Bundesrat zu Afghanistan «Die Schweiz nimmt vorerst keine Flüchtlinge auf»

phi/uri

18.8.2021

Wie schätzt der Bundesrat die Lagen in Afghanistan ein? Und wie steht es um die Flüchtenden: Bleibt es bei 230 Afghanen, die ausgeflogen werden? Ignazio Cassis und Karin Keller-Sutter geben Auskunft.

phi/uri

Die Schweiz verzichte aktuell darauf, eine grössere Gruppe von Flüchtlingen direkt aus Afghanistan in der Schweiz aufzunehmen, teilte der Bundesrat am Mittwoch mit (siehe Protokoll der Pressekonferenz unten). Laut Angaben des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR ist die Informationslage für diesen Schritt derzeit zu unklar, begründet der Bundesrat seinen Entscheid.

Darüber hinaus wäre eine solche Aktion «wegen der derzeit chaotischen Situation bei der Ausreise aus Afghanistan auch technisch nicht möglich». Afghaninnen und Afghanen, die in die Schweiz reisen wollten, könnten nach geltendem Recht bei einer schweizerischen Auslandsvertretung einen Antrag auf ein humanitäres Visum stellen. Die aktuellen Kriterien für die Ausstellung eines solchen Einreisedokuments würden nicht angepasst.

Der Gesuchsteller muss nach geltendem Recht eine konkrete, unmittelbare und ernsthafte Gefährdung nachweisen können. Nach der geltenden Rechtspraxis müssen diese Personen zudem einen engen und aktuellen Bezug zur Schweiz nachweisen.

230 Afghanen warten auf die Ausreise

Anders sieht es bei den rund vierzig lokalen Mitarbeitenden des Kooperationsbüros der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) in der afghanischen Hauptstadt Kabul aus. Sie und ihre Kernfamilien haben vom Bundesrat bereits die Zusage erhalten, dass sie ausgeflogen werden und in der Schweiz Asyl erhalten.

Insgesamt handelt es sich um 230 Personen, die im Rahmen des Resettlement-Kontingents in der Schweiz aufgenommen werden. Dieses jährliche Kontingent beträgt 800 Personen.

Die Ausreise dieser Personen gestaltet sich jedoch als schwierig. «Die Schweiz arbeitet weiterhin mit Hochdruck daran, die lokalen Mitarbeitenden, ihre Familien und Schweizer Staatsangehörige, die sich noch in Afghanistan aufhalten, ausser Land zu bringen», heisst es.

30 Schweizer evakuiert

Auch Schweizerinnen und Schweizer möchten Afghanistan verlassen. Bislang haben sich laut dem Bundesrat rund dreissig Schweizer bei der Schweizer Botschaft in Islamabad, der Hauptstadt Pakistans, gemeldet. Auch für diese Personen wird nach einer Möglichkeit für eine Ausreise gesucht.

Die sechs Mitarbeitenden des Aussendepartements EDA in Kabul haben alle unterdessen Afghanistan verlassen. Die letzten drei Mitarbeitenden seien gestern Abend in der Schweiz gelandet, schreibt der Bundesrat.

Das Protokoll der Pressekonferenz:

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  • 13.45 Uhr

    Ende der Pressekonferenz

    Wir danken an dieser Stelle – wie immer – für die geschätzte Aufmerksamkeit.

  • 13.44 Uhr

    Familiennachzug für Schweizer Afghanen?

    Familien-Zusammenführungen werden nach den üblichen Kriterien bewertet, wenn für die Personen Gefahr für Leib und Leben herrscht. Keller-Sutter sagt, es gebe in der Schweiz 20'000 Afghanen, von denen 15'000 Verfahren noch laufen würden. «Nur eine Minderheit hat bisher einen klaren Status.»

  • 13.42 Uhr 

    Wer sind die in Kabul angekommenen Spezialkräfte und was tun sie?

    Botschafter Lenz sagt: «Es sind keine Bürokräfte, sondern Spezialkräfte, die für solche Aufträge geschult sind.» Diese Kräfte befänden sich im geschützten Bereich des Flughafens. Sie würden sich dort darum kümmern, dass Personen, die in die Schweiz ausgeflogen werden sollen, in den Flughafen kämen und dann auch zügig in die Flugzeuge. Auf eine weitere Nachfrage ergänzt Cassis, für die Entsendung der Spezialkräfte habe es einen entsprechenden Entscheid des Bundesrats gebraucht. 

