Stimme mit GewichtDas kommt jetzt im UNO-Sicherheitsrat auf die Schweiz zu
Von Andreas Fischer
9.6.2022
Die Schweiz wird heute erstmals Mitglied des UNO-Sicherheitsrats – des mächtigsten politischen Gremiums überhaupt. Was kommt nun auf das Land zu?
Von Andreas Fischer
09.06.2022, 07:10
09.06.2022, 08:40
Andreas Fischer
«Der Bundesrat wird beauftragt, auf eine Kandidatur der Schweiz für den UNO-Sicherheitsrat zu verzichten.» So lautete die Forderung von Ständerat und SVP-Parteipräsident Marco Chiesa. Doch davon wollte der Nationalrat in einer ausserordentlichen Session im März nichts wissen und hat die Motion der SVP deutlich abgelehnt.
Transparenz
Dieser Artikel wurde am 10. März 2022 erstmals veröffentlicht. Aus Anlass der heutigen Wahl der Schweiz zum nichtständigen Mitglied des UNO-Sicherheitsrates publizieren wir ihn in einer aktualisierten Fassung erneut.
Mit dem Votum wurde die letzte Hürde einer innenpolitisch umstrittenen Kandidatur genommen: Bern hielt an der Bewerbung für einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat fest. Heute ist es nun so weit. Die Schweiz wird für die Jahre 2023 und 2024 in den UNO-Sicherheitsrat gewählt und voraussichtlich im Mai 2023 die Präsidentschaft des mächtigsten UNO-Gremiums innehaben.
Wie läuft die Wahl zum UNO-Sicherheitsrat ab?
Die Wahl findet am 9. Juni 2022 in New York statt. Wahlgremium ist die UNO-Generalversammlung mit 193 Ländern. Gewählt werden fünf nichtständige Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates für die Wahlperiode vom 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2024. Die Schweiz kandidiert zum ersten Mal für einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat. Die Wahlergebnisse werden gegen 17:30 Uhr Schweizer Zeit erwartet.
Wer bewirbt sich neben der Schweiz?
Einen direkten Gegenkandidaten hat die Schweiz nicht. Die Wahl gilt daher als sicher. Neben der Schweiz bewirbt sich Malta um den zweiten freien Sitz der Regionalgruppe der westeuropäischen und anderen Staaten (WEOG). Anwärter aus den anderen Regionen der Welt sind Japan, Ecuador und Mosambik.
Welche Länder sitzen im UNO-Sicherheitsrat?
Die USA, Russland, China, Grossbritannien und Frankreich sind ständige Mitglieder, die bei jeder Entscheidung ein Vetorecht haben. Dazu kommen zehn nichtständige Mitglieder, die nach einem festgelegten Schlüssel aus fünf Regionalgruppen (Afrika, Asien, Lateinamerika und Karibik, Osteuropa, europäischen und übrige «westliche» Staaten) für jeweils zwei Jahre gewählt werden.
Der Sicherheitsrat ist das wichtigste Organ der Vereinten Nationen. Er kann über Krieg und Frieden entscheiden und zum Beispiel den Artikel der UNO-Charta aktivieren, der ihm das Recht gibt, Blauhelm-Soldaten zu entsenden, die den Frieden bewahren sollen.
Das Gremium stimmt auch über Sanktionen ab, die bei Verstössen gegen das Völkerrecht verbindlich gegen einen Mitgliedsstaat angewendet werden können.
Ein Problem dabei ist das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder, die dadurch immer wieder Entscheidungen blockieren. Zuletzt konnte etwa der Krieg in der Ukraine nicht verurteilt werden, weil Russland sein Veto einlegte.
Umfrage
Die Schweiz im UNO-Sicherheitsrat – eine gute Idee?
Welche Rolle kann die Schweiz im Sicherheitsrat spielen?
Die Stimme der Schweiz hat Gewicht: Um einen Entscheid im Sicherheitsrat zu treffen, sind neun von 15 Stimmen erforderlich. Vorausgesetzt, es wird kein Veto eingelegt.
Die Schweiz kann eigene Ideen in den Rat einbringen und Schwerpunkte setzten. Sie ist an den politischen Prozessen direkt beteiligt und hat direkten Zugang zu den Entscheidungsträgern der anderen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates. Die Schweiz sei die Stimme der Minderheiten und Kompromisse und habe im Sicherheitsrat viele Kompetenzen zur Verfügung zu stellen, argumentiert Bundespräsident Ignazio Cassis.
