Industriegifte im Blut Alarmierende Pestizid-Werte auch bei Kindern nachgewiesen

Lea Oetiker

25.10.2024

Die Chemikalie Per- und Polyfluoroalkyle (PFAS) ist schon im Trinkwasser festgestellt worden. (Archivbild)
Die Chemikalie Per- und Polyfluoroalkyle (PFAS) ist schon im Trinkwasser festgestellt worden. (Archivbild)
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 Das Magazin «Saldo» hat ein Labor beauftragt, bei 35 Personen den PFAS-Wert im Blut zu testen. Das Ergebnis: Sie waren überall zu finden. Experten fordern dringende Massnahmen zur Reduzierung dieser Stoffe.

Lea Oetiker

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Eine Untersuchung von «Saldo» zeigt, dass alle 35 getesteten Personen, darunter auch Kinder, PFAS-Chemikalien im Blut aufweisen.
  • Bei 29 Teilnehmenden waren die Werte so hoch, dass gesundheitliche Schäden nicht auszuschliessen sind.
  • Sogar Kinder haben bereits gefährliche Werte im Blut.

Eine Recherche von «Saldo» zu den Ewigkeitschemikalien PFAS zeigt: Bereits Kinder haben zu viel Industriegift im Blut. Das Magazin hat ein Labor beauftragt, das Blut von 35 Personen zu testen.

Das Ergebnis: PFAS waren in allen Blutproben enthalten. Auch in Mengen, die krank machen können. Nur drei der 35 Teilnehmenden hatten einen so tiefen Gehalt an Perfluoroctansäure (PFOA) und Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) im Blut, dass kaum gesundheitliche Folgen zu befürchten sind.

Was sind PFAS und wo kommen sie vor?

  • Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) sind sogenannt anthropogene chemische Verbindungen. Das heisst: Sie kommen nicht natürlich in unserer Umwelt vor, sie wurden vom Menschen künstlich hergestellt. Erstmals  in den 1940er Jahren. Insgesamt werden mehrere tausend unterschiedliche PFAS produziert, die wasser-, schmutz- und fettabweisende Eigenschaften haben.
  • Seit den 1970er Jahren werden diese synthetischen Chemikalien in der Industrie verwendet. Sie kommen zum Beispiel in Outdoorbekleidung, beschichtetem Papier und Karton, Küchenutensilien mit Antihaftbeschichtungen, aber auch in Pestiziden, Kosmetik oder schaumbildenden Feuerlöschern und anderen Flammenschutzmitteln vor.

Der Einsatz der krebserregenden PFOA ist in der Schweiz seit Juni 2021 verboten, PFOS weitgehend seit 2011. Doch das sind nicht die einzigen PFAS-Stoffe, für die meisten bestehen keine Verbote. Früher waren PFAS als Pestzizide weit verbreitet, In der Industrie kommen sie auch in Produkten wie Kosmetika, Teflonpfannen und Textilien vor.

Das Zürcher Labor Medica hat das Blut von 35 Personen aus 18 Kantonen auf die PFAS-Stoffe Perfluoroctansäure (PFOA) und Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) getestet. Es stellte sich heraus, dass bei allen Teilnehmenden – von sieben bis 89 Jahren – die Chemikalien im Blut waren.

Besonders hoher Wert bei einer 76-Jährigen

Am höchsten war der Anteil bei einer 76-jährigen Frau. Der Wert war so hoch, dass der Schaffhauser Kantonschemiker Kurt Seiler und der Chemikalieninspektor Mathias Breimesser das Gespräch mit der Frau suchten.

Die Frau musste wegen einer Herz-Kreislauf-Erkrankung bereits eine Operation über sich ergehen lassen, und ihr Cholesterinspiegel sei ebenfalls zu hoch. Sie befürchtet, das PFAS habe sie krank gemacht.

Ihre Sorgen sind nicht unbegründet: Studien haben gezeigt, dass PFOA und PFOS das Hormon- und Immunsystem beeinträchtigen und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigern können. Auch eine Schädigung der Leber und eine Erhöhung des Cholesterinspiegels sind möglich.

«Akuter Handlungsbedarf zur Reduktion der Belastung»

Bei 29 Teilnehmenden war der PFOS-Wert hoch genug, dass laut dem Umweltbundesamt Gesundheitsschäden «nicht auszuschliessen» sind. Drei Frauen haben so hohe Werte, dass ein «akuter Handlungsbedarf zur Reduktion der Belastung» besteht.

Bei einer Person stellte das Labor zu viel PFOS für eine Frau im gebärfähigen Alter fest. Denn heute weiss man, dass der Stoff zu einem tieferen Geburtsgewicht von Babys führen kann.

Für Kurt Seiler, Kantonschemiker, ist das Ergebnis ernüchternd. Er fordert: «PFAS müssen verboten werden.» Die Eltern von Nina (9) und Tim (7) aus Stetten SH fordern Transparenz: «Wir können unsere Kinder nicht schützen, solange wir nicht wissen, wo PFAS enthalten sind.»

Auch Martin Scheringer, Umweltchemiker der ETH Zürich, ist besorgt. Er sagt zu «Saldo», dass PFAS jahrelang im Körper bleiben und auch eine geringe PFOS- und PFOA-Belastung schon ein Krebsrisiko bedeute.

Da PFAS auch im Grundwasser seien, könne man sich kaum schützen. «PFAS-Quellen müssen eliminiert werden», sagt Scheringer. Ohne Massnahme werde die Konzentration der Stoffe höher.