  • 13.41 Uhr

    Genfs Linke will mehr Flüchtlinge

    Was sagt der Bundesrat dazu? Keller-Sutter wiederholt ihre vorherigen Aussagen und ergänzt dabei, dass auch Menschen aus dem Libanon in das «Resettlement-Programm» wollen. Es gerne eine Arbeitsgruppe, die sich darum kümmert, in der NGOs, Gemeinden und Städte vertreten sind. Erst müsse aber das UNHCR tätig werden. Cassis ergänzt: «Die Schweiz legt nicht die Hände in den Schoss und wartet ab.» Den humanitären Bedarf gebe es nun in den Nachbarländern wie dem Iran oder Pakistan, wo die Flüchtenden zuerst hingehen. Bern wolle dort auch gerne Hilfe leisten.

  • 13.37 Uhr 

    Was ist von der Forderung zu halten, die USA sollten die Schweizer Asylpolitik organisieren? 

    Keller-Sutter sagt, die Schweiz habe ihre eigene Asylpolitik und auch die Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeiter. Man habe keine Lust, die Asylpolitik an einen anderen Staat zu übertragen. Man sei souverän und wolle das nicht aus der Hand geben. Cassis ergänzt, man sei ein Rechtsstaat und es käme überhaupt nicht infrage, die Asylpolitik an die USA abzutreten.

  • 13.36 Uhr

    Sind 230 Aufnahmen ein Armutszeugnis?

    Für den Bundesrat sei Hilfe vor Ort zentral, der Schutz der Schweizer und ihrer Helfer. Ein Kontingent könnte nur eingerichtet werden, wenn das UNHCR dafür einen Bedarfsplan ausstelle. «Man muss auch einfach sehen: Im Moment kann niemand aus Afghanistan ausreisen.» Wenn die UNHCR «Resettlement-Flüchtlinge» ausmache, könnte man auch über deren Aufnahme reden.

  • 13.30 Uhr

    War die Schweiz schlecht vorbereitet?

    Keller-Sutter sagt, man müsste diese Frage den USA stellen. Diese hätten als militärische Supermacht den Vormarsch der Taliban unterschätzt. Da könnte man dann den anderen Staaten und auch dem EDA keine Vorwürfe machen, wenn sie es auch unterschätzt hätten.

    Cassis sagt, die Frage sei absolut legitim. Man müsse sich fragen, warum der Umsturz so schnell kam und es keiner vorhersah. «Wir gehören natürlich zu denen, die das nicht vorhergesehen haben.» Es hätte aber die ganze Welt überrascht. Man habe indes genau gewusst, wie viele Mitarbeiter man in Afghanistan habe. Man bezahle sie ja auch. Aber man wisse nicht, wie gross deren Familien seien und ob sie überhaupt ausreisen hätten wollen.

  • 13.27 Uhr

    Was sind die Alternativen zur Ausreise mit den Charterflugzeug?

    Cassis antwortet, jeder Weg, der offen ist, werde für Evakuierungen genutzt. «Vielleicht erlauben die Amerikaner das Landen ziviler Maschinen.» Es sei auch denkbar, dass Amerikaner die Menschen in die Nachbarländer fliegen und die Schweiz sie dort einsammelt.

  • 13.24 Uhr

    Warum werden DEZA-Mitarbeitenden aufs Flüchtlings-Kontingent angerechnet?

    Keller-Sutter sagt, das sei die schnellste Möglichkeit gewesen, um zu reagieren. Man habe so sehr schnell die Visa erteilen können, weil das Resettlement-Kontingent von 800 Personen wegen Corona noch nicht genutzt worden sei. Zudem habe man nicht gewusst, von wie vielen Personen eigentlich die Rede sei.

  • 13.21 Uhr

    Fragen der Journalisten

    Hat die Schweiz Kontakt zu den Taliban? Cassis sagt, man müsse warten, wie sich die Lage entwickle. Er verweist auf den afghanischen Vizepräsidenten, der sich noch nicht den Taliban ergeben hat.

  • 13.18 Uhr

    Wann gibt es ein humanitäres Visum?

    Keller-Sutter wird heute noch an einer Video-Konferenz der Innenminister des Schengenraums teilnehmen, bei der Afghanistan ebenfalls zur Sprache kommen soll. Keller-Sutter unterstreicht, dass alle Flüchtenden, die aufgenommen werden, einer Sicherheitsprüfung unterzogen würden. Die Kriterien für humanitäre Visa seien ein Nachweis über persönliche Erfolge, das persönliche Stellen eines Antrags, was nur in einer Botschaft möglich ist – also nicht in Afghanistan selbst – und die Betroffenen müssten einen Bezug zur Schweiz haben.

