Bundesgericht Bundesgericht annulliert die Abstimmung über die Heiratsstrafe

SDA/uri

10.4.2019 - 13:11

Das Bundesgericht hat die Beschwerden gegen die Volksinitiative der CVP gegen die Heiratsstrafe gutgeheissen. Der Bundesrat hat die Abstimmungsfreiheit und das Transparenzgebot in krasser Weise verletzt.

Es ist das erste Mal seit der Gründung des Bundesstaates im Jahr 1848: Die höchsten Richter haben eine Abstimmungsbeschwerde der CVP gutgeheissen und damit die Abstimmung von vor gut drei Jahren annulliert. 

Der Entscheid des Bundesgerichts fiel mit vier zu einer Stimmer klar aus. Die Mehrheit der Richter ist der Ansicht, dass der Bundesrat die Stimmberechtigten bei der Anzahl der betroffenen Paare falsche Angaben gemacht habe.



So habe er nie darüber aufgeklärt, dass es sich bei den mutmasslich betroffenen 80'000 Doppelverdienerpaaren um eine Schätzung handle. Und zudem stammten die Zahlen aus dem Jahr 2001.

Die Stimmberechtigten hätten gemäss Bundesgericht darauf vertrauen können, dass die vom Bund genannten Zahlen korrekt seien. Diese seien massgeblich gewesen für die Meinungsbildung.

Die Stimmberechtigten werden sich nochmals mit der Heiratsstrafe befassen müssen. (Symbolbild)
Die Stimmberechtigten werden sich nochmals mit der Heiratsstrafe befassen müssen. (Symbolbild)
Bild: Keystone

Am 28. Februar 2016 wurde die Initiative mit dem Titel «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» abgelehnt. 16 Kantone und ein halber sagten zwar Ja, doch scheiterte die Initiative am Volksmehr – 50,8 Prozent der Stimmenden sagten Nein.

Korrektur der Zahlen

Die CVP wollte in die Verfassung schreiben, dass verheiratete Ehepaare nicht bestraft werden dürfen gegenüber Paaren mit anderer Lebensform, namentlich bei der Besteuerung und bei den Sozialversicherungen.

Der Bundesrat empfahl das Begehren zur Ablehnung. Im Abstimmungsbüchlein schätzte er, dass rund 80'000 Doppelverdiener-Paare sowie rund 250'000 Rentner-Ehepaare von der so genanten Heiratsstrafe betroffen seien.

Im Juni 2018 korrigierte die Regierung dann die Zahlen und räumte einen gewaltigen Irrtum ein. Nicht 80'000 Zweiverdiener-Ehepaare waren demnach von der Heiratsstrafe betroffen, sondern 454'000. Die Zahl der durch eine Heiratsstrafe diskriminierten Ehepaare betrug nach der Korrektur 704'000.

Freude beim Bundesrat über das Nein zur Abschaffung der Heiratsstrafe am 28. Februar 2016. Das Bundesgericht entscheidet, ob die Abstimmung wiederholt werden muss. (Archivbild)
Freude beim Bundesrat über das Nein zur Abschaffung der Heiratsstrafe am 28. Februar 2016. Das Bundesgericht entscheidet, ob die Abstimmung wiederholt werden muss. (Archivbild)
Source: Keystone

Für die CVP war diese Korrektur Anlass für Abstimmungsbeschwerden in mehreren Kantonen. Nach der Abweisung durch die Kantonsregierungen wandte sich die Partei ans Bundesgericht. Dieses entscheidet am Mittwoch in einer öffentlichen Beratung über die Eingaben.

Eine Premiere

Die Abstimmung vom 28. Februar 2016 ist somit ungültig und das Stimmvolk muss noch einmal an die Urnen. 

Eine Abstimmungsbeschwerde lag dem Gericht bereits schon einmal vor. Nach dem knappen Ja zur Unternehmenssteuerreform II 2008 hatte die SP eine Annullierung verlangt und damit begründet, dass der Bundesrat die Steuerausfälle für den Bund zu tief eingeschätzt habe. Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab und argumentierte mit Rechtssicherheit – die Reform war bereits in Kraft.

Eine Annullierung gab es auch im Kanton Tessin einmal. Im Südkanton wurden nach Ausschreitungen und Unregelmässigkeiten während der Kampagne im Jahr 1854 die Nationalratswahlen annulliert. Entschieden hatte dies der damals zuständige Nationalrat.

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