Angehörige von psychisch kranken MenschenAuch du kennst jemanden, der depressiv ist – weisst du es auch?
Lea Oetiker
7.9.2024
Angehörige von psychisch erkrankten Menschen sind unsichtbare Helfer*innen. Oft vergisst man, dass auch sie Unterstützung brauchen. Eine Expertin erzählt über ihre Erfahrungen als Helferin und Betroffene.
Lea Oetiker
07.09.2024, 11:43
09.09.2024, 09:17
Lea Oetiker
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Eine Studie zeigt: 2,1 Millionen Menschen in der Schweiz sind Angehörige von psychisch erkrankten Menschen.
Angehörige brauchen aber oftmals selbst Hilfe, bekommen sie aber kaum.
Lisa Bachofen erklärt, wie man Angehörige unterstützen könnte.
Die Zahlen sind hoch: 90 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in der Schweiz kennt mindestens eine Person aus ihrem Umfeld, die schon einmal psychisch erkrankt ist. 59 Prozent waren schon in der Rolle eines Angehörigen oder haben eine erkrankte Person aus ihrem Umfeld unterstützt. Und: 73 Prozent der Angehörigen finden, dass sie von der Gesellschaft zu wenig Verständnis bekommen.
Im März 2024 veröffentlichte die Angehörigen-Organisation «Stand by You» eine repräsentative Umfrage: Wie gehen Angehörige von psychisch Erkrankten mit ihrer Rolle um? Das Forschungsinstitut Sotomo hat dafür über 2000 Betroffene befragt.
Rechnet man das hoch, sind 2,1 Millionen Menschen in der Schweiz Angehörige von psychischen Erkrankten.
Der Dauerstress macht krank
Lisa Bachofen ist Angehörige: «Die Ohnmacht ist das Schlimmste», erzählt sie blue News. «Du schaust zu, wie jemand extrem leidet, den du sehr gernhast, und du kannst nichts dagegen tun.» Bachofen hat lange in der Psychiatrie gearbeitet, ist heute Präsidentin der Vereinigung von Angehörigen psychisch Kranker (VASK Bern) und mit dem Projekt für einen Swiss Diversity Award nominiert.
«Als Familienmitglied bist du ständig unter Strom und weisst nie, was als Nächstes auf dich zukommen wird», so die Rentnerin. Dieser Dauerstress ist ungesund und hat Konsequenzen. Dass einige selbst Patienten werden, hat Bachofen schon oft erlebt.
Bessere Unterstützung für Angehörige
Aber wie verhindert man das Krankwerden von Angehörigen? Bachofen hat eine Lösung: Angehörigenbegleitung. Personen, die ausgebildet werden, um Angehörige zu begleiten, ihnen zuzuhören und Tipps zu geben. Entweder zu Hause, übers Telefon oder Zoom.
Bachofen ist zuversichtlich. Immer mehr Fachpersonen merken, dass Angehörige von psychisch Kranken auch unterstützt werden müssen: «Die Angehörigenbegleitung stosst auf viel Zuspruch. Ich bin mir sicher, dass es im Gesundheitswesen in diese Richtung gehen wird.»
Generell sei der Austausch sehr wichtig, erklärt sie: «Offen über eine Situation zu sprechen, kann dir als Betroffene etwas die Last von den Schultern nehmen.» Zudem unterbinde man so Stigmatisierungen und durchbricht Tabus.
Betroffene müssen lernen, sich abzugrenzen
Bachofen betont aber auch, dass Angehörige lernen müssen, sich abzugrenzen. Klingt paradox, birgt jedoch eine wichtige Erkenntnis mit sich: «Angehörige können die psychischen Erkrankungen in ihrem Umfeld nicht heilen. Sie können aber lernen, besser mit Krisensituationen umzugehen.»
Sie erklärt: «Es ist entscheidend, dass wir als Angehörige uns nicht ernster nehmen, als wir sind. Stattdessen wollen wir an unserem eigenen Umgang mit Herausforderung arbeiten.» Einerseits schützten sich Angehörige so vor Überforderung, andererseits würden sie zu Vorbildern für die Betroffenen.
«Erkrankte Menschen beobachten genau, wie wir mit Krisen umgehen, und ahmen dieses Verhalten oft nach», so Bachofen. Gelassenheit und emotionale Kontrolle sind dabei Schlüsselkompetenzen, die Angehörige entwickeln müssen – oft ohne professionelle Unterstützung.
«Leider gibt es dazu aber kaum Schulungen. Betroffene müssen diese essenziellen Fähigkeiten meist im Alleingang meistern», kritisiert sie. Auch dafür wäre die Angehörigenbegleitung ideal.
Trotz aller Herausforderung betont Bachofen: «Fehler und Krisen gehören zum Leben dazu. Als Angehörige müssen wir lernen, wie wir diese bewältigen können und die Schuldgefühle weglassen.»