Alte Tarife treiben Gesundheitskosten Arzt rechnet mit «Geldmaschine» 26 Stunden Arbeit am Tag ab

tafi

22.1.2024

Weil das Tarifsystem veraltet ist, können Praxisärzte, die effizient arbeiten, sehr viel verdienen – zum Schaden der Krankenkassen.
Weil das Tarifsystem veraltet ist, können Praxisärzte, die effizient arbeiten, sehr viel verdienen – zum Schaden der Krankenkassen.
sda

Behandlungen lassen sich heute schneller durchführen, werden aber nach einem 20 Jahre alten Tarifsystem vergütet. Die Folge: Ärzte können von einer echten «Geldmaschine» profitieren und skurrile Rechnungen stellen.

tafi

22.1.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Das derzeitige Tarifsystem für ambulante Ärzte ist veraltet.
  • Für einige Praxisärzte ist es eine «Geldmaschine», von der sie ganz legal profitieren: So hat ein Neurologe laut Krankenkassenabrechnungen 26 Stunden pro Tag gearbeitet.
  • Ein neues Tarifsystem ist bereits ausgearbeitet, wurde vom Bundesrat aber als «nicht genehmigungsfähig» eingestuft.

26 Stunden am Tag arbeiten? Das ist natürlich unmöglich, aber: Im Tarif für ambulante ärztliche Behandlungen (Tarmed) sind skurrile Abrechnungen möglich – und sogar legal, wie eine Untersuchung zeigt, aus der der «Tages-Anzeiger» zitiert.

Darin findet sich auch ein Neurologe, der laut Abrechnung 6'192 Stunden im Jahr gearbeitet hat. Auf 240 Arbeitstage gerechnet, kommen besagte 26 Stunden pro Tag heraus. Die hat der Arzt klar nicht gearbeitet.

Dass der Mediziner den Krankenkassen mehr als 1,3 Millionen Franken in Rechnung stellte, sei aber nicht zwingend betrügerisch, sondern liegt am veralteten Tarifsystem. Dies bestätigte Verena Nold, Direktorin von Santésuisse, gegenüber dem «Tages-Anzeiger»: «Der Tarif für ambulante ärztliche Behandlungen wurde vor 20 Jahren eingeführt und seither nie gesamthaft überarbeitet.»

Die Folge: Nach wie vor können Untersuchungen mit der gleichen Dauer verrechnet werden wie 2004. Dabei lassen sich viele medizinischen Leistungen mittlerweile deutlich schneller durchführen. Für Nold ist das Tarifsystem daher eine «Geldmaschine», von der einige Ärzte ganz legal profitieren.

«Es wird zu viel entschädigt»

Vor allem Mediziner, die effizient arbeiten, könnten viel verdienen – zum Schaden der Krankenkassen. «Getragen wird er am Ende von den Prämienzahlerinnen und Prämienzahlern, deshalb braucht es unbedingt einheitliche Tarife wie im stationären Bereich im Spital», sagt Nold.

Dass kein einzelner Arzt und keine Ärztin durchschnittlich 23 oder sogar 24 Stunden pro Tag arbeiten würden, weiss auch Urs Stoffel vom Zentralvorstand der Schweizer Ärztevereinigung FMH. Ihn stört allerdings, dass über die «schwarze Schafe» berichtet wird, «während Tausende Praxisärzte völlig korrekt abrechnen».

Wie Nold sieht auch Stoffel das Problem beim veralteten Tarifsystem: «Es ist korrekt, dass die Höhe der Taxpunkte bei gewissen Leistungen im veralteten Tarmed nicht mehr korrekt tarifiert ist und deshalb zu viel entschädigt wird.»

Es müsse dringend eine Revision her. Ein neuer Einzelleistungstarif (Tardoc) zwischen Ärztinnen und Ärzten, Spitälern und Krankenversicherungen ist zwar bereits ausgearbeitet, doch hat der Bundesrat im Sommer 2022 das Paket als «nicht genehmigungsfähig» abgelehnt.

Ein lohnendes Geschäft

Derweil bleiben einige medizinische Fachrichtungen ein lohnendes Geschäft, etwa die Radiologie. Eine Beobachtung, die auch die St. Galler SP-Kantonsrätin Bettina Surber in der Ostschweiz gemacht hat: «Es entstehen ständig neue Institute. Ich schätze, das ist ein Treiber bei den Gesundheitskosten», sagt sie dem «Tages-Anzeiger».

Sie scheint nicht Unrecht zu haben: Laut Bundesamt für Statistik haben die verrechneten Preise für ambulante Leistungen in der Radiologie schweizweit von 2015 bis 2022 um 64 Prozent zugenommen. Die Schweizerische Gesellschaft für Radiologie kontert, dass die Kosten der Radiologie in den letzten Jahren explodiert seien. Würde der neue Arzttarif in der aktuellen Fassung angenommen, könnten radiologische Untersuchungen nicht mehr kostendeckend durchgeführt werden.