Chef-Testpilot des F-35«Ich bin jedes Mal heil nach Hause gekommen»
Von Anna Kappeler
2.7.2021
Der F-35 ist ein Computer mit Flügeln – den noch kein einziger Schweizer Pilot geflogen ist. Wie sich der Kampfjet beim Fliegen wirklich anfühlt, erzählt der US-Chef-Testpilot im Interview.
Von Anna Kappeler
02.07.2021, 06:45
23.09.2021, 09:47
Anna Kappeler
Der Bundesrat will 36 Kampfflugzeuge des Typs F-35 kaufen (hier der Ticker zum Nachlesen). Diese werden vom Hersteller Lockheed Martin als «fünfte Generation» angepriesen, weil sie mit «besonders fortgeschrittenen Technologien» ausgerüstet sind.
Klingt kompliziert. Ist es wohl auch. In der Schweiz kann dazu kein einziger Pilot wirklich Auskunft geben, weil hier noch niemand den F-35 geflogen ist. Dies, weil der Jet ein Einsitzer ist. Und die hiesigen Piloten zuerst dafür ausgebildet werden müssen (siehe Box weiter unten).
Heisst: Testen konnten die Schweizer Piloten den F-35 bisher nur im Simulator.
Ein Problem? Nein, versichert das Verteidigungsdepartement auf Anfrage von «blue News». «Die Ziele der Erprobung in der Schweiz konnten auch erreicht werden, wenn ausländische Piloten die Flugzeuge flogen», sagt ein Sprecher. Die aus den Erprobungsflügen gewonnenen umfangreichen Cockpit-Videoaufzeichnungen und Daten seien durch Schweizer Piloten und Schweizer Ingenieure analysiert und ausgewertet worden.
Zum Vergleich: Die drei anderen evaluierten Flieger Rafale, Eurofighter und F/A-18 wurden von hiesigen Piloten testgeflogen.
Anruf nach Amerika
Also Anruf bei Tony «Brick» Wilson, dem F-35-Chef-Testpiloten von Lockheed Martin. Via Skype erreichen wir ihn. «Good Morning», begrüsst er uns gutgelaunt, denn bei ihm in Fort Worth in Texas ist es Vormittag, bei uns bereits 16 Uhr.
Tony ‹Brick› Wilson, wie fühlt sich das an, einen Kampfjet zu fliegen?
Das Erste, was mir als Pilot durch den Kopf schiesst: Oh, das fühlt sich ja fast gleich an wie im Simulator. Der zweite Gedanke: Der F-35 ist wirklich einfach zu fliegen. Das ist auch wichtig. Als Pilot will ich mich nicht so sehr darauf fokussieren müssen, wie ich das Flugzeug fliegen muss. Sondern darauf, meine Mission zu erfüllen. Ich muss also die Kapazität haben für alles, was ausserhalb meines Flugzeugs vor sich geht. Ich muss etwa ein Flugzeug, das in meinen Luftraum eingedrungen ist, hinausbegleiten oder es notfalls exekutieren können.
Ich stelle mir den F-35 als Supercomputer mit Flügeln vor, der für Sie fliegt...
Der Jet tut nicht alles für den Pilot, aber sehr viel.
Wie viel machen Sie selber?
Dass sich der Pilot entspannen kann und viel automatisch passiert, soll genau so sein. Das Autopilot-System ist fantastisch und nimmt viel Druck vom Piloten weg.
Und bei Gefahr? Wie lässt sich dieses Autopilot-System ausschalten?
Zur Person
Screenshot Skype-Gespräch
Tony «Brick» Wilson ist der Chef-Testpilot von Lockheed Martin und deren Kampfjet F-35. Wilson flog 2019 in Payerne den F-35 für die Evaluation. «Eine phänomenale Erfahrung», sagt er. Davor war Wilson 25 Jahre für die US Navy tätig. Dabei ist er alle Varianten des F-18 und F-35 geflogen.
Wir nennen das den ‹Pedal-Switch›. (Macht entsprechende Armbewegungen und zeigt es vor.) Ich muss nur hier drücken, schon ist es ausgestellt.
Wie im Auto, wenn ich den Tempomat auf der Autobahn mit leichtem Antippen der Bremse deaktiviere?
Genau so. Einer der Vorteile, wenn ein Flugzeug vor allem mit seiner ausgeklügelten Software punktet, ist auch, dass es jederzeit aktualisiert und weiterentwickelt werden kann. Sie können sich das wie ein iPhone vorstellen, die Hülle bleibt mehr oder weniger gleich, das Innere erneuert sich komplett. Es gibt keinen so modernen Kampfjet wie der F-35.
Was, wenn die Schweizer Luftwaffe ein Update nicht übernehmen will?
Das ist eine wichtige Abmachung zwischen der Schweiz, der US-Regierung und Lockheed Martin. Den Schweizern ist ihre Daten-Autonomie und Cyber-Sicherheit sehr wichtig. Ich kann nur so viel sagen: Diese bleibt gewährleistet. Alles Weitere liegt ausserhalb meines Kompetenzbereiches.
«Den Schweizern ist ihre Daten-Autonomie sehr wichtig. Ich kann nur so viel sagen: Diese bleibt gewährleistet.»
Sie haben den F-35 vor zwei Jahren in der Schweiz testgeflogen. Erschrocken, wie schnell man mit einem Kampfjet bereits nicht mehr im Land ist?
