DauerthemaDer Wolf gibt im Parlament schon wieder zu reden
Von Gil Bieler
2.3.2021
Neuer Anlauf, um den alten Konflikt zu lösen: Das Parlament knöpft sich erneut die Themen Wolf und Herdenschutz vor. Worum es geht und wie gross das Problem mit dem Grossraubtier ist – ein Überblick.
Es ist noch kein halbes Jahr her, dass sich das Stimmvolk zum Wolf geäussert hat: Mit 51,9 Prozent Nein-Stimmen wurde im September 2020 das revidierte Jagdgesetz abgelehnt, das den Schutz des Wolfes gelockert hätte. Der tierische Jäger aber ist noch immer da – und damit die Probleme. Wie soll das Zusammenleben zwischen Mensch, Nutztieren und Grossraubtieren am besten geregelt werden? Mit dieser Frage befasst sich ab heute erneut das Parlament.
Dass Handlungsbedarf besteht, räumen auch Tierschützer*innen ein. Das aktuelle Jagdgesetz stammt von 1986 – einer Zeit, als der Wolf in der Schweiz ausgerottet war. Erst 1995 kehrte er zurück, seit 2012 pflanzen sich die Tiere hierzulande wieder fort. Womit sich auch die Konflikte mit den Tierzüchtern oder dem Tourismus verschärfen.
Worum geht es jetzt?
Der Bundesrat soll innerhalb des geltenden Jagdgesetzes Möglichkeiten ausloten, um problematische Wölfe schneller zu erlegen und Nutztiere besser zu schützen. Das fordert die Umweltkommission des Nationalrats in einer Motion, die heute im Rat diskutiert wird.
Denkbar sei etwa, die Kriterien für den Abschuss von Wölfen zu lockern. Gleichzeitig soll der Bundesrat Massnahmen für die Verstärkung des Herdenschutzes treffen. Die Kommission hofft, dass Anpassungen bereits auf den Alpsommer 2021 in Kraft treten könnten.
Und dann herrscht endlich Klarheit?
Nein. Nebst der Motion hat die nationalrätliche Umweltkommission auch eine parlamentarische Initiative mit dem Titel «Ausgewogenes Jagdgesetz» aufgegleist. Das Jagdgesetz soll nach wie vor überarbeitet werden, aber nach folgenden Grundsätzen: Zum einen müsse eine «pragmatische und proaktive Regulation der Wolfspopulation» her. Zum anderen müsse der Herdenschutz verstärkt und weitere Massnahmen für das Zusammenleben von Wolf und Mensch getroffen werden.
Auch den Schutz der Biodiversität – insbesondere von bedrohten Tierarten – will die Kommission stärken. Sie bringt hierbei etwa Wildtierkorridore und Wildschutzgebiete ins Gespräch. Wann diese Initiative im Nationalrat behandelt wird, ist noch offen.
Wie gross ist das Problem mit dem Wolf überhaupt?
Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) geht davon aus, dass in der Schweiz mindestens 110 Wölfe leben und zählt elf Rudel, wie es auf Anfrage von «blue News» heisst. Laut Bafu reissen oder verletzen Wölfe pro Jahr 300 bis 500 Schafe und Ziegen. In solch einem Fall trägt der Bund 80 Prozent Entschädigung für betroffene Landwirt*innen, der Kanton den Rest. Im Durchschnitt der letzten vier Jahre nahm der Bund hierfür 138'000 Franken in die Hand.
Wieso kann man nichts gegen den Wolf unternehmen?
Weil der Wolf gemäss Berner Konvention als streng geschützte Tierart gilt. Er darf darum nicht gejagt werden.
Dürfen Wölfe überhaupt geschossen werden?
Ja, wobei es darauf ankommt, ob man von Einzeltieren spricht oder von Rudeln. Zuerst zu den Einzeltieren: Kantone können Wölfe dann zum Abschuss freigeben, wenn sie im ersten Jahr ihres Auftauchens mindestens 35 Schafe oder Ziegen innert vier Monaten reissen oder 25 Nutztiere innert eines Monats. In den Folgejahren sind es mindestens 15 gerissene Nutztiere innert vier Monaten.
Einen aktuellen Fall gibt es im Kanton Bern, wo die Wildhut am Wochenende die Wölfin F78 abgeschossen hat. Diese hatte zuvor 36 Nutztiere gerissen. Alle Tiere waren eingezäunt, jedoch entsprach der Zaun nur in einem Fall den Herdenschutz-Vorgaben, wie das bernische Jagdinspektorat im Februar erklärte. Das Bundesamt für Umwelt kann gegen den Abschuss Beschwerde einreichen. «Die Rechtmässigkeit der Abschussverfügung des Kantons Bern für die Wölfin F78 wird zurzeit vom Bafu geprüft», heisst es auf Anfrage.
Die Kantone haben auch die Möglichkeit, ein Wolfsrudel zu regulieren: Sie müssen aber beim Bafu eine Bewilligung einholen. Geschossen werden dürfen nur Jungtiere, und dies auch nur in einem Jahr, in dem sich das Rudel fortgepflanzt hat. Ausserdem muss hier eine bestimmte Zahl von Nutztieren gerissen worden sein, nämlich mindestens 15 innert vier Monaten. Auch muss das Jungtiere «aus eigenem Antrieb regelmässig innerhalb oder in unmittelbarer Nähe von Siedlungen aufhalten» und ein aggressives oder zu wenig scheues Verhalten gegenüber dem Menschen an den Tag legen.
Auch hierzu gibt es ein aktuelles Beispiel: Der Kanton Graubünden wollte das Rudel am Piz Beverin dezimieren. Wölfe aus diesem Rudel hatten einen Esel bei Andeer gerissen sowie ein Kalb am Schamserberg, was «eine neue Dimension» im Verhalten des Bernina-Rudels darstelle. Das Bafu sah das anders. Begründung: Ein gerissener Esel stelle noch keinen grossen Schaden dar, und das Kalb sei ungeschützt gewesen. Daher lehnte es das Gesuch ab.