Extremwetter In Sachen Hitzeplan steht die Schweiz ziemlich «blank» da

uri

18.7.2022

Hitzewelle hat Teile Europas fest im Griff

Hitzewelle hat Teile Europas fest im Griff

In Grossbritannien und Frankreich wurden am Montag nach Einschätzungen der Wetterdienste noch nie gemessene Rekordtemperaturen erwartet.

18.07.2022

Die Hitzewelle hat Südeuropa seit Tagen fest im Griff. Nun kommt das Extremwetter auf die Schweiz zu – und dürfte auch hier für Tote sorgen. Für wen wird die Hitze zum Risiko? Und: Wie gut ist die Schweiz vorbereitet?

uri

Hitzewellen waren in den vergangenen 20 Jahren die gefährlichsten Wetterextreme in Europa, wie die internationale Katastrophen-Datenbank EM-DAT zeigt. Demnach sind auf dem Kontinent mehr als 90 Prozent der extremwetterbedingten Todesopfer auf besonders ausgeprägte Hitzeperioden zurückzuführen, wie ein Experte dem Nachrichtenmagazin «Spiegel» erklärte.

Auch in der Schweiz führt Hitze bei gleichzeitiger Alterung der Bevölkerung bereits zu Übersterblichkeit: Demnach erlagen solch hohen Temperaturen in den 1970er Jahren im Schnitt noch 78 Personen pro Jahr. Im Jahrzehnt zwischen 2000 und 2010 waren es dann über 300, wie eine in der Fachzeitschrift «Environmental Health Perspectives» erschienene Studie der Universität Bern zeigt.

Am stärksten von der Übersterblichkeit betroffen waren demnach die Kantone Genf, Zürich und Basel und das Tessin – zwei Drittel der Hitzetoten waren Personen über 80 Jahre. Wie die Berner Letztautorin der Studie Dr. Ana Vicedo Cabrera erklärte, deuten die Studienergebnisse zwar darauf hin, «dass die nach der Hitzewelle von 2003 ergriffenen Massnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit wirksam waren».

Leere Stuehle auf dem hitzigen Sechseläuteplatz am 17. Juli 2022 in Zürch.
Leere Stuehle auf dem hitzigen Sechseläuteplatz am 17. Juli 2022 in Zürch.
Bild: Keystone

Allerdings sei «die hitzebedingte Gesundheitsbelastung nach wie vor beträchtlich» und werde sich «in den kommenden Jahrzehnten aufgrund des Klimawandels noch verstärken». Vor diesem Hintergrund seien grössere und nachhaltige Anstrengungen im Bereich der öffentlichen Gesundheit nötig, «um die Bevölkerung vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen».

Wie wirkt die Hitze auf den Körper?

Die übermässige Belastung des Körpers, beim Versuch, sich zu kühlen, kann «zu Kreislaufproblemen und Flüssigkeitsverlust führen und so Erschöpfung und Hitzschlag auslösen» und «bestehende Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-, Atemwegs-, Nieren- oder psychische Erkrankungen verschlimmern. Das halten Martina S. Ragettli Martin Röösli vom Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) in einer im März 2021 im Fachmagazin «Primary and Hospital Care» veröffentlichten Studie fest.

Neben den Kreislaufbelastungen kann zudem durch den Flüssigkeitsverlust das Blut dicker werden, was die Gefahr von Thrombosen erhöht. Alle diese Faktoren führen zu einer höheren Sterblichkeit. Diese zeigt sich denn auch direkt am besten an den Hitzetagen direkt, wie Ragettli und Rössli schreiben. Bei Tageshöchsttemperaturen von 30°C steige das hitzebedingte Sterberisiko laut verschiedenen Untersuchungen erheblich an und nehme mit jedem zusätzlichen Grad nochmals stark zu.

Wer hat ein besonders hohes Risiko?

Eine erhöhte Sterblichkeit bei Hitzeperioden ist vor allem bei Personen ab 75 Jahren zu beobachten. Ursachen dafür sind laut Ragettli und Röösli, dass bei Älteren verschiedene Risikofaktoren zusammenkommen und ihre Anpassungsfähigkeit altersbedingt abnimmt. Dazu kommen «körperliche und kognitive Einschränkungen, erhöhte Prävalenzen von chronischen Erkrankungen und Medikamenteneinnahme».

Nicht zuletzt würden ältere Menschen die Hitze aber auch weniger spüren und hätten ein vermindertes Durstgefühl. Riskant werden kann Hitze aber auch für Kleinkinder, schwangere Frauen und chronisch Kranke. Hier sind die körpereigenen Funktionen zur Körperkühlung mitunter noch nicht komplett entwickelt oder womöglich eingeschränkt, wie Ragettli und Röösli schreiben.

Was wird in der Schweiz bereits unternommen?

Während in Ländern wie Frankreich, Italien oder Belgien angesichts der Hitze bereits nationale Notfallpläne aktiviert wurden, stehen die Schweiz, Deutschland und Österreich laut der deutschen Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann «blank da». Wie sie in ihrem Buch «Überhitzt» kritisiert, habe man hier nach den vergangenen Hitzewellen zu wenig unternommen.

