Politologe über Abstimmungsschlappen«Dann drohen den Bürgerlichen weitere Niederlagen»
Von Dominik Müller
2.12.2024
Sie erreichen zusammen eine Mehrheit des Schweizer Stimmvolks. Trotzdem stürzen SVP, FDP und Mitte bei wichtigen Vorlagen immer wieder ab. Politologe Oliver Strijbis analysiert die Situation der Bürgerlichen.
Dominik Müller
02.12.2024, 04:30
02.12.2024, 04:39
Dominik Müller
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Kürzlich hat das linke Lager mit dem Nein zum geplanten Autobahnausbau einen grossen Sieg an der Urne errungen.
Damit haben die Bürgerlichen erneut eine wichtige Vorlage nicht durchgebracht.
Politologe Oliver Strijbis sieht die Gründe im fehlenden Druck zur Kompromissbereitschaft und im schwindenden Vertrauen in die bürgerliche Landesregierung.
Bei den Wahlen 2023 haben SVP, FDP und Mitte zusammen einen Wähleranteil von 56,24 Prozent erreicht. Mit dem verhinderten Autobahnausbau, der abgestürzten Reform der beruflichen Vorsorge und nach der 13. AHV-Rente haben die Bürgerlichen in diesem Jahr trotzdem bereits die dritte schwere Niederlage eingefahren. Und dies, obwohl die drei Parteien eine Mehrheit der Stimmbürgerinnen und -bürger erreichen.
Herr Strijbis, warum bringen SVP, FDP und Mitte ihre Projekte nicht durch?
Zur Person
Flurin Bertschinger
Oliver Strijbis ist Professor für Politikwissenschaft an der Franklin University Switzerland in Lugano und Gründer der Feldlabor GmbH. Seine Spezialgebiete sind Abstimmungen, Wahlen, Migration und Nationalismus.
Die Konstellationen bei den verschiedenen Abstimmungen und Vorlagen sind unterschiedlich, daher gibt es nicht den einen Grund. Aber ich denke, es gibt zwei Aspekte, welche die Tendenz erklären können. Erstens sind die bürgerlichen Parteien aufgrund ihrer Mehrheit im Parlament und Bundesrat nicht zu breiten Kompromissen gezwungen. Entsprechend versuchen sie klar bürgerliche Vorlagen durchzubringen, was riskanter ist als wenn die Vorlagen einem breiteren Kompromiss entsprechen.
Zweitens ist das Vertrauen in den Bundesrat in den letzten Jahren gesunken. Das mag teilweise auch damit zusammenhängen, dass wir mit vier Bundesräten, die klar rechts der Mitte politisieren, einen sehr bürgerlichen Bundesrat haben. Es mag aber auch das international ebenfalls wahrnehmbare abnehmende Vertrauen in die Regierungen widerspiegeln.
Liegt derzeit die Kampagnenhoheit auf linker Seite?
Das denke ich nicht. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in Bundesrat und Parlament ist die Linke einfach eher dazu gezwungen, Abstimmungen zu erzwingen. Aber ich denke, dass auch Referenden und Initiativen von rechts im aktuellen Umfeld gute Chancen haben.
Wie geeint nehmen Sie derzeit die Zusammenarbeit im bürgerlichen Lager wahr?
SVP und FDP treten bestimmt geeinter auf als auch schon. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich die FDP unter dem Präsidium von Thierry Burkhart klar nach rechts orientiert. Anstatt sich auf ihre Wirtschaftskompetenz zu verlassen, versucht sich die FDP zunehmend mit einem konservativen Kurs zu profilieren.
Was für eine Rolle spielt die Zuwanderungsinitiative (Keine 10-Millionen-Schweiz) der SVP und der damit verbundene mögliche Bruch in den Beziehungen zur EU?
Ich denke nicht, dass diese für die Ergebnisse der Abstimmungen von grosser Bedeutung waren. Auch nicht in Bezug auf den Ausbau der Autobahnen. Mit der Zuwanderungsinitiative treibt die SVP die FDP und die Mitte vor sich her. Bei diesem Thema können FDP und Mitte nur verlieren, denn sie werden sich für einen Teil ihrer Wählerschaft immer als entweder zu EU-kritisch oder zu EU-freundlich positionieren.
Hinter vorgehaltener Hand wird Gerhard Pfister nachgesagt, er könnte dereinst die Nachfolge von Viola Amherd anstreben. Ist der Mitte-Präsident deshalb bestrebt, es sich mit dem rot-grünen Lager nicht zu verscherzen?
Das denke ich nicht. Würde er persönliche Bundesratsambitionen besonders hoch gewichten, wäre er wohl nicht Parteipräsident geworden. Denn als Parteipräsident muss man sich typischerweise zu sehr profilieren als dass dies für eine Bundesratskandidatur hilfreich wäre.
Ist mit weiteren bürgerlichen Abstimmungspleiten zu rechnen, sofern sich das bürgerliche Bündnis nicht stärkt?
Bei Sozialpolitik und Umweltpolitik hat die Linke vor allem bei Referenden gute Chancen. Gerade wenn sich die bürgerlichen Parteien bei diesen Themen als wenig komprossibereit zeigen, drohen ihnen tatsächlich weitere Abstimmungsniederlagen.
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