Härtere Strafen für Klimaaktivisten «Die Reaktionen auf die Proteste werden gewaltsamer»

Von Andreas Fischer

5.5.2023

Klima-Aktivistin Selina Lerch: «Es geht leider nicht anders»

Klima-Aktivistin Selina Lerch: «Es geht leider nicht anders»

Klima-Aktivistin Selina Lerch von «Renovate Switzerland» rechtfertigt die Klebe-Aktionen auf Strassen. «Es geht leider nicht anders als zu stören».

14.12.2022

Haftstrafen in Deutschland und Grossbritannien, und auch in der Schweiz ist ein Trend feststellbar: Klimaaktivisten werden härter bestraft. Warum die Gesellschaft nicht gelassen bleibt, erklärt Soziologe Simon Schaupp.

Von Andreas Fischer

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona müssen sich derzeit drei Waadtländer Klimaaktivisten verantworten, die zu einem «Militärstreik» aufgerufen hatten.
  • Protestaktionen von Klimaschützern führen zu einem härteren Durchgreifen der Justiz. 
  • Soziologe Simon Schaupp von der Uni Basel erwartet, dass sich die Polarisierung der Gesellschaft zukünftig zuspitzt.
  • Der Grund: Klimaschützer gefährden die kollektive Verdrängung der Folgen des Klimawandels.

«Das Strafrecht dient dazu, Verbrechen und Vergehen zu verhindern und zu bestrafen. Es zielt nicht darauf ab, die Meinungsfreiheit einzuschränken oder irgendwelche unerwünschten Meinungen zu verhindern», antwortete der Bundesrat im Juni 2020 auf eine Anfrage von Nationalrat Jean-Luc Addor.

Der Walliser SVP-Politiker wollte wissen, ob die Landesregierung die Klimaaktivisten angezeigt hatte, die zuvor in einem Internet-Manifest und offenem Brief zu einem «Militärstreik» aufgerufen hatten. Im Mai 2020 forderten drei Waadtländer aus ethischen, moralischen, ökologischen und sozialen Gründen dazu auf, weder Militärdienst zu leisten noch Militärpflicht-Ersatz zu zahlen: «Der Klimastreik ruft zum Militärstreik auf.»

Mittlerweile ist der Fall doch bei den Gerichten gelandet, das Bundesstrafgericht Bellinzona befasst sich aktuell damit. Die nötige Strafanzeige hatte Addor selbst bei der Bundesanwaltschaft eingereicht, wie die «Neue Zürcher Zeitung» berichtet.

Bundesgericht markiert Härte

Der aktuelle Fall passt zu einem Trend, der zuletzt in der Schweiz (aber auch in anderen Ländern, etwa Deutschland und Grossbritannien) zu beobachten ist: Klimaaktivisten werden härter bestraft.

In Grossbritannien setzte es nach einer radikalen Aktion wegen der Störung der öffentlichen Ordnung mehrjährige Haftstrafen. Auch in Deutschland wurden Aktivisten der «Letzten Generation» ohne Bewährung ins Gefängnis geschickt. 

In der Schweiz hat das Bundesgericht in Lausanne vor wenigen Tagen ein aus seiner Sicht zu mildes Urteil der Genfer Justiz kassiert. Das Kantonsgericht hatte einem Aktivisten, der rote Handabdrücke auf die Fassade der Credit Suisse gemalt hatte, Strafmilderung aus achtenswerten Beweggründen gewährt. Diese Strafmilderung allerdings sah das höchste Schweizer Gericht als nicht gegeben.

Die Richter in Lausanne markieren Härte bei Urteilen gegen Klimaaktivisten und pfeifen dabei «zu milde» niedrigere Instanzen zurück: Man kann im Entscheid des Bundesgerichts durchaus ein Signal sehen. «Die von uns befragten Aktivistinnen und Aktivisten schliessen daraus, dass der Staat nicht in der Lage oder nicht willens ist, ernsthaften Klimaschutz voranzutreiben und stattdessen den fossilen Status quo schützt», sagt der Soziologe Simon Schaupp von der Universität Basel zu blue News.

