US-Wahlkampf«Wählt Biden»-Rufe aus Floridas Senioren-Mekka
dpa
14.10.2020
Im swing state Florida könnte die wichtige Wählergruppe der Senioren Donald Trump diesmal den nötigen Rückhalt verweigern. Vor allem der Umgang des Präsidenten mit der Corona-Pandemie sorgt für Unmut.
Sara Branscome steuert in ihrem Golf-Caddy über den gepflegten Weg von The Villages zum Treffpunkt am «Sea Breeze»-Zentrum der noblen Senioren-Ortschaft.
An die 500 Frauen und Männer aus dem grössten Rentner-Ruhesitz des Landes kommen hier in ihren Golf-Mobilen zusammen, um gemeinsam zum Wahllokal zu fahren und ihre Stimme bei der US-Präsidentenwahl abzugeben. Und zwar für Joe Biden, den demokratischen Herausforderer von Amtsinhaber Donald Trump.
«Wählt Biden!», ruft die 60 Jahre alte Rentnerin Branscome inmitten ihrer gleichgesinnten Altersgenossen und -genossinnen. An ihrem Caddy prangen zwei US-Flaggen, andere Karts sind mit Ballons und Wimpeln geschmückt. «Das macht jung und bereit für den nächsten Monat», sagt Branscome mit Blick auf den Wahltag am 3. November. «Es macht Hoffnung.»
Der Aufmarsch der Senioren im traditionell konservativen The Villages scheint überraschend und sendet ein ungewohntes Signal des Protestes an Trump. Schliesslich waren es auch die älteren Wähler, die ihm vor vier Jahren ins Weisse Haus verhalfen. Nach Schätzungen des Pew-Forschungszentrums lag Trump in der Wählerschaft über 65 rund neun Prozentpunkte vorn.
Und seine Wahlmannschaft hoffte, dass die Altersgruppe auch diesmal eine verlässliche Stütze für Trump sein würde. Die Älteren machen einen guten Teil der Wähler aus. Pew-Schätzungen zufolge ist fast jeder vierte der wahlberechtigten Amerikaner diesmal mindestens 65 Jahre alt. Das ist der höchste Wert seit 1970, seit entsprechende Aufzeichnungen erfasst werden.
Kritik am Pandemie-Management
In Florida sind 29 Prozent der registrierten Wähler 65 oder älter. Der Präsident hat bei älteren Wählern weiterhin einen soliden Anteil an Unterstützern, doch auch die Recherchen von Trumps Wahlkämpfern zeigen einen Rückgang, wie aus Kreisen des Wahlteams verlautet. Einige öffentliche Umfragen sehen Joe Biden schon gleichauf oder sogar auf der Überholspur.
Viele Senioren, so scheint es, nehmen Trump den Umgang mit der Corona-Pandemie übel. Schon bei den täglichen Briefings des Präsidenten im Frühjahr sahen sie wenig Kompetenz im Umgang mit der Krise und dem Virus, das vor allem die Älteren besonders schlimm treffen kann. Wie der 74-Jährige nun mit seiner eigenen Infektion umging, hat viele weiter alarmiert und verärgert.
Sie fragen sich: Wenn der Präsident nicht einmal für seinen Schutz und den seines Umkreises sorgt, wie soll dann Vertrauen entstehen, dass er die noch viel Verletzlicheren in der Gesellschaft schützt? Mit den jüngsten Entwicklungen sind auch die Themen wieder in den Hintergrund getreten, mit denen Trump in den vergangenen Monaten bei älteren Mitbürgern zu punkten suchte – wie etwa Recht und Sicherheit oder Medikamente auf Rezept.
Bedrohung für das Weisse Haus
Gerade in Florida, wo viele ältere Wähler leben, liess Trump sich zudem regelmässig sehen, um für sich zu werben. Denn ein Einbruch bei den Wählerstimmen könnte in nur wenigen Staaten so starke Auswirkungen haben wie in Florida. Der Staat ist für seine knappen Rennen bekannt, und wenn nun die vermeintlich verlässliche Gruppe der älteren Wähler wankt, könnte das den Verbleib Trumps im Weissen Haus schnell bedrohen.
Dafür könnte selbst ein leichter Umschwung in der Wählergruppe reichen. Wie stark sich die Signale aus The Villages umrechnen lassen, ist unklar, aber sie sind ein klares Zeichen. In dem Ort, als Inbegriff des Traums von einer goldenen Rentnerzeit gebaut, liegt das Durchschnittsalter bei 66. Politisch gilt der Ort eigentlich als konservativer Rückhalt und als eine Station, die kein republikanischer Bewerber im Wahlkampf auslassen darf. Erst am Samstag kam Vizepräsident Mike Pence vorbei.
Nur wenige Tage zuvor vermittelten Sara Branscome und ihre Mitstreiter aber eine ganz andere Stimmung aus der 114'000 Einwohner starken Ortschaft. Es sei ja nicht so, dass es 2016 keine Anhänger der Demokratin Hillary Clinton gegeben habe, sagt der Präsident der demokratischen Anhänger in The Villages, Chris Stanley. «Aber jetzt herrscht ein grösseres Gefühl von Dringlichkeit», erklärt er. «Und auf vielerlei Weise hat sich Trump als unser bestes Anwerbemittel erwiesen.»
«Das ist die Gruppe, die Trump verlässt»
The Villages sei über die Jahre hinweg weniger republikanisch gesinnt geworden, meint die Politikexpertin Susan MacManus von der University of South Florida. Sie macht dies am Zuzug liberaler eingestellter Senioren aus dem Nordosten der USA fest. Auch landesweit sieht MacManus ein Abbröckeln von Trumps Basis in der Gruppe der Älteren, vor allem bei Frauen.
«Das ist die Gruppe, die Trump verlässt», sagt die Professorin. «Und das liegt an seinem Verhalten, mehr als an seiner Politik.» Die Wählerinnen nähmen eine Erniedrigung von Frauen nicht mehr hin. «Und mehr noch denken sie an ihre Kinder und Enkel.» So wie Joan Morrill, die in The Villages beim Biden-Aufgebot per Golf-Caddy dabei ist. Früher wählte die 76-Jährige die Republikaner, jetzt ist sie umgeschwenkt.
«Wir können so nicht leben», sagt sie, auch mit Blick auf den Umgang der Regierung mit der Corona-Pandemie. Für ihre vier Kinder und sieben Enkel wünsche sie sich eine bessere Welt, betont die Grossmutter. Wie Trump mit dem Virus und seiner Infektion umgegangen sei, sei unverschämt. «Er ist ein schlechtes Vorbild», sagt Morrill. «Es fühlt sich an wie eine Lüge nach der anderen.»