Wachsende SorgeDie Kinder sind ins Zentrum der Epidemie geraten
Von Anne Funk
21.9.2021
Infektionsrisiko, Impfung und die Frage nach psychologischen Folgen: Kinder und Jugendliche sind ins Zentrum der Pandemie gerückt – und die Sorge um ihre Gesundheit wächst.
Von Anne Funk
21.09.2021, 18:09
Anne Funk
«Es stecken sich vor allem Junge an», erklärte Patrick Mathys am Dienstag vor den Medien. Damit sprach der Leiter der Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit im Bundesamt für Gesundheit (BAG) aus, was derzeit eines der beherrschenden Themen im Zusammenhang mit der Pandemie ist: die Kinder.
Im August zeigten die Altersklassen 0 bis 9 und 10 bis 19 Jahre die «stärkste Zunahme und im Moment die höchsten Werte der gemeldeten Fälle von Infektionen mit SARS-CoV-2», heisst es im neuesten wissenschaftlichen Lagebericht der Science Task Force.
Meist verläuft eine Corona-Infektion bei Kindern und Jugendlichen deutlich milder als bei Erwachsenen. Die meisten Kinder entwickeln keine Symptome, manche erkranken leicht. Zwei Prozent müssen in einem Spital behandelt werden, analysierten australischen Forscher mit Verweis auf verschiedene internationale Untersuchungen in einer kürzlich veröffentlichten Studie. Rund 0,03 Prozent versterben demnach als Folge der Infektion.
Nachweisliche Verschlechterung der Gesundheit
Doch auch wenn die meisten Kinder, die sich anstecken, nur milde Symptome zeigten, seien sie «von der Pandemie massiv betroffen», sagte Alain Di Gallo von der Covid-Taskforce an der Medienkonferenz. In einem Jahr würden junge Menschen wichtige Entwicklungsschritte durchlaufen, die Pandemie habe diese Entwicklungsschritte gestört. «Bis heute tun sich viele Kinder und Jugendliche schwer damit, den Weg zurück in den Alltag zu finden.»
Das Leben der Kinder sei durch die Pandemie aus der Bahn geraten. «Nachweislich verschlechtert» habe sich die physische Gesundheit der Kleinsten. Die Symptome reichen dem Fachmann zufolge von Müdigkeit über Schlafprobleme und Angstzustände bis hin zu Depressionen. Auch Suizidversuche hätten seit dem Frühjahr 2020 zugenommen, sagte Di Gallo. Umso wichtiger sei es, den Kindern ein stabiles Umfeld zu bieten, inklusive eines geregelten Alltags.
Auch Daniel Vilser, leitender Oberarzt für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum im deutschen Jena, schätzt die Auswirkungen der Alltagseinschränkungen auf die Kinder als dramatisch ein. «Wenn wir die Schäden durch den Lockdown mit den Schäden durch das Virus betrachten: Dann überwiegt klar der Lockdown.» Seit Beginn der Pandemie sei die Inzidenz von psychosomatischen Erkrankungen bei Kindern stark gestiegen.
Belastung durch Massnahmen muss gering bleiben
Noch kann man Kinder nicht durch eine Impfung vor einer Covid-Erkrankung bewahren, betonte Di Gallo – doch sie hätten ein Recht darauf, geschützt zu werden, etwa durch Massnahmen an den Schulen, wie regelmässiges Testen, Lüften und Maskenpflicht. Di Gallo wies aber auch darauf hin, dass regelmässiges Testen für Kinder und Eltern eine Belastung darstelle. «Entlasten wir die Jüngsten, damit sie schnellstmöglich wieder in den Alltag zurückfinden.»
Das wird auch im Bericht der Taskforce betont. «Massnahmen mit niedriger Beeinträchtigung der Kinder in ihrem Alltag sind zentral, um die mentale und soziale Belastung kleinzuhalten.»
Den Schutz der Kinder in den Schulen hatten am Dienstag auch Kinderschutzorganisationen vor dem Bundeshaus in Bern gefordert. Covid könne auch «für unsere Jüngsten gefährlich sein», doch: «Politik und Regierungen schweigen», kritisieren die Organisationen ProtectTheKids, «Bildung aber sicher» und Schulcluster.ch in mit. Sie fordern verbindliche Standards in einem für alle Kantone gültigen Schutzkonzept, mit dem das Ansteckungsrisiko an Schulen klein gehalten und eine generelle Durchseuchung verhindert werden müsse.
Oberstes Ziel müsse es nach Ansicht der Taskforce sein, die Virenzirkulation bei Kindern und Jugendlichen zu reduzieren. Dafür sprächen drei wesentliche Gründe: Erstens können auch bei Kindern und Jugendlichen schwere Verläufe oder Long-Covid auftreten.
Zweitens sei die Impfquote bei den Erwachsenen noch immer so gering, dass sich die Situation erneut zuspitzen und so wieder strengere Massnahmen erforderlich machten könnten. Das wiederum würde negative mentale Auswirkungen auf die Kinder haben.
Drittens gelte es, Kinder so gut als möglich vor einer Infektion zu schützen, bis auch für 5- bis 11-Jährige eine Impfung verfügbar sei. Denn dann könnten sich die Kinder und ihre Eltern selbst entscheiden, ob sie sich impfen lassen wollen oder durch eine zu riskierende Infektion Immunität aufbauen wollen.
Was bringt die Impfung für Kinder?
Wann eine Impfung auch für jüngere Kinder verfügbar sein wird, ist derzeit noch nicht abzusehen. «Das wird sicher nicht in den nächsten zwei bis drei Wochen stattfinden», sagte Patrick Mathys.
Zwar drücken die Hersteller aufs Tempo, erste Studiendaten werden allerdings erst jetzt veröffentlicht, berichtet SRF. Wahrscheinlich sei es, dass erst Anfang des nächsten Jahres mit der Zulassung zu rechnen sei.
Doch auch wenn die Impfung für Kinder verfügbar sein wird, werden sie wohl trotzdem von der Zertifikatspflicht ausgenommen bleiben. Man habe Kinder und Jugendliche bisher stets von einschneidenden Massnahmen ausgenommen, das werde wohl auch in Zukunft so bleiben. «Ich gehe davon aus, dass es für Kinder und Jugendliche auch künftig Ausnahmen gibt», so Mathys.