Umfrage
Was denkst du über Protestaktionen von Klima-Aktivist*innen?

Was können Klimaaktivisten überhaupt ausrichten?

Die jüngsten Beispiele aus der höchstinstanzlichen Schweizer Justiz werfen natürlich die Frage auf, wer in der Gesellschaft das Sagen hat. Dies im Sinne von: Kann eine Graswurzelbewegung wie die der Klimaaktivisten überhaupt eine Veränderung bewirken? «Es gibt viele Beispiele in der Geschichte, wo Graswurzelbewegungen grosse Veränderungen auslösen konnten», so Schaupp.

Der Soziologe schiebt aber gleich nach: «Wichtig ist dabei, dass eine solche Veränderung nicht identisch ist mit ‹Bewusstsein schaffen›, was bei der Klimathematik oft als Ziel angegeben wird.» Stattdessen brauche es «Macht von unten, damit Bewegungen ihre Ziele durchsetzen können. Das kann zum Beispiel die Form von zivilem Ungehorsam oder Streiks annehmen, die tatsächlichen ökonomischen und politischen Druck aufbauen.»

In der Gesellschaft kommen natürlich nicht alle Aktionen der Klimaaktivisten gut an, weiss der Co-Autor der Studie «Woher kommt und wohin geht der Schweizer Klimastreik?» Man müsse differenzieren, erläutert Schaupp: «Demonstrationen für das Klima finden sehr grosse Zustimmung. Bei Aktionen zivilen Ungehorsams wie Blockaden fällt diese Zustimmung niedriger aus. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Alltag von Privatpersonen und nicht etwa Unternehmensabläufe gestört werden.»

Klimaaktivisten stören die Verdrängung

Warum aber gibt es einen Widerspruch zwischen der weitgehenden gesellschaftlichen Anerkennung der Gründe des Klimawandels und dem Unverständnis gegenüber Menschen, die sich für eine notwendige Politikänderung einsetzen? Schaupp erklärt: «Um normal weiterfunktionieren zu können, sind wir darauf angewiesen, die katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels zu verdrängen, sonst befänden wir uns in einem Zustand andauernder Panik. Der Hass auf den Klimaaktivismus kann zum Teil damit erklärt werden, dass dieser die Verdrängung stört.»

Zudem seien die Ursachen des Klimawandels «sehr tief in unseren gesellschaftlichen Institutionen verankert. Dies zu kritisieren, bedeutet, unsere gesamte Lebensweise zu hinterfragen, wozu viele Menschen nicht bereit sind.» Allerdings, so Schaupp, «gibt es auch Untersuchungen, die zeigen, dass ein radikaler Flügel der Bewegung insgesamt nützt, da er den gemässigten Teil als moderat und vernünftig erscheinen lässt».

Spannungen zwischen «gesetzestreuen Bürgern und einer Minderheit, die ihnen ihr Leben madig machen will», wie es der britische Premierminister Rishi Sunak ausdrückt, gibt es auch in der Schweiz. «Man kann auf jeden Fall eine steigende Polarisierung beobachten. Die Reaktionen auf die Proteste werden zunehmend gewaltsamer. Leider müssen wir davon ausgehen, dass sich diese Polarisierung in Zukunft noch zuspitzen wird, insofern sich die Krise selbst zuspitzt», prognostiziert Schaupp.

Die Strafen werden härter: Klimaaktivisten der Gruppierung «Renovate Switzerland» blockieren Mitte April die Autobahnausfahrt A6 beim Wankdorf in Bern.
Die Strafen werden härter: Klimaaktivisten der Gruppierung «Renovate Switzerland» blockieren Mitte April die Autobahnausfahrt A6 beim Wankdorf in Bern.
Bild: KEYSTONE