Urteil «Carlos» erhält lange Freiheitsstrafe, wird aber nicht verwahrt

SDA/tafu

16.6.2021

Das Urteil gegen den als «Carlos» bekannt gewordenen Wiederholungstäter Brian ist gefallen. (Archivbild)
Das Urteil gegen den als «Carlos» bekannt gewordenen Wiederholungstäter Brian ist gefallen. (Archivbild)
Bild: Keystone/Linda Graedel

Der als «Carlos» bekannt gewordene Straftäter Brian stand seit Mai erneut vor Gericht, nun hat das Zürcher Obergericht das Urteil bekannt gegeben. Zuvor hatte ein Uno-Sonderbeauftragter wegen der andauernden Isolationshaft interveniert.

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Einmal mehr stand in Zürich der junge Straftäter Brian, der als «Carlos» bekannt wurde, vor Gericht, nun ist das Urteil im Prozess gefallen. Das Zürcher Obergericht hat Brian am Mittwoch zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten verurteilt. Verwahrt wird er nicht. Auch eine «kleine Verwahrung» fand das Gericht nicht zielführend. So erhält er die Chance, irgendwann wieder in Freiheit zu kommen.

Der Wiederholungstäter musste sich verantworten, weil er im Gefängnis mehrere Polizisten, Mithäftlinge und Mitarbeiter bedroht, angegriffen und teilweise verletzt haben soll. Das Gericht sprach den 25-Jährigen nun wegen Körperverletzung, Beschimpfung, Drohung, mehrfacher Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sowie Sachbeschädigung schuldig.

Verwahrung nicht verhätnismässig

Die Vorinstanz, das Bezirksgericht Dielsdorf, hatte nur vier Jahre und neun Monate verhängt. Dafür wollte das Bezirksgericht Brian in die «kleine Verwahrung» schicken, also dauerhaft hinter Gittern therapieren.

Das Obergericht beliess es nun aber bei einer Freiheitsstrafe, verschärfte diese aber. Brian sage selber, dass er sich keinesfalls therapieren lassen wolle, sagte der Richter. Man könne ihn nicht dazu zwingen. So gebe es praktisch keine Möglichkeit, eine Therapie durchzuführen.


Das sagt der Staatsanwalt zum Urteil: 


Eine ordentliche Verwahrung, ihn also zum Schutz der Öffentlichkeit bis ans Lebensende wegzusperren, wie es die Staatsanwaltschaft gefordert hatte, hielt das Obergericht für nicht verhältnismässig.

«Er ist kein Mörder, kein Vergewaltiger und auch kein Brandstifter. Er ist vor allem ein Schläger.» Die vorliegenden Delikte hätten sich zudem alle gegen den Justizapparat gerichtet. «Es besteht die Möglichkeit, dass er sich nach Verbüssen der Freiheitsstrafe in Freiheit bewähren könnte.»



Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Sowohl Staatsanwalt als auch Brian selber können es noch ans Bundesgericht weiterziehen. Brian hatte argumentiert, dass er von den Gefängnisangestellten immer wieder provoziert und auch rassistisch beleidigt worden sei. Seine Anwälte betonten, dass die Haftbedingungen Folter seien. Man könne Brian nicht vorwerfen, dass er sich dagegen zur Wehr setze.

Wegen seiner Odyssee durch Psychiatrien und Gefängnisse tritt Brian auch als Kläger auf: Er brachte die drei Psychiater vor Gericht, die ihn als Teenager 13 Tage lang auf ein Bett gebunden hatten, und verklagte den Kanton Zürich wegen unmenschlicher Haftbedingungen im Gefängnis Pfäffikon. Beide Fälle verliefen bisher nicht in seinem Sinne. Die drei Psychiater wurden freigesprochen und der Kanton wurde zwar gerügt, allerdings nicht zur Zahlung von 40'000 Franken verpflichtet. 

Uno kritisiert Isolationshaft

Inzwischen muss sich allerdings auch der Bund mit den Haftbedingungen auseinandersetzen: Der Uno-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, hat beim Aussendepartement von Bundesrat Ignazio Cassis (FDP) schriftlich eine Stellungnahme zu Brians Haftbedingungen verlangt.

Isolationshaft dürfe gemäss Uno-Standards nur in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen und in keinem Fall länger als 15 Tage. «Hier sind wir aber bei fast drei Jahren», sagte Melzer am Montag am Radio SRF. Er forderte deshalb, dass das Haftregime von Brian gelockert werden müsse. Der Bund wird nun innert zwei Monaten Stellung dazu beziehen.



Zudem wird die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter den jungen Gewalttäter am 2. Juli besuchen und die Situation im Gefängnis Pöschwies untersuchen.

Brians Einzelhaft wird nun erstmal fortgesetzt. Das Obergericht lässt die Folter-Vorwürfe nicht gelten. Das Bundesgericht habe noch vor zwei Monaten festgestellt, dass die Haftbedingungen «noch als menschenrechtskonform» zu bezeichnen seien. Seither habe sich nichts zu Brians Nachteil verändert.


Das sagt der Verteidiger zum Urteil:


«Unaufhaltsame Abwärtsspirale»

Das Obergericht sah nun zwar von einer ordentlichen Verwahrung und auch von einer «kleinen Verwahrung» mit Therapie ab. Hilfe benötige Brian aber trotzdem, auch wenn er das nicht anerkennen wolle.

«Er befindet sich in einer unaufhaltsamen Abwärtsspirale», sagte der Oberrichter. «Ich frage mich, ob es die richtige Art von Hilfe ist, ihn in seinem Kampf gegen den Staat zu bestärken», sagte er an Brians drei Anwälte gerichtet. Er brauche vielmehr Menschen, die ihm zeigen würden, wie er aus der Sackgasse herausfinde. «Sonst wird er sich mittel- und langfristig selber verwahren.»

Dieser Prozess ist nun vorerst beendet, Brian muss sich aber bereits einem neuen Strafverfahren stellen: Noch während der aktuelle Gerichtsfall in Arbeit war, randalierte er hinter Gitter nämlich weiter. Der Staatsanwalt eröffnete ein neues Verfahren.