Ewiger Thronfolger Charles fehlt die Zeit, um Elizabeth' Erbe gerecht zu werden

Von Silvia Kusidlo und Christoph Meyer, dpa

8.9.2022 - 22:19

Der neue König heisst Charles III.
Der neue König heisst Charles III.
Jane Barlow/PA Wire/dpa

Mit dem Tod von Queen Elizabeth II. ist ihr Sohn Charles neuer König von Grossbritannien und Nordirland geworden. Was bedeutet das für die britischen Royals und ihre Untertanen?

8.9.2022 - 22:19

Die Königin ist tot, es lebe der König!

Dieser Spruch trifft auch auf die britische Monarchie zu, denn auf dem Thron darf es keine Vakanz geben. Der einst als «ewiger Thronfolger» belächelte Charles ist nach dem Tod seiner Mutter Elizabeth II. mit 73 Jahren König geworden. Niemand hat in der britischen Geschichte so lange auf den Thron gewartet wie er.

In Umfragen hiess es früher, die Briten sähen es lieber, wenn Charles seinem Sohn William den Thron überliesse. Doch ernsthaft war das nie eine Option und die Stimmung änderte sich. Auch im Selbstverständnis der Royals kommt das nicht vor.

«God Save The King»

Die Briten werden künftig «God Save The King» singen. Und dieser King heisst offiziell Charles III. Das bestätigte der Palast in London, nachdem bereits die britische Premierministerin Liz Truss den König so genannt hatte. Zuvor hatte es Spekulationen gegeben, der bisherige Thronfolger könne einen seiner anderen drei Vornamen wählen. Der 73-Jährige heisst mit vollem Namen Charles Philip Arthur George.

Goodbye Queen Elizabeth II.: Die emotionalsten Momente im Rückblick

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Die britische Königin Elizabeth II. ist tot. Sie starb am Donnerstag im Alter von 96 Jahren auf ihrem Landsitz Schloss Balmoral in Schottland, wie der Palast mitteilte.

08.09.2022

Dass seine Frau Camilla Königin (Queen Consort) wird, hatte die Queen erst zu Beginn dieses Jahres als ihren ausdrücklichen Willen festgelegt. Es ist ein Titel, den zuletzt Elizabeth', die vor 20 Jahren verstorbene Queen Mum, getragen hatte.

Tour durch vier Landesteile

Die erste Aufgabe des neuen Königs ist es, die neuntägigen Trauerfeierlichkeiten für seine Mutter zu leiten. Einem Bericht des «Guardian» zufolge wird er nach seiner Proklamation zunächst auf eine Tour durch die vier Landesteile des Vereinigten Königreichs – England, Schottland, Wales und Nordirland – aufbrechen, bevor er nach London zurückkehrt.

Es ist nicht viel darüber bekannt, wie Charles sein Amt ausüben wird. Spekuliert wird, dass er sich mehr in politische Dinge einmischen will – obwohl das in der britischen Monarchie nicht vorgesehen ist. Das Thema Klimawandel liegt ihm jedenfalls sehr am Herzen. Auch eine Modernisierung des Königshauses dürfte auf seiner Agenda stehen. Er wolle den Kreis der aktiven Mitglieder verkleinern, hiess es in Medienberichten. Auch über einen Verzicht auf den Buckingham-Palast als ständige Residenz wurde spekuliert.

Wird er das Gewissen der Nation? Ein Biobauer, der immer wieder seine Meinung zu politischen Themen zum Besten gibt? Aus seinem Umfeld hiess es einmal, Charles empfinde die Aussicht auf den Thron als «Gefängnis». Er wollte sein Leben nicht mit Ordensverleihungen vertrödeln, sondern Probleme angehen.

«Solange ich denken kann, habe ich dieses aussergewöhnliche Gefühl, heilen und die Dinge verbessern zu wollen», sagte er einmal. Charles schreckte im Gegensatz zu Königin Elizabeth II. nie davor zurück, Position zu beziehen. Er kämpfte gegen den Klimawandel, stoppte umstrittene Bauvorhaben und half armen Jugendlichen.

