Ersatz für Horizon-Programm Der Schweizer Wissenschaft fehlt mehr als nur Geld

Von Alex Rudolf

17.9.2021

Beim Vorgänger-Forschungsprogramm war die Schweiz vollständig beteiligt.
Beim Vorgänger-Forschungsprogramm war die Schweiz vollständig beteiligt.
Bild: sda

Warum finanziert nun der Bund Spitzenforschung? Und wie geht es weiter mit der EU? «blue News» stellt die wichtigsten Fragen zum Entscheid der Regierung.

Von Alex Rudolf

17.9.2021

Schweizer Forscher*innen atmen auf. Denn heute stellte der Bundesrat seinen Plan vor, wie der Wissenschaftsstandort Schweiz den Anschluss an die Weltspitze nicht verlieren soll. Aktuell ist die Schweiz nämlich nicht Teil des EU-Mega-Forschungsprojekts Horizon. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was ist eigentlich das Problem?

Weil die Schweiz und die EU sich auf keinen Rahmenvertrag einigen konnten, der die gegenseitigen Beziehungen regelt, ist einiges in der Schwebe. Von dieser Unsicherheit ist die Forschung besonders betroffen. So sind Schweizer Forscher*innen beim europäischen Mega-Projekt Horizon nicht vollständig anerkannt und können an einigen Projekten somit nicht teilnehmen.

Wie will der Bundesrat dieses Problem lösen?

Auf Geheiss der Regierung soll der Schweizerische Nationalfonds Ausschreibungen durchführen, bei denen Schweizer Forscher*innen Finanzierungen für ihre Projekte erhalten sollen. Ob und wie viel Geld zur Verfügung steht, entscheidet sich im Dezember. Dann muss das Parlament die Gelder nämlich bewilligen.

Was ist «Horizon» überhaupt?

Dabei handelt es sich um eines der grössten Forschungsprogramme, das die Welt je gesehen hat. Die EU investiert zwischen 2021 und 2027 rund 95 Milliarden Euro in zahlreiche verschiedene Programme. Das Ziel: Der grüne und digitale Wandel soll damit vorangetrieben werden. Beim Vorgänger-Programm (Horizon 2020) war die Schweiz vollständig anerkannt. Diesen Status möchte sie wieder erhalten.

Wie reagiert die Schweizer Forschung auf die Nachricht des Bundesrates?

Astrid Epiney ist Rektorin der Universität Fribourg.
Astrid Epiney ist Rektorin der Universität Fribourg.
Bild: KEYSTONE/ Peter Klaunzer

Mit den angekündigten Überbrückungsmassnahmen haben viele bereits gerechnet. «Obwohl viele Forschende sehr erleichtert sind, täuscht dies nicht darüber hinweg, dass wir vorerst nicht als voll assoziierter Staat an Horizon teilnehmen können», sagt Astrid Epiney. Sie ist Rektorin der Universität Fribourg, Professorin für Völker- und Europarecht sowie Vizepräsidentin von «swissuniversities».

Worauf muss die Schweizer Forschung trotzdem verzichten?

Die Finanzierung der Forschung ist vorerst gesichert. Doch fehlt dem Wissenschaftsstandort Schweiz mehr als nur Geld. «Unsere Forscher*innen können bei internationalen Projekten nicht mehr die Führung übernehmen», sagt Epiney. Ausserdem sei man von einem Grossteil des europäischen Forschungs-Wettbewerbs ausgenommen. «Dies kann man durch Ersatzmassnahmen nicht ausgleichen. Denn es macht einen Unterschied, ob man mit Forschenden aus dem ganzen EU-Raum oder nur mit solchen aus der Schweiz konkurrenziert.»

Hat der «Horizon»-Ausschluss langfristige Konsequenzen?

Macht die Schweiz über längere Dauer nicht an «Horizon» mit, habe das gewichtige Nachteile für den Forschungsstandort, ist Epiney überzeugt. «Viele jüngere Top-Forschende werden nicht mehr an den hiesigen Universitäten arbeiten wollen, da Horizon viele Möglichkeiten bietet.»

Und warum reden alle von der Kohäsionsmilliarde?

Diese spielt eine wichtige Rolle. Als Gegenleistung zum Zugang zum europäischen Binnenmarkt, verpflichtet sich die Schweiz unter anderem zur Unterstützung der schwächeren EU-Länder. Sie soll Projekte in der Höhe von rund einer Milliarde unterstützen. Dies hat sie jedoch noch nicht getan, denn das Parlament beschloss, das Geld zurückzuhalten, solange die EU der Schweiz schadende Massnahmen aufrechterhält. Der Horizon-Ausschluss wird als solcher gewertet. Nach dem Scheitern des Rahmenabkommens in diesem Frühsommer will der Bundesrat das Geld aber so schnell wie möglich sprechen, um die Wogen zu glätten. Das Parlament ist nicht in Eile. Es entscheidet frühestens im Dezember über die Milliarde.

Wie macht sich der Bundesrat in dieser komplizierten Lage?

In den Augen von Christa Tobler, Professorin für Europarecht an den Universitäten Basel und Leiden, ist der Spielraum des Bundesrates stark eingeschränkt. Denn er ist aktuell darauf angewiesen, dass das Parlament die Kohäsionsmilliarde so rasch wie möglich bewilligt. «Hier liegt das Problem. Denn dass das Parlament die Kohäsionsmilliarde nicht rascher behandeln will, ist eine Trotzreaktion oder eine Machtdemonstration gegenüber dem Bundesrat, die der Sache nicht dient», so Tobler. Der Bundesrat ist sich des Ernsts der Lage bewusst: «Guy Parmelin sagte sehr deutlich, dass die Übergangslösung die Horizon-Teilnahme nicht ersetzen könne.»

Christa Tobler ist Professorin für Europarecht an den Universitäten Basel und Leiden.
Christa Tobler ist Professorin für Europarecht an den Universitäten Basel und Leiden.
Bild: KEYSTONE/Peter Klaunzer

Müssen wir die Milliarde wirklich bezahlen?

«Aus Sicht der EU ist die Zahlung der Kohäsionsmilliarde unweigerlich mit dem Zugang zum Binnenmarkt verknüpft, den die Schweiz aufgrund der bestehenden bilateralen Abkommen geniesst», sagt Tobler. In der Schweiz tue man sich aber schwer damit, diesen Zusammenhang anzuerkennen. «Weil wir derzeit nichts mehr zahlen, geniessen wir in den Augen der EU den Marktzugang, ohne unsererseits eine damit zusammenhängende Leistung zu erbringen.»

Wie kommt das Ganze in Brüssel an?

Tobler sagt: «Brüssel unterscheidet grundsätzlich nicht zwischen Bundesrat und Parlament, sondern sieht, dass die Schweiz als Ganzes in Sachen Kohäsionsmilliarde schwierig ist.»

Wie stehen die Chancen, dass die Schweiz 2021 wieder bei Horizon mitmachen darf?

Das ist schwer abzuschätzen, denn die Bedingungen müssten erst noch verhandelt werden. «Erst wenn sich die Schweiz dazu entschieden hat, die Milliarde zu bezahlen und diese Frage mit der EU geregelt ist, setzt sich die EU an den Verhandlungstisch», so Tobler. Die Verhandlungen werden wohl hart. Denn bislang habe die Schweiz viel aus der Horizon-Teilnahme rausgeholt. «Die EU passte ihre Regeln an und will so verhindern, dass Nicht-EU-Mitglieder stärker von solchen Programmen profitieren als EU-Mitglieder.»