Die Schweiz ist nach ihrem Beitritt zur UNO im Jahr 2002 ohnehin an die Entscheide des Sicherheitsrats gebunden. Während der Mitgliedschaft kann sie daran auch mitwirken. Zudem sei es «illusorisch zu glauben, dass die Schweiz zu aussenpolitischen Entwicklungen einfach schweigen könne», wie der Chef der UNO-Abteilung im Aussendepartement EDA, Frank Grütter, klarstellte.
Frankreich hofft, die Schweiz werde ihre Zeit im wichtigsten Gremium der UNO nutzen, um Lösungsvorschläge für aktuelle Krisen zu erarbeiten und voranzutreiben. UNO-Botschafter Nicolas de Rivière ermuntert die Schweiz, sich nicht aus «heissen Situationen» rauszuhalten, zumal Bern über Expertise in der Konfliktprävention und -reaktion verfüge. Zudem werden die Fähigkeiten der Schweiz als Vermittlerin und Brückenbauerin gefragt sein.
Wer vertritt die Schweiz im Sicherheitsrat?
Pascale Baeriswyl ist Chefin der ständigen Mission der Schweiz bei den Vereinten Nationen in New York und soll die Schweiz bei den Sitzungen des Sicherheitsrates vertreten. Die Basler Diplomatin bekommt ihre Instruktionen zum Abstimmungsverhalten vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), das sich wiederum mit den anderen Departementen abstimmt.
Bei Entscheiden «von hoher innen- oder aussenpolitischer Tragweite» will der Gesamtbundesrat entscheiden, wohlwissend, dass Geschäfte im UNO-Sicherheitsrat sehr kurzfristig anberaumt werden können.
Kann die Schweiz im Sicherheitsrat ihre Neutralität wahren?
Für den Bundesrat und die Mehrheit des Nationalrats ist eine Mitgliedschaft im Sicherheitsrat mit der Neutralität vereinbar, bekräftigte Bundespräsident Ignazio Cassis. Neutralität heisse aber nicht, dass die Schweiz gleichgültig sei und Verletzungen von internationalem Recht nicht verurteile, so wie im Falle des Ukraine-Kriegs.
Jean-Marc Crevoisier, Sprecher der Schweizer UNO-Mission in New York, sagte in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA: «Der Sicherheitsrat ist nicht eine Konfliktpartei im Sinne des Neutralitätsrechts. Sein Mandat besteht darin, Frieden und Sicherheit weltweit zu wahren. Zudem sind andere neutrale und bündnisfreie Staaten wie Österreich, Schweden oder Irland wiederholt Mitglied im Sicherheitsrat. Im gegenwärtigen polarisierten Kontext ist die Neutralität ein Vorteil, kein Hindernis.»
Frankreich hat die Schweiz derweil bereits aufgefordert, den Begriff Neutralität «nicht zu wörtlich» zu nehmen.
Ständerat und SVP-Parteipräsident Marco Chiesa stellt klar, dass das heutige Ja zum Beitritt zum UNO-Sicherheitsrat ein verantwortungsloser Entscheid ist. Die anderen Parteien beerdigen damit die bewährte Neutralität der Schweiz.
SVP-Präsident Marco Chiesa sprach nach der Nationalratsabstimmung im März hingegen von einem «verantwortungslosen Entscheid» und «einem gefährlichen Experiment». Er argumentierte, dass sich die Schweiz bestehenden Machtverhältnissen unterordnen und mit der jahrhundertealten Tradition der Schweizer Neutralität brechen würde. Zudem würde ein Sitz im Sicherheitsrat einen Verlust der Glaubwürdigkeit im Bereich der «Guten Dienste» zur Folge haben.
Mit Material der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Nationalrat hält an Schweizer Kandidatur für Uno-Sicherheitsrat fest
Der Nationalrat will nichts wissen von einem Verzicht der Schweiz auf eine Kandidatur für den Uno-Sicherheitsrat. Die grosse Kammer hat eine entsprechende Motion der SVP mit 125 zu 56 Stimmen bei 8 Enthaltungen deutlich abgelehnt. Für die SVP-Fraktion lieferte sich Nationalrat Roger Köppel (SVP/ZH) zuvor ein Rededuell mit Aussenminister Ignazio Cassis.