«Blank» scheint indes im Falle der Schweiz etwas übertrieben, wie bereits oben erwähnten Studie hervorgeht. Schliesslich haben die seit 2003 eingeleitete Massnahmen die Zahl der Hitzetoten bereits gesenkt. Laut Regettli und Röösli hat eine Befragung Anfang 2019 zudem ergeben, dass mehr als die Hälfte der Kantone – die auch für die Einführung von Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung zuständig sind – zu diesem Zeitpunkt bereits aktiv wurden.

Und in den Kantonen?

Die Forschenden stellen hier allerdings grosse kantonale Unterschiede fest – und das nicht zuletzt zwischen den Sprachregionen. So seien in der Deutschschweiz etwa nur «vereinzelt Massnahmen zur Bildung und Information in Kraft», während die Westschweiz und das Tessin Hitzeaktionspläne auf Basis von WHO-Empfehlungen in Gang gesetzt hätten.

Am aktivsten war man gemäss der Studie in den Kantonen Waadt, Genf und Tessin. Hier würden bereits vor der Sommerzeit Kampagnen gefahren, um die Bevölkerung zu sensibilisieren und über das richtige Verhalten zu informieren, und während der Hitzewellen selbst Massnahmen durchgeführt, um vor allem die besonders vulnerablen Personen zu schützen.

Allen Hitzeaktionsplänen gemeinsam sei ein Frühwarnsystem, das zusammen mit Meteoschweiz betrieben werde, heisst es im Bericht. Zudem werde das hitzebedingte Krankheitsgeschehen überwacht, um Massnahmen zu evaluieren und zu planen.

Was tut der Bund?

Laut der Befragung bei den Kantonsärzten im Jahr 2019 unterstützt der Bund die Kantone bei der Ausarbeitung und Umsetzung vom Massnahmen. Viele Kantone würden zudem zudem auf Infomaterial des Bundesamts für Gesundheit (BAG) und das Bundesamts für Umwelt (BAFU) zurückgreifen.

Mittels einer «Hitzewelle-Massnahmen-Toolbox», die im Rahmen der Umsetzung des Aktionsplans «Anpassung an den Klimawandel» des Bundes erarbeitet wurde, können Kantonsbehörden zudem mögliche Massnahmen bei Hitzewellen planen und implementieren. Die Toolbox könne demnach «als ‹Rezeptbuch› genutzt werden und hat das Ziel, den Aufwand von interessierten Akteuren bei der Planung von Massnahmen zu reduzieren».

Was zeigt der Blick ins Ausland?

Weiter als in der Schweiz ist man bereits in Ländern wie Belgien, Italien und Frankreich, wo nationale Notfallpläne gegen die Hitze greifen. In Frankreich etwa reagierte man auf den Extremsommer des Jahres 2003, in dem fast 20‘000 Menschen an Hitzefolgen starben, schon ein Jahr später mit dem sogenannten «Plan Canicule».

Der französische Hitzeplan ist dabei nach vier Stufen in den Farben von Grün bis Rot gestaffelt. Zwischen 1. Juni und 31. August gehen die Behörden grundsätzlich in Alarmbereitschaft und fahren Informationskampagnen, wie das Nachrichtenportal RND berichtet. Bei Warnstufe drei (Orange) können die Departements Massnahmen wie das Verbot öffentlicher Versammlungen anordnen.

Im extremsten Fall können ministerielle Krisenstäbe eingerichtet und freiwillige Verstärkung für medizinische Personal angefordert werden. Zudem können dann Spitäler oder Pflegeeinrichtungen Mitarbeitende aus den Ferien zurückbeordern. Finanziert werden die Aktionen durch einen ebenfalls im Jahr 2004 eingeführten «Solidaritätstag», wonach jeder Arbeitnehmende sieben Stunden pro Jahr mehr arbeiten muss.

Was muss langfristig getan werden?

Wie die Basler Wissenschaftlerin Ragettli vom dortigen Tropeninstitut blue News sagte, braucht es neben der notwendigen persönlichen Anpassung an die heissen Tage – wofür Gesundheitspersonal und Bevölkerung sensibilsiert werden müssen – und dem Schutz der Risikobevölkerung auch langfristige Massnahmen bei der baulichen Infrastruktur und Raumplanung.

So sollten künftig stadtplanerische und architektonische Massnahmen dabei helfen, die Hitzebelastung zu reduzieren, etwa durch Isolation von Gebäuden, gute Beschattung und ausreichend viele Grünräume und Begrünung.

Wie kann man sich persönlich auf eine Hitzewelle vorbereiten?

Jeder kann selbst etwas unternehmen, um sich auf heisse Tage vorzubereiten. Dazu gibt es die drei goldenen Regeln für Hitzetage vom BAG:

1. Körperliche Anstrengungen vermeiden.

2. Hitze fernhalten und den Körper kühlen.

3. Viel trinken und leicht essen.