Gas-Lecks in der Ostsee Das ist über die beschädigten Pipelines bekannt

Von Stefan Michel

29.9.2022

Inzwischen sind es vier Lecks, aus denen russisches Gas in die Ostsee strömt. Erst wenn die Pipelines leer sind, kann die Untersuchung am Ort des Geschehens beginnen.
Inzwischen sind es vier Lecks, aus denen russisches Gas in die Ostsee strömt. Erst wenn die Pipelines leer sind, kann die Untersuchung am Ort des Geschehens beginnen.
Keystone

Wie gross ist der Schaden, den das ausströmende Gas anrichtet? Wer kommt für die mutmasslichen Sabotageakte in Frage und mit welchem Interesse? Fragen und Antworten zu den Lecks von Nordstream 1 und 2.

Von Stefan Michel

Inzwischen sind vier Lecks bekannt, aus denen Gas in die Ostsee und schliesslich in die Luft strömt. Zuletzt hat auch die NATO Sabotage als plausibelste Erklärung genannt, für die kurz hintereinander auftretenden Lecks an zwei Pipelines. Zahlreiche westliche Experten sind bereits zum selben Schluss gekommen und auch der Kreml geht von «vorsätzlicher Schädigung» der Gasleitungen aus.

Viele Fragen stellen sich zu den Lecks und dem austretenden Gas. Nicht alle lassen sich schlüssig beantworten. blue News trägt zusammen.

Warum strömt Gas aus einer abgeschalteten Pipeline?

Auch wenn kein Gas durch die Pipelines fliesst, sind sie damit gefüllt gewesen, um den Druck aufrechtzuerhalten. Zudem hätten sie so schneller wieder in Betrieb genommen werden können.

Wie schädlich ist das ausströmende Erdgas für die Umwelt?

Erdgas besteht zum grössten Teil aus Methan. Dieses ist für die Atmosphäre weit schädlicher als CO2. Allerdings löst sich ein Teil des Methans im Meerwasser und wird von Mikroorganismen zersetzt. Je tiefer der Druck, mit dem das Methan austritt, weil sich die Leitung entleert, desto weniger Methan erreicht die Wasseroberfläche.

Das Umweltbundesamt rechnet laut «Die Zeit» mit einem Methan-Ausstoss durch die Lecks in der Grössenordnung von 1 Prozent der jährlichen Klima-Emissionen Deutschlands.

Wie kann es gestoppt werden?

Der Gashahn war schon vor dem Auftreten der Lecks zu. Abdichten lassen sich die Rohre aber erst, wenn kein Gas mehr austritt. Es bleibt also nichts, als zu warten, bis der Gasstrom versiegt.

Wie könnten die Lecks entstanden sein?

Seismographen haben Erschütterungen aufgezeichnet, die sehr wahrscheinlich von Explosionen herrühren. Ein weiteres Indiz für Sabotageakte.

Die «Neue Zürcher Zeitung» zitiert den ETH-Sicherheitsforscher Mauro Gilli mit der Aussage, dass der Betreiber der Pipeline die Möglichkeit hätte, einen Roboter im Innern der Rohrleitungen an die gewünschte Stelle zu schicken und dort die Explosion auszulösen. Infrage käme ein Reinigungsroboter, der gemäss Deutsche Presseagentur bei Nordstream 1 und 2 zum Einsatz kommt.

Dagegen spricht, dass die Ostsee äusserst genau überwacht wird. Grosse Unterseeboote wären vermutlich aufgefallen. Mini-U-Boote könnten hingegen beispielsweise unter einem Fischerboot zum Tatort vorstossen. So würde es auch nahezu unmöglich gemacht, das Vehikel akustisch zu verfolgen, was in der Ostsee generell gemacht wird.

Fanden die Explosionen im Innern der Pipelines oder ausserhalb statt?

Dies lässt sich vermutlich leicht feststellen, wenn eine Kamera zu den Lecks vorstösst. Dies wird aber gemäss der dänischen Premierministerin Mette Fredriksen erst möglich sein, wenn keine Gasblasen mehr die Sicht trüben. Das kann noch eine bis zwei Wochen dauern, wie die NZZ unter Berufung auf die dänische Verteidigungsministerin schreibt.

Wer kommt als Saboteur infrage?

Der technische Aufwand ist beträchtlich. Einige Beobachter halten nur staatliche Akteure für in der Lage, einen solchen Angriff auszuführen.

Die Frage ist, wer Nutzen aus den lecken Pipelines ziehen könnte. Es fällt auf, wie sich die EU und die USA mit Schuldzuweisungen zurückhalten. Polen und die Ukraine beschuldigen Russland. Der Kreml reagierte, indem er die USA verdächtigte. Beide Seiten haben ihre Beteiligung entschieden von sich gewiesen.

Polen und die Ukraine haben Nordstream seit Jahren bekämpft. Der polnische Europa-Parlamentarier und frühere Verteidigungsminister Polens, Radoslaw Sikorski, hat sich auf Twitter erfreut gezeigt über die beschädigte Pipeline.

Klar ist, durch die beiden Pipelines ist bereits seit Wochen kein Gas mehr nach Europa geflossen. Die «New York Times» weist darauf hin, dass von den insgesamt vier Leitungen – jede Pipeline besteht aus zwei parallel laufenden Rohren – eine noch intakt sei. Dem Kreml bleibt also noch eine Leitung, um sein Gas als Druckmittel einzusetzen.

Russland hält sein Gas zurück, die EU-Länder und ihre Verbündeten arbeiten daran, von russischem Gas unabhängig zu werden. Nordstream 1 und 2 unbrauchbar zu machen, scheint in dieser Situation wie das endgültige Durchtrennen einer Verbindung, die beide Seiten ohnehin nicht aufrechterhalten wollen.

Geht es gar nicht um Nordstream?

Wer auch immer hinter dem Sabotageakt steckt, könnte damit auch demonstrieren wollen, dass er in der Lage ist, andere Infrastruktur auf dem Meeresboden anzugreifen, zum Beispiel Internet-Kabel.

Zudem ist diese Woche eine neue Gaspipeline von Norwegen nach Polen in Betrieb gegangen. Möglich, dass sich ihre Nutzniesser unsicher fühlen sollen, aber auch reine Spekulation.