Bern blockiert Panzer-Lieferung an KiewDer Druck aus dem Ausland steigt
tmxh / SDA
1.6.2022
Die Schweiz blockiert dänische Waffenlieferungen an die Ukraine und beruft sich dabei auf Kriegsmaterialgesetz und Neutralität. Doch der Druck aus dem Ausland steigt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
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01.06.2022, 14:18
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Sobald der Westen schwere Waffen geliefert habe, werde die ukrainische Armee mit der Befreiung der russisch besetzten Gebiete beginnen, kündigte Wolodymyr Selenskyj bei einem Treffen mit der slowakischen Präsidentin an. Waffen und Munition hätten «absolute Priorität» für die Ukraine – so hatte der Präsident bereits vor einer Woche in einer Videobotschaft abermals die Forderung nach Waffenlieferungen bekräftigt.
Einige europäische Länder kamen und kommen dem nach. So auch die dänische Regierung, die eigentlich geplant hatte, die ukrainischen Streitkräfte mit 20 Panzern zu unterstützen. Dass daraus nun vorerst vermutlich nichts wird, liegt vor allem an der Schweiz: Abermals hat das Seco die Lieferung von Waffen in die Ukraine blockiert. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Gründen und Folgen der Ablehnung.
Um welche Waffen geht es genau?
Die dänische Regierung wollte der Ukraine zur Verteidigung 20 seiner Radschützenpanzer vom Typ «Piranha III» liefern. Diese schwer gepanzerten Armeefahrzeuge sollen Soldaten im Kampf Deckung bieten – und sie kommen aus der Schweiz, genauer vom Hersteller Mowag aus Kreuzlingen. Bereits Anfang Mai war über die Lieferung dieser und anderer Panzer spekuliert worden.
Weil es sich um Panzer aus Schweizer Herstellung handelt, musste Dänemark laut Schweizer Kriegsmaterialgesetz die hiesigen Behörden um Erlaubnis bitten. Dazu hatte sich das Land beim Kauf verpflichtet. Und handelte sich laut Recherchen der SRF-«Rundschau» nun eine Abfuhr vom Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ein. Die Anfrage «einer dänischen Behörde betreffend gepanzerte Radfahrzeuge des Typs Piranha III» und dessen Absage bestätigte das Seco auch auf Nachfrage von blue News.
Warum lehnt die Schweiz das Gesuch ab?
Das Schweizer Kriegsmaterialgesetz verlangt für Kriegsmaterialexporte an Staaten grundsätzlich eine Nichtwiederausfuhr-Erklärung. Das Empfängerland verpflichtet sich damit, das Material nicht ohne vorheriges Einverständnis der Schweiz weiterzugeben. Nicht zulässig sind etwa Exporte in Länder, in denen Krieg herrscht – und dazu gehört auch die Ukraine.
Diese Ablehnungskriterien seien «zwingend», teilte ein Seco-Sprecher blue News mit. Ein weiterer Teil der Begründung ist die Schweizer Neutralität.
Gab es schon ähnliche Fälle?
Mit der gleichen Begründung waren im April bereits zwei Gesuche aus Deutschland abgelehnt worden. Eines davon betraf Schweizer 35-Millimeter-Munition für Flugabwehrpanzer vom Typ «Gepard» an die Ukraine, das zweite unspezifische 12,7-Millimeter-Munition.
Damals hatte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck bei einem Treffen mit den Bundesräten in der Schweiz die Frage gestellt, ob es möglich wäre, in der Schweiz hergestellte Munition für Gepard-Panzer in die Ukraine auszuliefern. Auch er erhielt eine Absage. Insgesamt haben die Schweizer Behörden bislang also drei Anfragen erreicht.
«Bei allen drei Anfragen ging es darum, ob das aus der Schweiz erhaltene Kriegsmaterial an die Ukraine weitergegeben werden darf», so das Seco auf Anfrage von blue News. Man habe «diese mit Verweis auf die Schweizer Neutralität und die zwingenden Ablehnungskriterien der Schweizer Kriegsmaterialgesetzgebung abschlägig beantwortet».
Wie reagiert das Ausland?
Der Druck aus dem Ausland scheint zu steigen – insbesondere aus Deutschland. Erst in der vergangenen Woche forderte der deutsche Vizekanzler Robert Habeck am Weltwirtschaftsforum in Davos «maximale Unterstützung» für die Ukraine. «Wir müssen unsere eigene Haltung an der Wirklichkeit messen», verwies Habeck auf seine Partei Die Grünen, die ihre Meinung zu Waffenexporten in Kriegsgebiete ebenfalls geändert hätte.
Und die deutsche Regierung gibt in Sachen Waffenlieferungen nicht auf: Nach Angaben der «Rundschau» habe die deutsche Regierung den Bundesrat darum gebeten, seine Ablehnung der Munitionsexporte noch einmal zu überdenken.
Könnte der Bundesrat seine Meinung ändern?
Ob die Regierung ihre Entscheidung tatsächlich noch einmal ändert, könnte sich laut «Rundschau»-Recherchen diesen oder nächsten Freitag herausstellen. Dann soll der Bundesrat über die neuerliche Anfrage aus Deutschland entscheiden.
Sollte der deutsche Munitionsexport genehmigt werden, hätte das wohl auch Folgen für die Dänen, die dann auch ihre Panzer-Exporte noch einmal prüfen lassen könnten.
Wäre eine Erlaubnis überhaupt rechtmässig?
Laut SRF sehen manche Experten in Parlament und Verwaltung im Kriegsmaterialgesetz durchaus die Möglichkeit, den Export von Waffen und Munition aus Schweizer Produktion zu erlauben. Dies wäre eine grosszügigere Auslegung des Gesetzes unter bestimmten Bedingungen.
Eine Änderung des Kurses fordert etwa die grünliberale Fraktionschefin Tiana Angelina Moser: Es gehe nicht um direkte Waffenexporte, so die Politikerin laut SRF, sondern um bereits an befreundete Demokratien verkaufte Waffen. Diese würden «weitergegeben an ein Land, das sich gegen einen Aggressor verteidigt».
Dass der Bundesrat nicht von seiner heutigen Praxis abkommen dürfe, verlauten laut SRF derweil SVP und Grüne. «Die bisherige Praxis ist breit abgestützt. Der Bundesrat darf sich davon nicht einfach hinter den Kulissen verabschieden, ohne das Parlament zu fragen», wird Grünen-Chef Balthasar Glättli zitiert, der die Schweizer Neutralität in Gefahr sieht.