Engpass bei Medikamenten «Ganz schlimm ist es bei antibiotischen Sirups für Kinder»

SDA/sob/uri

2.2.2023 - 08:42

Eine Apothekerin in Zürich: Immer öfter können Medikamente nicht geliefert werden. 
Eine Apothekerin in Zürich: Immer öfter können Medikamente nicht geliefert werden. 
Archivbild: Keystone

Der Bund stuft den Engpass bei der Versorgung mit lebenswichtigen Arzneimitteln inzwischen als «problematisch» ein. Der Berner Spitalapotheker Enea Martinelli geht nicht davon aus, dass sich das Problem kurzfristig beheben lässt.

SDA/sob/uri

Enea Martinelli, der Chef-Apotheker von Berner Oberländer Spitälern, stellt angesichts der Medikamentenengpässe das System in Frage: Die Kantone sollten nicht länger zuständig sein für die Versorgung mit Medikamenten, fordert er in Interviews mit Zeitungen von CH Media und Tamedia. «Das funktioniert nicht.»

«Ganz schlimm»  stehe es derzeit bei der Versorgung«mit antibiotischen Sirups für Kinder», die etwa an einer Streptokokkeninfektion leiden würden, sagt der Chefapotheker der Berner Spitäler Frutigen, Meiringen und Interlaken. Insgesamt seien in der Schweiz momentan 1001 Präparate nicht erhältlich. 760 würden zum kassenpflichtigen Sortiment gehören, was in etwa 8 Prozent der kassenpflichtigen Medikamente entspräche.

Das Problem gehe zudem über die Spitalapotheken hinaus. Auch bei der Apotheke an der Strasse würden inzwischen Medikamente fehlen. Darunter befänden sich etwa 73 zur Blutdrucksenkung, 60 Cholesterinsenker, Schmerzmittel, Psychopharmaka und Verhütungspillen. «Bei chronisch Kranken, die viele Medikamente einnehmen müssen, ist die Wahrscheinlichkeit heute gross, dass für ein bis zwei Präparate Ersatzlösungen gesucht werden müssen», so Martinelli. 

Zu tiefe Preise sind schuld

Auf kurze Frist sei nun eine administrative Entlastung vom Bund wichtig, sagt Martinelli. Bislang kümmere sich das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung nur um lebenswichtige Medikamente und die Akutversorgung.

Mittelfristig brauche es ein Monitoring der wichtigen Medikamente: «Epilepsie- oder Parkinson-Medikamente beispielsweise die heute nicht meldepflichtig, dabei brauchen sie die Patienten täglich.»

Spitalapotheker Enea Martinelli ist froh, hat der Bundesrat auf den Engpass an Medikamenten reagiert. (Archivbild)
Spitalapotheker Enea Martinelli ist froh, hat der Bundesrat auf den Engpass an Medikamenten reagiert. (Archivbild)
Keystone

Den Grund für den Engpass an Medikamenten sieht Martinelli bei zu tiefen Preisen. Günstige Medikamente seien für den Hersteller uninteressant. Das Herzmedikament Digoxin sei in der Schweiz halb so teuer wie im Ausland, «und es wird in der Schweiz nun nicht mehr angeboten», sagt er. Firmen würden beim Bundesamt für Gesundheit kein Gesuch zur Preiserhöhung stellen, weil der Aufwand zu gross und der Markt zu klein sei.

Bundesrat setzt Taskforce ein

Der Bundesrat stufte die Lage erst am Mittwoch neu als «problematisch» ein. Eine Expertengruppe unter der Leitung des Delegierten für wirtschaftliche Landesversorgung, Kurt Rohrbach, soll nun Massnahmen finden, welche die Engpässe rasch lindern.

Mittel- und langfristige Massnahmen seien bereits in Gang gesetzt worden, hiess es vom Bundesrat weiter. Sie zielen demnach darauf ab, Produktions- und Lieferengpässe früher und breiter zu erfassen. Zudem soll der Umgang mit Engpässen erleichtert werden. Daneben sollen die Marktbedingungen verbessert werden.