  • 13.15 Uhr

    Kontingent für 800 «Resettlement-Flüchtlinge»

    Die Schweiz hat für 2021 ein Kontingent von 800 «Resettlement-Flüchtlingen», erklärt Keller-Sutter. Die 230 Personen würden in dieses Kontingent übernommen. Weiter Aufnahmen von Flüchtlingen müssten erst geklärt werden, sagt Keller-Sutter. Man stehe aber in Kontakt mit dem UNHCR, um Evakuierungen in Drittländer zu unterstützen. 

  • 13.12 Uhr

    Schweiz hat eine Fürsorgepflicht

    Die afghanischen Helfer erhalten humanitäre Visa, ergänzt Cassis noch, bevor Karin Keller-Sutter das Wort ergreift. «Die Sicherheitslage hat sich in den letzten Wochen dramatisch verschlechtert», sagt sie. Aufgrund ihrer Tätigkeit seien Deza-Mitarbeiter «womöglich einer Bedrohung ausgesetzt». Keller-Sutter sieht die Schweiz hier in einer Fürsorgepflicht. 

  • 13.09 Uhr

    VBS und EDA kooperieren

    Cassis dankt den USA und Deutschland für die Unterstützung bei der Evakuierung der Schweizer. Nun werde das VBS übernehmen, das gestern nach Taschkent und heute weiter nach Kabul geflogen sind und in Zusammenarbeit mit dem EDA dort weiterarbeiten wird. In Kabul gibt es ein Kooperationsbüro, das aber nicht als Botschaft betrachtet werden kann.

  • 13.07 Uhr

    Chartermaschinen gegroundet

    Eigentlich war für die in Afghanistan verbliebenen Menschen gestern eine Charter-Maschine gemietet worden, die aber nicht in Kabul landen konnte, weil nur noch Militärflugzeuge nach Afghanistan fliegen dürfen.

  • 13.05 Uhr

    280 Schweizer und Helfer sollen ausgeflogen werden

    Es sei nun wichtig, die Schweizer, die noch im Land sind, aus Afghanistan zu holen. Sechs Schweizer Deza-Mitarbeiter seien wohlbehalten zurückgekehrt: Drei Personen waren gestern über Doha in die Schweiz gereist. Ausserdem sollten 40 lokale Helfer plus ihre Kernfamilien und 30 weitere Schweizer ausgeflogen werden. Insgesamt rechnet der Bundesrat mit 280 Rückkehrern.

  • 13 Uhr

    Beginn der Pressekonferenz

    Ignazio Cassis macht den Auftakt: Er wolle über die Lage in Afghanistan, aber auch über «migrationsspezifische Elemente» informieren. Die Lage im Land habe sich grundlegend geändert, sagt Cassis. Die Auswirkungen könnten heute noch nicht abschliessend bewertet werden. «Der Bundesrat ist sehr besorgt über die aktuelle Situation.»

Ausgangslage

Von der Machtübernahme der radikal-islamistischen Taliban in Afghanistan sind neben Schweizer Staatsbürger*innen auch 40 lokale Mitarbeitende des Kooperationsbüros der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) mit ihren Familien betroffen.

Bundesrat Ignazio Cassis nimmt Stellung zur aktuellen Lage in Afghanistan. (Archiv)
Bundesrat Ignazio Cassis nimmt Stellung zur aktuellen Lage in Afghanistan. (Archiv)
Bild: Keystone

Insgesamt rund 230 Personen mit Bezug zur Schweiz befinden sich derzeit noch im Land. In einer Medienkonferenz erklären der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) Ignazio Cassis und Karin Keller-Sutter, Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements EJPD, wie es für diese Personen jetzt weitergehen soll.

Zur Pressekonferenz teilte der Bundesrat mit, dass die Schweiz aktuell darauf verzichte, eine grössere Gruppe von Flüchtlingen direkt aus Afghanistan in der Schweiz aufzunehmen.

Laut Angaben des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR ist die Informationslage für diesen Schritt derzeit zu unklar, begründet der Bundesrat seinen Entscheid. Darüber hinaus wäre eine solche Aktion «wegen der derzeit chaotischen Situation bei der Ausreise aus Afghanistan auch technisch nicht möglich», heisst es weiter in der Mitteilung.

Afghaninnen und Afghanen, die in die Schweiz reisen wollten, könnten nach geltendem Recht bei einer schweizerischen Auslandsvertretung einen Antrag auf ein humanitäres Visum stellen. Die aktuellen Kriterien für die Ausstellung eines solchen Einreisedokuments würden nicht angepasst.