Late Night USAZahlreich, divers und ängstlich – das sind die Impf-Skeptiker
Von Philipp Dahm
3.5.2021
In den USA ebbt die Impfbereitschaft schon wieder ab – die Zahl der Skeptiker ist gross. «Last Week Tonight» widmet sich dem Thema ohne Häme – zumindest, wenn es um Nicht-Prominente geht.
Von Philipp Dahm
03.05.2021, 18:09
03.05.2021, 18:41
Philipp Dahm
Wenn es eines gäbe, was Impfskeptiker nicht mochten, sei es der Aufruf von Politikern oder Prominenten, sich doch bitte doch impfen zu lassen, glaubt John Oliver. «Die Wahrheit ist: Ich kann jene Leute in Ihrem Leben, die zögern, sich impfen zu lassen, auch nicht überzeugen. Die Person, die bei Ihnen die grösste Chance hat, sind Sie.»
Wie das gelingen kann, zeigt seine Show «Last Week Tonight»: mit verlässlichen Informationen und ohne Häme. Es kommt auch zur Sprache, warum das Thema Impfen so wichtig ist: Das Stadium, in dem die Vereinigten Staaten nun angekommen sind, muss die Schweiz erst noch erreichen. Sich vorbereiten auf das, was kommt.
In den USA hat inzwischen mehr als die Hälfte der Erwachsenen mindestens eine Dosis erhalten. «Die schlechte Nachricht ist, dass es in einigen Impfzentren nicht mehr zu wenig Mittel gibt, sondern zu wenig Nachfrage», sagt Oliver und spielt ein Nachrichtenclip ein. Demzufolge ist die Zahl der täglichen Impfungen seit Anfang April um 20 Prozent zurückgegangen.
Wer sind die Corona-Skeptiker?
Das sei nicht gerade ermutigend, findet der Moderator. Denn um Herdenimmunität zu erreichen, müssten zwischen 70 und 90 Prozent der Bevölkerung geimpft sein. Gleichzeitig deute eine Umfrage darauf hin, dass sich 22 Prozent gar nicht und 18 Prozent nur womöglich impfen lassen wollen. Wenn sich von jenen 18 Prozent doch alle den Schuss holen, wären 78 Prozent der Amerikaner geschützt.
Late Night USA – Amerika verstehen
blue News
50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen, und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.
«Leider beinhaltet diese Umfrage die Kinder nicht, die 22 Prozent der Bevölkerung ausmachen: Wir müssen also den Impfstoff in so viele Erwachsene wie möglich hineinbekommen», schlussfolgert der gebürtige Brite. Und warum sollten sich junge Erwachsene um einen Impf-Termin kümmern? «Schaut, Ihr werdet vielleicht durch Covid nicht ernsthaft krank, aber Ihr könnt es immer noch unfreiwillig übertragen an jemanden, der daran stirbt.»
Wer nun sagt, dann müssten sich nur die Verwundbaren impfen lassen, lässt ausser Acht, dass auch der beste Impfstoff nur auf 95 Prozent Wirksamkeit kommt. Doch die Skepsis gegenüber Moderna, Pfizer, Johnson&Johnson und Astrazeneca sitzt tief, wie einige Beispiele aufzeigen: Wer sind diese Corona-Skeptiker?
In jeder Gruppe
Es gibt sie in allen Gesellschaftsschichten, macht der Moderator deutlich. «In jeder Gruppe finden sich einige, die euphorisch sind, und andere, die ängstlich sind. Und von jenen wiederum hat die Angst unterschiedliche Ursachen. Vielleicht haben sie schon von jenen gehört, die schwarz sind und zögern», sagt Oliver und spielt ab Minute 5:04 einen interessanten Clip ein.
Da räumt eine Kinderärztin frank und frei ein, auch sie habe der Impfung erst skeptisch gegenübergestanden. «Ich bin in diesem Land zuallererst eine Schwarze, und damit trägt man ein rechtes Päckchen mit sich herum», erklärt Clarissa Dudley. Sie kenne das Missverhältnis zwischen Ärzteschaft und schwarzen Patienten aus eigener Erfahrung. «Diese Dinge stecken tief in einem drin und es ist eine Herausforderung, sie zu überwinden – sogar für mich, und ich bin Wissenschaftlerin.»
«Last Week Tonight» hat bereits behandelt, wie schlecht Schwarze im US-Gesundheitssystem dastehen, und John Oliver weiss auch um die medizinischen Experimente, die der Staat an Schwarzen durchgeführt hat, ohne dass jene wussten, was da in den Spritzen ist. Die gute Nachricht: Die Impf-Ablehnung in jener Gruppe nehme ab, so Oliver.
