Fragen und Antworten Darum will der Bund weniger Geld für Fahrende bereitstellen

uri

17.7.2023

Wohnwagen von Fahrenden mit ausländischen Kennzeichen auf einer Wiese neben einer Autobahnraststätte in der Schweiz. 
Wohnwagen von Fahrenden mit ausländischen Kennzeichen auf einer Wiese neben einer Autobahnraststätte in der Schweiz. 
Archivbild: Keystone

Ursprünglich wollte der Bund Halteplätze für Fahrende mit mehr Geld unterstützen. Nun soll die Förderung wieder gekürzt werden, weil die Beträge nicht abgerufen werden. Die Betroffenen kritisieren das. 

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Der Bund unterstützt Kantone und Gemeinden mit Geld, um Stellplätze für Schweizer Fahrende bereitzustellen.
  • Im Frühjahr kündigte der Bund noch neue Anreize dafür an. Die Kulturbotschaft für die Jahre 2025 bis 2028 sieht indes bereits wieder Kürzungen vor. 
  • Als Grund gibt der Bund an, dass das bereitgestellte Geld nicht abgerufen werde.
  • Der Schritt wird von Experten kritisiert.

Alljährlich wird über die Halteplätze für Jenische, Sinti und Roma in der Schweiz diskutiert. Schlicht und ergreifend deshalb, weil es zu wenige davon gibt. Meist scheitern entsprechende Lösungen am Widerstand der betroffenen Gemeinden, wie die «Berner Zeitung» im März berichtete.

Die Skepsis gegenüber solchen Einrichtungen hänge dabei «stark mit negativen Begleiterscheinungen zusammen, die meist von ausländischen Fahrenden ausgehen», heisst es in dem Bericht. Unter deren schlechtem Image hätten denn auch Schweizerinnen und Schweizer mit nomadischer Lebensweise zu leiden.

Um das Problem anzupacken, wollte der Bund für Kantone und Gemeinden neue Anreize schaffen, um solche Halteplätze umzusetzen. Das gab das Bundesamt für Kultur im Frühjahr bekannt. Konkret wollte der Bund unter anderem bis zu 50 Prozent der Projektkosten bis maximal 500'000 Franken übernehmen – vorausgesetzt, es handelt sich um Halteplätze für Schweizer Jenische und Sinti, die für mindestens fünf Jahren betrieben werden.

Laut der Kulturbotschaft für die Jahre 2025 bis 2028 sollen nun aber gerade diese Mittel für die Schaffung von Halteplätzen wieder gekürzt werden, berichtet SRF am Montag und beruft sich auf eine Mitteilung des Bundesamts für Kultur. blue News klärt die wichtigsten Fragen zum Thema.

Warum soll nun gekürzt werden?

Das Bundesamt für Kultur begründet die Kürzung laut SRF damit, die Kantone und Gemeinden hätten bislang nur einen Teil des Geldes für entsprechende Halteplätze beantragt.

Grund dafür ist laut David Vitali, dem Leiter der Sektion Kultur und Gesellschaft beim Bundesamt für Kultur, dass es schwer sei, entsprechende Plätze zu finden, und es häufig Widerstände gebe. «Es ist kompliziert, ein solches Projekt, das teilweise mit Zonenänderungen, Volksentscheiden und Finanzentscheiden verbunden ist, über die Ziellinie zu bringen», zitiert ihn SRF. Vor diesem Hintergrund ergebe es laut dem Bundesamt keinen Sinn, Geld zur Verfügung zu stellen, das nicht gebraucht werde.

Wie reagieren Vertreter der Betroffenen?

Christoph Wiedmer von der Gesellschaft für bedrohte Völker kritisiert die Kürzungen bei SRF. Wie er betont, sei die Schweiz zum Schutz der anerkannten kulturellen Minderheit dazu verpflichtet, genügend Halteplätze zur Verfügung zu stellen. Dabei würden sich Bund, Kantone und Gemeinden indes gegenseitig die Verantwortung zuspielen: «Die Kantone machen nicht vorwärts, also kann der Bund dort kürzen, und alle drücken sich darum, dass eigentlich ein grosses Problem mit diesen Halte-, Durchgangs- und Standplätzen nicht gelöst ist.»

Kritik kommt auch von der Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende. Ihr Geschäftsführer Simon Röthlisberger sagt, dass etwa 50 zusätzliche Durchgangsplätze für den kurzen Aufenthalt im Sommer geschaffen werden müssten und weitere Standplätze für den Aufenthalt im Winter. Er sieht die Budgetkürzung im Widerspruch zum Handlungsbedarf. Es brauche gerade mehr Fördergelder vonseiten des Bundes über einen längeren Zeitraum, weil es so schwer sei, entsprechende Halteplätze zu finden.

Um welche Gruppe handelt es sich?

Bei den Jenischen, Sinti und Roma handelt es sich um alles andere als eine homogene Gruppe, teilt die Gesellschaft für bedrohte Völker auf ihrer Website mit.

Demnach leben in der Schweiz rund 35'000 Jenische, von denen aber lediglich zwischen 3000 und 5000 «Fahrende» seien. Hinzu kämen noch einige Hundert Sinti mit meist fahrender Lebensweise. Zudem gehe man davon aus, dass rund 50'000 Roma in der Schweiz lebten, die sesshaft seien.

Der grösste Teil der Minderheiten sei damit bestens in die Schweizer Mehrheitsgesellschaft integriert und somit «unsichtbar», erklärt die Organisation. Unterdessen würden die «Fahrenden» häufig als Fremdkörper wahrgenommen und entsprechend über sie diskutiert.

Die Jenischen bilden laut dem Bundesamt für Kultur eine eigenständige Gruppe mit eigener Sprache. Die Angehörigen der Gruppe lebten in ganz Europa, hauptsächlich jedoch in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Frankreich. Es handelt sich um eine anerkannte kulturelle Minderheit der Schweiz.

Als Sinti bezeichneten sich die Nachkommen jener Roma, die im 15. Jahrhundert nach Zentraleuropa ausgewandert sind. Sie leben demnach hauptsächlich in Deutschland, Frankreich und Italien und seien im Vergleich zu den Jenischen zahlenmässig eine bedeutend kleinere Gruppe in der Schweiz, die sich indes mit den Jenischen vermischt habe.