«Aufschrei war riesig» Betroffene reagiert auf «verharmlosende» Long-Covid-«Tagesschau»

von Alex Rudolf

26.2.2024

Chantal Britt, die Präsidentin von Long Covid Schweiz, übt Kritik an der «Tagesschau».
Chantal Britt, die Präsidentin von Long Covid Schweiz, übt Kritik an der «Tagesschau».
Quelle: zVg

Die «Tagesschau» verharmloste in einem Beitrag die Folgen von Long Covid. Betroffene sind empört und fürchten, dass ihre Krankheit nun noch weniger ernst genommen wird.

von Alex Rudolf

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Ombudsstelle des SRF rügte die «Tagesschau», dass diese die Folgen von Long Covid verharmlost habe.
  • Die Präsidentin von Long Covid Schweiz ist von der «Tagesschau» ebenfalls enttäuscht. Sie findet, der Beitrag war nicht sauber gemacht.
  • So moniert Chantal Britt, dass in dem Beitrag Äpfel und Birnen verglichen werden.

Die Ombudsstelle des Schweizer Fernsehens rügt die «Tagesschau» nachdem diese einen Bericht über Long Covid gebracht hatte. So sei der Beitrag stigmatisierend, ehrverletzend, verharmlosend und fachlich falsch gewesen, wie es im Bericht der Ombudsstelle heisst.

So wurde ein Patient porträtiert, der sagte, er habe die Symptome seiner Long-Covid-Erkrankung durch Sport bekämpfen können. Er berichtete weiter, dass er am Wochenende Velo fahren war und froh sei, wieder arbeiten zu können, «anstatt nur faul rumzusitzen».

Chantal Britt ist Präsidentin des Vereins Long Covid, der sich für die Belange von Erkrankten einsetzt. Auch sie hat den Beitrag in der «Tagesschau» gesehen. Es sei schade, dass in dem Beitrag Äpfel mit Birnen verglichen wurden, sagt sie zu blue News.

Stellungnahme von SRF

Die Beanstandungen habe man sehr ernst genommen, wie Chefin vom Dienst im SRF Newsroom Regula Messerli auf Anfrage von blue News sagt. Zwar habe man den Beitrag als «sachgerecht» verteidigt, da man belegen konnte, dass viele Long-Covid-Betroffene Sport und Aktivität als hilfreich erleben würden. «Aus Respekt vor den Schwerst-Betroffenen, die sich durch die Aussagen in der ‹Tagesschau›-Geschichte vor den Kopf gestossen fühlten, haben wir die Geschichte aber gesperrt», sagt Messerli. Darüber hinaus habe man eine neue Geschichte in Auftrag gegeben, in der zahlreiche Long-Covid-Betroffene zu Wort kommen würden. Publiziert wurde sie eine knappe Woche später in «10 vor 10». (aru)

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie den Beitrag gesehen haben?

Im Beitrag ging es um Forschungsresultate der Universität Zürich, wonach künftig Biomarker zur Bekämpfung von Long Covid eingesetzt werden könnten. Für uns waren diese Ergebnisse enorm wichtig. Ich war enttäuscht, dass die Redaktion einen Patienten ausgewählt hatte, der akut an Covid erkrankt war. Dabei handelt es sich nicht um eine typische Long-Covid-Verlauf, bei dem es nur selten zu einer Hospitalisierung kommt.

Was zeichnet eine typische Long-Covid-Erkrankung aus?

Typisch sind jüngere gesündere Patient*innen, die nicht hospitalisiert werden und eine Autoimmun-Reaktion entwickeln, die diverse Körperfunktionen aus dem Lot bringt. Der Herr im Beitrag erzählte, wie er Sport machen konnte und es ihm dadurch besser ging. Genau dies ist bei Long Covid aber fast nie möglich – Sport ist bei unserem Leitsymptom Belastungsintoleranz sogar gefährlich und führt zu einer Verschlechterung des Zustands. Wir sind vom SRF enttäuscht, dass sie einen nicht-repräsentativen post-akuten Covid-Fall wählten. Man hätte uns kontaktieren können, und wir hätten einen repräsentativeren Fall vermitteln können. Der Beitrag war nicht sauber gemacht. Normalerweise berichtet SRF sachlich und neutral.

Erhielten Sie Reaktionen von Menschen aus Ihrem Verein?

Der Aufschrei war riesig. Alle waren enttäuscht und fühlten sich durch die Aussagen verletzt. Das Problem bei Long Covid ist nicht eine fehlende Motivation, sondern dass wir keine objektivierbaren Biomarker haben, die beweisen, dass wir körperlich krank sind. Deshalb glauben einem die Ärzte nicht. Genau diese Art von Berichterstattung und diese Art von Aussagen, die das Ausmass und die Schwere der Erkrankung herabspielen, bekräftigen ein verfälschtes Bild von Long Covid und den Betroffenen und fördern damit die Psychologisierung und Stigmatisierung.

Welche Auswirkungen hat das auf die Mitglieder Ihres Vereins?

Eine Betroffene schrieb mir, dass es das Allerletzte sei, da alle Verwandten und Bekannten diesen Bericht gesehen hätten. Nun glaube ihr wohl niemand mehr, dass sie tatsächlich eine ernstzunehmende Krankheit habe. Die «Tagesschau» ist einer der wichtigsten Nachrichten-Kanäle und nun haben viele Zuschauer*innen ein verzerrtes Bild unserer Krankheit.

Sie sagen, dass der Patient nicht repräsentativ sei für eine Long-Covid-Erkrankung. Wie sieht der oder die typische Patient*in aus?

Der typische Fall ist weiblich, zwischen 20 und 50 Jahre alt, war früher fit und sportlich, hat keine Vorerkrankungen und war nicht im Spital. Auch spricht ein typischer Fall von Long Covid meist nicht auf aktivierende Reha-Programme an. Verlangt man von mir, dass ich Velo fahre, kippe ich nach einigen Minuten vom Bike und werde in den kommenden Tagen eine Symptomverschlechterung haben.

Wie bekämpfen Sie die Stigmatisierung von Long-Covid-Erkrankten?

Es läuft vieles über die Aufklärung. So gehen etwa immer noch viele Ärzte davon aus, dass Long Covid eine psychosomatische Erkrankung ist, die mit aktivierender Physiotherapie und Verhaltenstherapie behoben werden kann. Das stimmt schlichtweg nicht und wird in sämtlichen aktualisierten Richtlinien so festgehalten.

Wie sieht es mit einer Therapie aus?

Eine solche gibt es nicht, und dies ist extrem frustrierend. Die fehlende Behandlung und Anerkennung stellen die Menschen vor grosse Probleme, und bei vielen kommen finanzielle Probleme hinzu, weil Krankentaggelder auslaufen und man keine IV-Renten erhält. Man lässt die Leute einfach im Stich, und das ist untragbar für ein reiches Land wie die Schweiz. Ich persönlich kann noch immer in einem reduzierten Pensum arbeiten, aber für viele meiner Kolleg*innen ist dies nicht mehr möglich.