prediger verpflichtet? Wem gegenüber schulden sie Rechenschaft?' Es ist bekannt, dass reiche Golfstaaten gerade die ärmeren genannter Länder mit viel Geld auf Kurs bringen wollen. Selbst die Türkei hat vor vier Jahren ein Kooperationsvertrag mit Qatar unterzeichnet. Und normalerweise ist es ja so, dass derjenige bestimmt, der bezahlt.
Sie nennen Moscheen in der Schweiz beim Namen, wenn Sie glauben, sie radikalisieren ihre Gemeinde. In einem Fall in St. Gallen haben Sie sich gegen die Einbürgerung eines Imans gewehrt. Die Regierung widersprach, bürgerte den Mann ein und warf Ihnen vor, Sie hätten sich im Kampf gegen den Islamismus selbst radikalisiert. Was sagen Sie dazu?
Mir ist diese Aussage des St. Galler Regierungsrates Fredy Fässler bekannt, aber ich muss sie entschieden zurückweisen. Was habe ich dem betroffenen Imam Bekim Alimi vorgeworfen: Er hat sich wiederholt mit Personen wie etwa Nicolas Blancho, dem umstrittenen Präsidenten des Islamischen Zentralrat Schweiz (IZRS), dem als «Hassprediger» bezeichneten kosovarischen Imam Shefqet Krasniqi oder dem antisemitischen Imam Imberja Hajrullai getroffen. Als Präsident des DIGO (Dachverband Islamische Gemeinschaft Ostschweiz und Liechtenstein) muss er sich wenigstens die Frage anhören, warum der salafistische Abgeordnete aus Kosovo, Gezim Kelmendi, in einer seiner Moscheen im Kanton Thurgau aufgetreten ist. Für mich rückt er sich damit in die Nähe der islamistischen Szene.
Als Muslimin in der Schweiz fühle ich mich von diesem Mann nicht vertreten. Das will und kann ich nicht akzeptieren. Mir geht es nicht darum, jemanden an den Pranger zu stellen. Mir geht es darum, dass die zuständigen Behörden an den richtigen Stellen genauer hinschauen.
Sie finden also, die Schweizer Behörden tun zu wenig? Haben diese Stellen überhaupt die Möglichkeit, Islamisten zu erkennen?
Im Bereich des Islams verschlafen wir sehr viel. Wir wollen unbedingt politisch korrekt sein und ja keine Minderheit kritisieren. Doch das ist der falsche Weg. Man muss ganz genau hinschauen, um radikale Prediger und ihre kulturellen Codes zu erkennen.
Wie viele radikale Prediger es in der Schweiz gibt, kann ich nicht sagen. Aber ich bin überzeugt, dass die Mehrheit einen politischen Islam verfolgt. Politisch im Sinn, dass sie schon den kleinen Kindern beibringen, wie sie ihr Leben zu führen haben. So müssen schon drei- bis vierjährige Mädchen mit strengem Kopftuch verschleiert in die Moschee. Die älteren Kinder müssen in ihrer Freizeit in die Koranschule. Wenn sie Kinder so erziehen, ist es fast unmöglich, sie in unsere Gesellschaft zu integrieren. Gleichberechtigung, Selbstbestimmung, kritisches Denken ist etwas, was sie nicht kennen. Hier liegt der Ursprung für Jugendliche, die aus der Schweiz in den Dschihad ziehen. Wie einige Fälle – vor allem aus Winterthur, Genf und Arbon – zeigen.
In umliegenden Ländern kam es wiederholt zu Terroranschlägen. Die Schweiz blieb verschont. Welche Rolle spielt sie im Terrornetzwerk?
Ich denke, dass die Schweiz für Islamisten ein Rückzugsort ist. Über diesen Finanzplatz finden Geldflüsse statt. Wir wissen auch, dass die Muslimbruderschaft hierzulande, auch über Islamverbände, aktiv ist und die Kanäle kennt und nutzt.
Zudem werden alle grossen Moscheebauten aus dem Ausland finanziert. Der Bau solcher Gebäude kostet mehrere Millionen Franken. Diese Summen sind aus den muslimischen Gemeinden hierzulande gar nicht zu stemmen. Ich weiss, dass Kuwait bei der Moschee in Wil die Finger drin hat, gleich viel Geld steckte der arabische Staat in eine albanische Moschee in Plan-les-Ouates, Genf, nämlich 4 Millionen Franken.
Sie werden gerne als die mutigste Frau der Schweiz bezeichnet. Sie legen sich mit Radikalen, aber auch den gemässigten Islamvereinen an. Stehen Sie nicht allzu oft allein da? Ist es das wert?
Die Islamverbände sehe ich nicht als ‘gemässigt’. Ich sehe es als meine Aufgabe an, die Bevölkerung aufzurütteln. Es darf nicht passieren, dass die männlich islamisch geprägte Welt der Moscheen überhandnimmt und diktiert, wie wir zu leben haben. Wenn wir die Augen verschliessen, befürchte ich für die Schweiz Parallelgesellschaften, wie sie etwa Belgien, Deutschland, Schweden und Frankreich kennen. In England bestehen bereits über 80 Scharia-Gerichte. Das ist eine teilautonome Rechtsstruktur, die sich um das Familienrecht kümmert und sogar Scheidungen nach der Scharia durchführt.
Solche Gerichte gibt bei uns noch nicht. Der DAIGS (Dachverband der albanisch-islamischen Gemeinschaften in der Schweiz, Anm. der Redaktion), mit mindestens 60 Moscheen, hat aber einen Fatwa-Rat. Fatwas sind Gelehrten-Meinungen zu einer Frage des Lebens. Wie zum Beispiel: 'Darf die Tochter in den Ausgang, ist das für eine Muslimin rechtschaffen oder nicht?' Damit wird dem islamischen Recht in der Schweiz Tür und Tor geöffnet. Noch haben wir die Chance, das zu verhindern.
Sie bezeichnen sich selbst als Muslimin. Sie reden aber nicht über Ihren Glauben. Sind Sie gläubig?
Glaube ist etwas sehr Intimes. Die Frage danach hat für mich den gleichen Stellenwert wie: 'Sagen Sie mir, wie oft Sie pro Woche Sex haben.' Und das beantworte ich ja auch nicht. Mein Glaube ist Teil meiner Privatsphäre. Das schliesst aber nicht aus, dass ich mit Menschen über Religion reden kann. Das ist für mich kein Widerspruch, denn meine Arbeit ist eine religionspolitische Tätigkeit.
Die gebürtige Tunesierin Saïda Keller-Messahli kam durch «Terre des hommes» in eine Pflegefamilie in Grindelwald BE. Dort lebte sie von ihrem achten bis zum 13. Lebensjahr. Ende der 1970er Jahre begann Keller-Messahli ein Studium der Rechtswisschenschaft an der Universität Zürich, wechselte dann zur Romanistik, Englische Literatur und Filmwissenschaft. Keller-Messahli war Gründerin und Geschäftsführerin der «Stiftung für Palästina» und wurde als solche vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten als internationale Beobachterin nach Hebron entsandt. Keller-Messahli spricht arabisch und gilt als versierte Islam-Kennerin.