Militärspionage Erbeutet die Ukraine russisches Kriegsgerät, ist das auch für den Westen ein Gewinn

Von Philipp Dahm

24.3.2022

Im Krieg in der Ukraine entdecken westliche Geheimdienste mitunter neue Fähigkeiten schon bekannter Waffen. Und wenn sie Glück haben, stossen ukrainische Soldaten sogar auf bisher Unbekanntes.

Von Philipp Dahm

Westliche Geheimdienste schauen genau hin, wenn der Krieg in der Ukraine enthüllt, was die russischen Streitkräfte für neue Waffen einsetzen. Oder wenn sie bekanntes Gerät benutzen, das unbekannte Fähigkeiten enthüllt – wie bei der Kurzstrecken-Rakete Iskander M. Anfang März finden Ukrainer nach einem Iskander-M-Angriff etwas, das wie Streumunition aussieht.

Nach einigen Tagen stellt sich jedoch heraus, dass es sich um einen Täuschkörper handelt, den die Rakete ausstossen kann, um Abfanggeschosse in die Irre zu führen oder deren Zielsucher zu stören.

Bislang wusste die Nato nur, dass Langstrecken-Raketen mit so einem System arbeiten. Nun ist klar, dass auch die Iskander M mit bis zu sechs solcher Täuschkörper bestückt werden kann.

Hochmoderne Kinschal gegen die Ukraine – aber warum?

Eine andere Rakete ist in dem Krieg zum ersten Mal überhaupt im Kampf eingesetzt worden: Die Rede ist von der Kinschal, einer Weiterentwicklung der Iskander M. Diese Rakete wird von einem Flugzeug aus einer Höhe von 18'000 bis 20'000 Meter abgefeuert.

Das Geschoss kann im Sturz dann bis zu zehnfache Schallgeschwindigkeit erreichen, aber dennoch auch noch navigieren, um Hindernissen auszuweichen. In der Ukraine ist damit ein unterirdisches Waffendepot getroffen worden, berichtet das russische Verteidigungsministerium.

Bleibt die Frage, warum Moskau die hochmoderne Rakete eigentlich einsetzt, anstatt derartige Ziele mit konventionelleren Waffen zu bekämpfen. Es wird spekuliert, dass der Kreml, den Nachschub-Probleme plagen, einfach keine andere Munition als Alternative hatte.

Ein Container als «potenzielle Goldmine»

Und nun haben ukrainische Soldaten erneut etwas entdeckt, bei dem man sich fragen muss, warum der Kreml es ins Kriegsgebiet geschickt hat – denn ihre Beute ist «eine potenzielle Goldmine» für Geheimdienste, schreibt «The Drive». Es geht nicht um einen smarten Marschflugkörper oder einen neuartigen Jet, sondern etwas äusserlich recht Unscheinbares: einen Container.

Entscheidend ist natürlich der Inhalt, der Container ist vollgestopft mit elektronischem Gerät. Es ist eine Komponente der Krasukha-4, die in den 90ern entwickelt worden ist, aber erst seit 2010 produziert wird. Es handelt sich um ein System zur elektronischen Kriegsführung. Konkreter: Krasukha-4 kann das Radar von Awacs- und anderen Flugzeugen, aber auch von Raketen inklusive ihrer Zielerfassung oder Satelliten stören.

Das System besteht aus dem Container mit Kommandoposten und einer Art Radaranlage, die je auf einem vierachsigen Lastwagen stehen. Es wird überall dort platziert, wo es etwas zu schützen gibt: bei Raketenstellungen, Kommandoposten oder wichtigen Gebäuden.

Ein anderes Bild der Krasukha-4: Der hintere Laster hält den Kommandoposten-Container.
Ein anderes Bild der Krasukha-4: Der hintere Laster hält den Kommandoposten-Container.
Archivbild: Russisches Verteidigungsministerium

Warum die jetzt von den ukrainischen Soldaten wiederentdeckte Hälfte aufgegeben wurde, ist unklar. Der Container lag auf der Seite und war mit Laub und Ästen bedeckt. Es gibt leichte Beschädigungen an einer Ecke, die Türen des Containers fehlen.

Für westliche Geheimdienste ist die Krasukha-4 interessant, weil sie den Mechanismus erforschen und eigene Radargeräte und Zielerfassungen auf ihn vorbereiten können. Die Software dürfte darauf abgeklopft werden, ob es Hintertürchen gibt, die per Cyberangriff ausgenutzt werden können.