Extrem-Bergsteiger Dani Arnold «Die Berge sind auch für uns Profis gefährlicher geworden»

Von Stefan Michel

10.9.2023

Der Schweizer Bergsportspezialist Dani Arnold bei der Besteigung der Eiger-Nordwand.
Der Schweizer Bergsportspezialist Dani Arnold bei der Besteigung der Eiger-Nordwand.
Bild: Keystone

Der Urner Dani Arnold ist bekannt für Geschwindigkeitsrekorde an den schwierigsten Nordwänden der Alpen. In den Bergen erlebt auch er schlecht vorbereitete Alpinisten – und wundert sich nicht über steigende Unfallzahlen.

Von Stefan Michel

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • In den Alpen steigen die Unfallzahlen von Bergsteiger*innen.
  • Bergführerverband und Alpine Rettung nennen schlechte Vorbereitung und Ausrüstung als Gründe.
  • Extrem-Bergsteiger und Bergführer Dani Arnold hat seine eigene Sicht auf das Unfallgeschehen in den Alpen.

Der Bergführer-Verband nennt schlechte Ausrüstung und Vorbereitung als Gründe für die steigende Zahl von Alpinist*innen, die verunfallen. Erlebst du das auch so?

Bei der Ausrüstung bin ich nicht einverstanden, aber manche sind tatsächlich schlecht darauf vorbereitet. Es sind mehr Menschen in den Bergen unterwegs, es gibt fast überall eine Spur hinauf. Manche überschätzen sich und folgen einfach Fussspuren.

Kannst du ein Beispiel geben?

Vor Kurzem führte ich einen Gast auf das Matterhorn. Der Weg hinauf ist nicht leicht zu finden. Unterwegs trafen wir einen Mann ohne Bergführer, der hatte keine Chance, es auf den Gipfel zu schaffen. Der folgte einfach Seilschaften mit Bergführern. Das kann es nicht sein, den hätte jemand hinunterschicken müssen.

Unternehmen weniger gute Bergsteiger anspruchsvolle Touren?

Das durchschnittliche Niveau ist gesunken. Es sind mehr Leute unterwegs. die meinen, alles sei möglich. Aber selbst für Profis ist es schwieriger geworden, die Gefahren richtig einzuschätzen.

Du bist ein Vorbild für schwierige Touren in den Alpen. Verleitest du die Leute nicht, über ihre Grenzen zu gehen?

Ich halte viele Vorträge und Reden. Da sage ich den Leuten zwar, dass Bergsteigen das Lässigste ist, das man machen kann. Ich zeige ihnen aber auch, dass es gefährlich ist und wie viel Vorbereitung ich in ein Projekt stecke. Manchmal sind es drei Jahre, damit ich eine Route in wenigen Stunden schaffe.

Aber es ist schon so: Wenn ich in zweieinhalb Stunden die Eiger-Nordwand durchsteige, denken sich einige vielleicht: «Dann schaffe ich es in der dreifachen Zeit.» Dabei müssten sie eher mit der dreissigfachen Zeit rechnen.

Wie beeinflussen die steigenden Temperaturen die Gefahr in den Alpen?

Sie haben einen grossen Einfluss. Die hohen Temperaturschwankungen lösen etwas aus in den Bergen. Die gleiche Stelle kann am Morgen komplett anders zu klettern sein als am Nachmittag desselben Tages.

Was bedeutet das für die Risiko-Abschätzung?

Die Risikoabschätzung ist sowieso schon komplex. Und jetzt ist sie noch schwieriger. Selbst wir Profis sind uns nicht immer sicher, ob eine Tour noch machbar ist oder nicht. Für jemanden, der nicht so viel Zeit für die Vorbereitung hat wie wir Bergführer, ist es fast nicht möglich, das korrekt einzuschätzen.

Müssen erst Unfälle passieren, damit sich etwas ändert?

In den Bergen kann grundsätzlich jeder machen, was er will. Leider musste dieses Jahr mehrmals erst etwas passieren. Ich vereinbare mit meinen Gästen immer mehrere Tourenziele. So können wir uns den Verhältnissen anpassen. Wenn jemand um jeden Preis auf einen bestimmten Gipfel will, auf das Matterhorn, den Mont Blanc oder die Jungfrau, dann lehne ich das Engagement ab.

Was sind deine Tipps an die Hobby-Alpinist*innen?

Fragt eine Person, die vor Ort ist, wie die Verhältnisse sind. Das kann ein Hüttenwart sein, jemand aus dem Dorf oder auch jemand, der einfach oft in einem Gebiet unterwegs ist. Man muss die Grösse haben, zu fragen und sich einzugestehen, dass das eigene Urteil nicht alles ist. Und man muss im Zweifelsfall umkehren.

Umzukehren fällt manchen besonders schwer.

Je mehr man investiert hat, je länger man schon unterwegs ist, desto schwieriger ist es, umzukehren. Dabei ist das eine Auszeichnung, wenn jemand die Grösse hat, sich einzugestehen, dass dieser Gipfel an diesem Tag nicht erreichbar ist.

Was sollte man auf keinen Fall tun?

Das Schlimmste ist, einfach weiterzugehen, weil alle anderen auch weitergehen.

Was kannst du zur Selbstüberschätzung sagen?

Gefährlich ist auch, wenn jemand in der Kletterhalle Routen des Schwierigkeitsgrads 7a schafft – das ist schon ziemlich anspruchsvoll. Zu glauben, dass man deshalb auch am Fels eine 7a schafft, ist völlig falsch. Das ist viel anspruchsvoller.

Routine kann auch eine Gefahr sein.

Davor habe ich am meisten Respekt. Je höher das alpinistische Niveau ist, desto schlechter bereitet man sich vor auf Routine-Touren. Flüchtigkeitsfehler sind immer möglich. Ich habe auch als sehr erfahrener Alpinist schon krasse Fehlentscheide getroffen. Das relativiert mein Urteil. Ich versuche immer wieder, mich so zu verhalten, wie wenn ich nicht so viel wüsste, wie ich weiss. So versuche ich mich vor meiner Routine zu beschützen.

Was rätst du Leuten, die erste Erfahrungen sammeln wollen?

Am besten schliesst man sich einer Tour des SAC an oder engagiert mit Freunden einen Bergführer. Die sind noch kompetenter als die Tourenleiter des SAC, die ja ausgebildete Laien sind. Und von Anfang an soll man jede Entscheidung kritisch hinterfragen.