Jugendgewalt steigt wiederDas grosse Hauen und Stechen – was steckt dahinter?
tafi
30.6.2020
Nachdem die Jugendkriminalität in der Schweiz jahrelang zurückging, werden Jugendliche wieder häufiger straffällig. Die Ursachen für den neuerlichen Anstieg sind komplex.
14'773 Jugendurteile wurden 2019 ausgesprochen – das sind sechs Prozent mehr als im Vorjahr, wie das Bundesamt für Statistik jetzt mitteilte. Vor allem bei Gewaltstraftaten ist der Anstieg mit elf Prozent deutlich. Dass Jugendliche wieder vermehrt zuschlagen und zutreten, hat komplexe Ursachen, wie Dirk Baier bei SRF erklärt.
Der Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der ZHAW Zürich ist Experte für Jugend- und Gewaltkriminalität. Für ihn gibt es neben exzessiven Ausgangsverhalten und Alkoholkonsum weitere Gründe. Zum einen setze sich gerade eine «Kultur der Wertschätzung von Gewalt durch». Man müsse sich «häufiger mit Gewalt selbst behaupten und auf Provokationen reagieren – gerade männliche Jugendliche».
Alltägliche Gewalt aus den Augen verloren
Baier sieht darin ein «Revival von antiquierten Männlichkeitsorientierungen». Die antiquierten Werte würden verstärkt medial vorgelebt, und die Frage «Wie muss man als junger Mann heute sein?» sei immer schwieriger zu beantworten.
Ein weiterer Grund für die wieder zunehmende Jugendkriminalität sei, dass die Gesellschaft «die alltägliche Gewalt ein bisschen aus den Augen verloren» habe. Die Schweiz hat sich in den vergangenen Jahren – erfolgreich – «auf die Prävention islamistischer Radikalisierung fokussiert». Weil die Jugendgewalt in der Zeit kontinuierlich zurückging, habe man schlicht vergessen, sich um die alltägliche Gewalt zu kümmern.
Anstieg geht «auf einheimische Schweizer zurück»
Der neuerliche Anstieg der Jugendgewalt sei dabei ganz klar ein männliches Problem, so Dirk Baier. Auch wenn Migrantenjugendliche eine etwas höhere Gewaltbereitschaft hätten, gehe der Anstieg ganz klar «auf einheimische Schweizer zurück». Die Hauptursachen macht Baier im sozialen Umfeld der jungen Männer aus und warnt eindringlich davor, von staatlicher Seite nur mit härteren Strafen zu reagieren.
«Das bringt nichts, das wissen wir ganz klar. Jugendliche interessiert es nicht, ob es jetzt sechs oder neun Monate auf ein bestimmtes Delikt gibt», sagt der Wissenschaftler bei SRF. Vielmehr brauche es eine konzertierte Aktion aller Akteure, die sich mit Jugendlichen beschäftigen. Schulen, Elternhäuser und Jugendsozialarbeit müssten an einem Strang ziehen. Das Gewaltproblem lasse sich nur gemeinsam lösen.