Ärger durch Einmischung

In Notizen – wegen seiner krakeligen Handschrift auch Schwarze-Spinnen-Memos genannt – versuchte der Thronfolger, Regierungsmitglieder zu beeinflussen und brockte sich damit Ärger ein. Als König, so fürchteten Beobachter früher, hätte er mit seinen Standpunkten und Einflussnahmen sogar die Nation spalten können. Beim Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in London blieb er dem Bankett im Buckingham-Palast demonstrativ fern. Das wurde als Protest gegen die Menschenrechtsverstösse in dem Land gedeutet.

Besonders übel nahmen ihm die Briten, wie er mit seiner ersten Ehefrau Diana umging, der «Königin der Herzen». Schon kurz nach der Verlobung sorgte die Antwort des Paars auf die Frage, ob es verliebt sei, für Stirnrunzeln: Sie platzte mit einem «Ja, natürlich!» heraus, er sagte: «Was auch immer Verliebtsein heissen mag.»

Für viele undenkbar

Nach der Hochzeit betrog er die makellos schöne Diana mit seiner Jugendliebe Camilla Parker Bowles, die von einigen britischen Medien als «Rottweiler» verspottet wurde. Ein Rosenkrieg begann. Als auf Tonband-Mitschnitten zu hören war, dass Charles als Tampon Camillas wiedergeboren werden wollte, war dieser für viele Briten als künftiger König undenkbar.

1996 liess sich das Paar scheiden. Nur ein Jahr später starb Diana bei einem Autounfall in Paris. 2005 heiratete Charles Camilla. Die beiden verschafften sich – ganz langsam, aber stetig – durch seriöses Auftreten und viel Fleiss wieder Respekt. Der Thronfolger vertrat seine Mutter bei unzähligen Terminen, reiste als Botschafter durch Europa, um die vom Brexit verstörten europäischen Partner zu besänftigen und war volksnäher als je zuvor.

Privat geht das Paar wandern und fischen, abseits der Glitzerwelt.

Charles' Ruf als verwöhnter Eigenbrötler, der mit Blumen spricht, ist er nie ganz losgeworden. Traumanalysen, spirituell geprägte Erlebnisse in der Kalahari-Wüste, seine Beschäftigung mit dem islamischen Sufismus – das mag etwas suspekt klingen.

Sally Bedell Smith beschreibt ihn in ihrer Biografie als «hoffnungslos dünnhäutig» und intolerant gegenüber abweichenden Meinungen, aber auch als Freigeist mit ausserordentlichem Sinn für Ästhetik. Die US-Journalistin Catherine Mayer zeichnet in ihrem Buch das Bild eines Top-Unternehmers, der auch viel Neid und Missgunst säte. Kurzum: Eine ambivalente Persönlichkeit.

Die Ursachen vermutet sein Umfeld auch in seinem eher schwierigen Verhältnis zu den Eltern und in seiner Erziehung. Seine Mutter habe kaum Zeit für ihn und seine drei Geschwister gehabt, beklagte sich Prinz Charles. Oft kränkelnd, nicht gerade sportlich und Angst vor Pferden – die Queen soll ihren Ältesten für einen Spätzünder gehalten haben. Mit dem Alter lernten sie sich aber schätzen.

2017 spekulierte der BBC-Spielfilm «King Charles III», was passieren könnte, wenn die Queen stirbt. Der Inhalt wirkte skurril: Der neue König weigert sich, ein Gesetz zur Einschränkung der Pressefreiheit zu unterschreiben. Das löst eine Verfassungskrise und landesweite Proteste aus. Daraufhin beordert der Film-Charles einen Panzer vor den Buckingham-Palast. Soweit die Fantasie im Fernsehen.

Charles hatte viel Zeit, über seine neue Rolle nachzudenken. Er ist seit dem 6. Februar 1952 Thronfolger. Er war drei Jahre alt, als seine Mutter Königin wurde und eine Ära begann. Um angemessen in ihre Fussstapfen zu treten, fehlt es dem greisen Monarchen allein schon an Lebenszeit.

Von Silvia Kusidlo und Christoph Meyer, dpa