Aus einer persönlichen Perspektive heraus kann ich nur sagen: Es war amazing, wunderbar. In 25 Jahren bei der US Navy bin ich viel auf der Welt herumgekommen. Gleichwohl kann ich mich an keinen so schönen Ort wie die Schweizer Alpen erinnern.
Sind die Alpen fliegerisch nicht gerade eine Herausforderung?
Klar, der Flug war herausfordernd. Aber ich glaube, wir haben diese Herausforderung bei unserem Testflug bestens gemeistert. Der Jet konnte die Erwartungen nicht nur erfüllen, sondern gerade in diesem herausfordernden Terrain übertreffen. Wir konnten unsere Sensoren testen und auch den Umgang mit dem Schnee. Auch die Landepiste in Meiringen ist zwar kurz, aber wir haben bewiesen, dass wir darauf landen können.
Ausbildung der Schweizer Piloten
Kein einziger Schweizer Pilot hat den F-35 geflogen. Geübt wurde bisher erst auf dem Simulator. Die Kampfjet-Piloten müssen auf den F-35 umgeschult werden. «Der Umschulungskurs kombiniert Simulatortraining und Flüge im F-35», heisst es bei Armasuisse dazu auf Anfrage. - Nach einer ersten Phase im Simulator würden sich Flüge im Flugzeug und Simulator abwechseln. - Die Dauer des Umschulungskurses hänge vom Erfahrungsstand der Piloten ab. - Für den Betrieb der F-35 sei eine vergleichbare Anzahl Piloten wie auf den heutigen F/A-18 notwendig. (aka)
Die Schweiz ist neutral. Wir haben keine Angriffsdoktrin wie etwa die USA. Was bringt da die Tarnkappen-Technologie überhaupt?
Der F-35 – das F steht für Fighter – ist viel mehr als nur ein Kampfflugzeug. Er kann nicht nur attackieren, sondern steht eben auch für ISR: Intelligente Überwachung und Erkennung. Das ist der Vorteil eines Jets der fünften Generation: Der Jet kann ganz viele Informationen aus dem Luftraum liefern. Gerade wegen der schweizerischen Topografie mit den Alpen – hier sind ja Bodeneinsätze schwieriger – sind die Radarfähigkeiten des F-35 so nützlich. Das hilft für die Übermittlung des big picture, des ganzen Bildes.
Kommen wir zu weiteren umstrittenen Punkten. Der F-35 soll bei Gewittern mit Blitzen anfällig für Störungen sein.
Die Antwort ist Nein. Der F-35 kann sehr wohl auch bei Gewittern fliegen. Es ist aber schon so, dass grundsätzlich jedes Flugzeug Blitzen auszuweichen versucht, weil es zu Störungen bei der Elektrik führen kann. Wir haben beim F-35 Systeme, die vor Blitzeinschlägen schützen. Doch als Vorsichtsmassnahme sagen wir dennoch allen Piloten: Vermeidet Gewitter.
Sind Sie schon mal in ein Gewitter geraten mit einem F-35?
Nein. Weil ich es vermeide, wenn immer möglich. Das geht auch deshalb, weil der F-35 einen Wetter-Radar hat.
Beim Luftpolizeidienst muss ja aber dann gestartet werden, wenn es nötig ist, und nicht nur bei Sonnenschein.
Absolut. Und ich kann Ihnen versichern, der F-35 ist hier nicht schlechter als jedes andere Kampfflugzeug.
«Der F-35 ist bei Gewittern nicht schlechter als jedes andere Kampfflugzeug.»
Ist der F-35 beim Start zu langsam, um seine Luftpolizei-Dienste ausführen zu können?
Wir haben in Payerne ja demonstriert, wie ein Alert-Start vonstattengeht. Das hat mich sehr zufrieden gemacht. Und das sollte alle Kritiker zum Schweigen bringen.
Verraten Sie, wie lange so ein Alert-Start genau dauert?
Sie verstehen sicher, dass ich diese Information nicht öffentlich machen kann.
US-General Charles Brown Jr. sagte im Februar, der F-35 sei wie ein Ferrari. Man fahre damit nicht jeden Tag zur Arbeit, sondern nur am Sonntag. Kann der F-35 zu viel für die Schweiz?
Nein, das sehe ich anders. Mit den Möglichkeiten, die der F-35 hat, wird er die Schweiz sehr gut gegen verschiedenste Arten von Gefahren schützen können. Er wird die Bedürfnisse der Schweiz vollständig befriedigen, nicht nur heute, sondern auch in der Zukunft. Der F-35 ist der fähigste und am besten vernetzte und überlebensfähigste Kampfjet, den es aktuell auf dieser Welt gibt.
Warum ist dann die Beziehung zwischen dem Pentagon und Lockheed Martin so angespannt?
Das liegt nicht in meiner Aufgabe, das als Kampfjet-Pilot zu beantworten.
(Der Pressesprecher mischt sich ein mit der Bitte, für die letzte Frage zurück zu Piloten-Fragen zu kommen. Zudem sei die Zeit am Ablaufen.)
Letzte Frage also: Was war die gefährlichste Situation, in die Sie als Pilot je geraten sind?
Ich war in Kämpfe involviert. (Pause) Ich kann keine spezifische Situation aufzählen. Mit Stolz – auch für den F-35 – erfüllt mich: Ich bin jedes Mal heil nach Hause gekommen.