«Irgendwie verrückt»
Unter den Anhängern der Republikaner liegt der Anteil der Verweigerer bei 30 Prozent. «Kein Wunder», ätzt Oliver, «Angst und Zweifel in Sachen Impfung überschwemmen die konservativen Medien, und einer der prominentesten Super-Spreader ist dieser fucking Typ.» Schnitt bei Minute 6:30 – und Fox' neuer Frontmann Tucker Carlson tritt auf. Und wie.
«Warum werden Amerikaner entmutigt, direkte und einfache Fragen über den Impfstoff zu stellen?», tönt Carlson, was ihn nicht davon abhält, viele weitere Fragen zu stellen – bis hin zu: «Darfst du noch zur Arbeit gehen, wenn du die Impfung ablehnst?» «Es ist irgendwie verrückt zu sehen, wie jemand eine Show auf einem angeblichen News-Sender macht und jeden Satz mit einem Fragezeichen beendet», feixt Oliver, «zumal die Antworten da draussen wären.»
Zum Beispiel bei der Frage, warum in Gebäuden laut Gesundheitsbehörde CDC immer noch Masken getragen werden müssen. «Vielleicht wirkt es gar nicht, und sie erzählen es dir nicht», hat Tucker Carlson da geschlussfolgert. «Die CDC ist vorsichtig», berichtigt der Late-Night-Host. Klinische Tests hätten die Wirksamkeit, eine Erkrankung zu vermeiden bewiesen.
«Keine Scheisse verstreuen»
Weil bisher aber nur angenommen wird und nicht bewiesen ist, dass sich durch die Impfung auch das Risiko senkt, andere anzustecken, werden Masken- und Abstandsregeln aufrechterhalten. Die CDC «will in der Pandemie keine Scheisse streuen.» Zumindest beantworte das dem «krisengesichtigen Angst-Tölpel» eine seiner Fragen, freut sich Oliver.
Unerfreulich sei dagegen die Verunsicherung, die durch die Fehl- und Falschinformationen angeheizt wird. «Last Week Tonight» gibt ein Beispiel: So sagten zwar nur 4 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage, sie glaubten, es sei wahr, dass der Impfstoff tödlicher ist als Covid selbst. Aber: 25 Prozent wählten die Antwort «Ich weiss nicht». «Die Impf-Gegner haben es bereits zu unser aller Nachteil versaut», schimpft der 43-Jährige.
Die Show räumt mit einigen Mythen auf: Die Mär von Bill Gates, der der Menschheit Mikrochips einspritzen will, fusse auf der Tatsache, dass dessen Stiftung einst ein Forschungsprojekt finanzierte. Es ging um den Zusatz von «unsichtbarer Tinte» zu Impfstoffen, um bei Kindern quasi das Impfbüchlein zu ersetzen. «Es macht keinen Sinn», sagt Oliver, denn Bill Gates hätte einen schon lange verfolgen können, wenn er denn wollte: «Mit dem fucking Handy.»
Impfstoff zu schnell entwickelt
Eine weitere grosse Gruppe der Skeptiker speist sich aus jenen, denen die Entwicklung des Impfstoffs zu schnell ging: «Ich glaube, sie nutzen die Öffentlichkeit als Versuchskaninchen», sagt eine Frau. Oliver erwidert, die Wissenschaft habe schon Erfahrung mit Coronaviren und darauf aufbauen können. Nicht in Sachen Forschung seien dann Verfahren verkürzt worden, sondern bei der Bürokratie, so dass nicht linear, sondern parallel gearbeitet werden konnte.
Auch mRNA verunsichert viele. «Innerhalb eines Jahres bekommt man neurologische Schäden», tönt etwa der rechte Apologet Alex Jones ab Minute 15:21. «Die meisten, die den Impfstoff nehmen, sterben in zehn Jahren.» «Niemand anderes hat so viel Spass dabei, die Welt zu einem schlechteren Ort zu machen», kommentiert John Oliver. Und erklärt, dass die mRNA-Impfstoffe unser Genom nicht verändern können.
Dann wäre da noch das Gerücht, die Pfizer-Impfung mache unfruchtbar, wie in Blogs behauptet wurde. Das ist erwiesenermassen falsch, weil bei den Tests mehrere Schwangere dabei waren. Nur eine hat ihr Kind verloren, doch jene Frau war in der Kontrollgruppe, die nur ein Placebo bekommen hatte.
Es sei nur normal, Fragen zu haben, sagt John Oliver. Aber es gebe eben auch Antworten. Er gibt eine davon.