Stau-Reduktion Urner Regierung will ein Ticket für die Fahrt durch den Gotthard

smi

20.4.2023

Nur noch mit einem Ticket durch den Tunnel? Die Idee eines Reservationssystems stösst auf Kritik. 
Nur noch mit einem Ticket durch den Tunnel? Die Idee eines Reservationssystems stösst auf Kritik. 
KEYSTONE

Der Kanton Uri leidet unter dem chronischen Stau vor dem Gotthard-Tunnel. Er fordert mittels einer Standesinitiative Massnahmen vom Bund. Besonders die Idee eines Tickets für die Durchfahrt gibt zu reden.

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  • Der Urner Landrat will mit einer Standesinitiative erreichen, dass der Bund Massnahmen gegen Staus am Gotthard ergreift.
  • Für Diskussionen sorgt die Idee, dass man die Gotthard-Durchfahrt künftig mittels eines Reservationssystems buchen soll.
  • Einige Experten gehen davon aus, dass ein solches System Staus effektiv reduzieren kann. 
  • Andere Fachleute befürchten, dass das System nur mehr Probleme schafft und derzeit nicht umsetzbar ist.

Geht es nach der Urner Regierung, müssen Autoreisende mittelfristig ihre Gotthard-Durchfahrt reservieren und dafür weniger lang im Stau stehen. Ob das System mehr Probleme löst, als neue schafft, ist unter Fachleuten umstritten.

Die Idee ist, dass sich Autofahrer*innen ihre Tunnelpassage in einem bestimmten Zeitfenster buchen. Das Prinzip hat sich der Urner Landrat Ludwig Loretz (FDP) ausgedacht. Konkret soll eine der zwei Fahrspuren nur Reisenden mit gültiger Reservation offen stehen.

Der «Blick» hat Fachleute damit konfrontiert. Kay Axhausen, Professor für Verkehrsplanung und Transportsysteme an der ETH, verweist darauf, dass für Lastwagen am Gotthard bereits ein solches Reservationssystem bestehe und funktioniere. Dieses auf die Personenwagen auszuweiten, sei die logische Konsequenz. 

Schwächen des Slot-Systems

Alexander Erath, Professor für Verkehr und Mobilität an der Fachhochschule Nordwestschweiz anerkennt, dass Uri aktiv nach Lösungen suche, hält das Slot-System für tauglich, sieht aber Probleme in der praktischen Umsetzung. Beispielsweise bei jenen, die spontan aus beruflichen Gründen auf die andere Seite des Gotthards müssten, Service-Mechaniker zum Beispiel. 

Zur Frage, was mit Autofahrern ohne gebuchten Slot passiere, äussert sich auch Axhausen. Für sie müssten im Kanton Uri grosse Parkplätze gebaut werden. Er geht davon aus, dass Uri dies nicht wolle, weshalb diese Autos schon früher abgefangen oder umgeleitet werden müssten. 

Noch skeptischer äussert sich eine der Stellen, die vom Kanton Uri aufgefordert wird, ein solches System auszuarbeiten und einzuführen: das Bundesamt für Strassen Astra. Es sei zu erwarten, dass nicht alle Autofahrer ihre gebuchte Zeit einhalten können werden. Tatsächlich dürfte es besonders für Reisende von weiter weg schwierig werden, ihre Ankunft im Kanton Uri genügend präzise vorherzusehen. 

Auch die Triage der auf der Autobahn heranfahrenden Fahrzeuge sei ein Problem. Der Vertreter des Astra kann sich nicht vorstellen, dass auf einer Spur nur Autos mit Reservation fahren. Fazit des Bundesamts: «Dieses System ist für uns heute praktisch nicht umsetzbar.»

Aktuell wäre das System nicht legal

Eine weitere Einschränkung ist das Recht: Zwar müssen alle eine Vignette kaufen, um die Autobahn zu benutzen. Darüber hinaus sind Strassengebühren in der Schweiz aber nicht zulässig. Die Slots müssten also gratis angeboten werden.

Der «Blick» lässt auch Einheimische zu Wort kommen. Ein 66-jähriger Göschener sagt, zeitliche Einschränkungen für die Fahrt durch den Gotthard habe es früher schon gegeben. Er wäre sogar dafür, dass nicht alle einen Slot buchen könnten, sondern nur jene, die im Kanton Uri übernachten oder zum Skifahren kommen. 

Zweifel an der Umsetzbarkeit äussert ein anderer Göschener. Das sei noch nicht durchdacht. Eine Lösung müsse über «hinten rechts» führen – über das Portemonnaie. Sei einfach zu billig durch den Kanton Uri und den Gotthardtunnel zu fahren. 

Mobility Pricing am Gotthard?

Eine Kostenlösung sieht auch Alexander Erath als sinnvoll an. «Mobility Pricing» ist der Fachbegriff dafür. Der Bundesrat hat fünf Machbarkeitsstudien für solche Bezahl-Lösungen in Auftrag gegeben. Der Gotthard gehört nicht dazu. Für Erath steht fest: «Damit könnten solche Probleme mit Verkehrsüberlastungen effizienter angegangen werden.» Zudem seien dann auch kurzfristige Fahrten möglich. 

Klar ist allerdings auch, dass Mobility Pricing für jene mit knappem Budget schwerwiegender ist als für Gutverdienende. 

Und was sagt der Erfinder des Slot-Systems am Gotthard? Ludwig Loretz stellt sich vor, dass es schrittweise aufgebaut würde und die Tunnelpassagen erst später kostenpflichtig werden. Der Garagist und Unternehmer im Bereich Automobilität ist sich aber auch bewusst, dass es rechtliche Anpassungen bräuchte bis hin zu einer Änderung des Landverkehrsabkommen mit der EU. 

Generell findet Loretz, dass seiner Idee vor allem mit Schwarzmalerei begegnet werde und deren Chancen nicht gesehen würden.