Neuseeland in Trauer vereint Vom Ende einer Idylle – Christchurch am Tag danach

Peter Godfrey und Christoph Sator, dpa

16.3.2019

Ein Mann legt Blumen nieder an einer behelfsmässigen Gedenkstelle an der Ecke Deane Avenue und Riccarton Avenue, nur 400 Meter von der Al-Nur-Moschee entfernt.
Ein Mann legt Blumen nieder an einer behelfsmässigen Gedenkstelle an der Ecke Deane Avenue und Riccarton Avenue, nur 400 Meter von der Al-Nur-Moschee entfernt.
Bild: Peter Godfrey/dpa

Es wird noch lange dauern, bis die Leute in Christchurch verkraftet haben, was bei ihnen geschah. Die ganze Stadt trauert nach dem Anschlag um die 49 Todesopfer. Wie soll es nun weitergehen?

Das sind jetzt wieder die Tage der Blumensträusse, der Kerzen, der Plüschtiere, der handgeschriebenen Zettel. So wie das die Leute in Christchurch von früheren Gelegenheiten aus dem Fernsehen kannten, nach Terroranschlägen in europäischen oder amerikanischen Metropolen. Nur dass sie jetzt auf ihrer eigentlich so friedlichen Insel so weit entfernt im Pazifik selbst betroffen sind.

Überall in der neuseeländischen 350 000-Einwohner-Stadt Christchurch wird an diesem Samstag der 49 Toten des mutmasslich rechtsextremistischen Anschlags auf zwei Moscheen gedacht: vor den beiden Gotteshäusern selbst, an den Absperrungen, die die Polizei immer noch nicht freigeben will, und auch vor den verschiedenen Krankenhäusern, wo immer noch 39 Menschen wegen teils schlimmer Schussverletzungen in Behandlung sind.

«Das ist Eure Heimat»

Viele zieht es zur Al-Nur-Moschee, wo der Attentäter die meisten Gläubigen erschoss: 41 Tote allein hier. An einem Gitter hängt nun eine Zeichnung: eine Frau mit Dutt und eine Frau mit Kopftuch, die sich umarmen. Darunter steht: «Das ist Eure Heimat. Ihr hättet hier sicher sein sollen. Mit Liebe für unsere muslimische Gemeinschaft.» Dazu viele Namen und ein Dutzend selbstgemalte Herzchen.

Einer der Passanten, ein Einwanderer aus Bangladesch namens Mohammed Lidon Biswas, war am Freitag selbst auf dem Weg in die Al-Nur-Moschee. Als er die Schüsse hörte, blieb er stehen. Dann sah er Tote. Biwas ist immer noch fassungslos. In den sieben Jahren, die er nun schon in Christchurch lebe, habe er kein einziges Mal so etwas wie Hass auf Muslime erlebt. «Bis gestern haben wir gedacht, Neuseeland sei der Himmel auf Erden.»

Unter den muslimischen Opfern sind auch Flüchtlinge, auch aus Syrien. Die Familie von Khaled Mustafa zum Beispiel hatte gehofft, nach all dem Leid zu Hause eine sichere neue Heimat gefunden zu haben. Am Freitag war die Familie in der Al-Nur-Moschee. Jetzt ist der Vater tot. Einer der Söhne gilt offiziell als vermisst. Befürchtet wird, dass er zu den Toten gehört, die noch nicht identifiziert werden konnten. Ein anderer Sohn wurde sechs Stunden lang operiert.

Surreale Atmosphäre

Aus einer der Mauern des nahe gelegenen Botanischen Gartens ist nun eine Art Klagemauer geworden. Greg (27), seit anderthalb Jahren in Christchurch zuhause, spricht von einer «surrealen Atmosphäre». «Wir haben immer gedacht, dass so etwas im verschlafenen Neuseeland nie passiert. Und schon gar nicht in Christchurch.» Hoffentlich würden nun die Waffengesetze verschärft. «In Amerika passiert so etwas und nichts ändert sich. Hoffentlich unternimmt die Regierung etwas.»

Die Strasse zur Linwood-Moschee, wo sieben Menschen getötet wurden, wird von der Polizei abgesperrt. Menschen haben dort ein provisorisches Denkmal mit Blumen errichtet.
Die Strasse zur Linwood-Moschee, wo sieben Menschen getötet wurden, wird von der Polizei abgesperrt. Menschen haben dort ein provisorisches Denkmal mit Blumen errichtet.
Bild: Pj Heller/ZUMA Wire/dpa

Tatsächlich hat Premierministerin Jacinda Ardern, noch in der Hauptstadt Wellington, schon angekündigt, dass es schwerer werden soll, an Waffen zu kommen. Der mutmassliche Täter, ein 28 Jahre alter Australier, hatte ganz legal einen Waffenschein. Jetzt ist Ardern ebenfalls in Christchurch, mit dem Lebensgefährten und der noch nicht einmal ein Jahr alten Tochter. Ardern trägt Schwarz. Beim Treffen mit Vertretern der muslimischen Gemeinde hat sie ein Tuch auf dem Kopf.

Die Premierministerin sagt: «Neuseeland ist in Trauer vereint.» Aber alle ahnen auch, dass die Tat das Land verändern wird. Bislang war der Fünf-Millionen-Einwohner-Staat von Amokläufen und Terrorangriffen weitgehend verschont geblieben. Das heile Image als «stolze Nation mit 200 Ethnien und 160 Sprachen» ist nun dahin.

Ein paar Kilometer weiter wird der mutmassliche Täter zum ersten Mal einem Richter vorgeführt. Der 28-jährige Australier, früher einmal Fitnesstrainer, trägt weisse Häftlingskleidung und Handschellen. Er ist barfuss. Aufrecht guckt er in die vielen Kameras. Mit der Hand macht er das «Okay»-Zeichen, so wie das im englischsprachigen Raum verbreitet ist: Daumen und Finger zusammen, die anderen Finger abgespreizt. Manche sehen darin auch einen rechten Gruss.

Nach allem, was man bislang weiss, war der Attentäter bei seinem extrem brutalen Werk in den beiden Gotteshäusern allein zugange. Fünf Schusswaffen hatte er insgesamt dabei. Das Video seiner Helmkamera, mit der das Geschehen live ins Internet übertragen wurde, dauert insgesamt 17 Minuten. Jetzt erwartet ihn ein Prozess wegen vielfachen Mordes mit dem absehbaren Urteil lebenslange Haft. Nächster Termin vor Gericht ist am 5. April.

Laut Polizei vergingen vom ersten Alarm bis zur Festnahme 36 Minuten. Als ein Polizeiauto den Fluchtwagen rammte, war die 18-jährige Hannah, eine Deutsche aus der Nähe von Duisburg, ganz in der Nähe. Mit einer Freundin fuhr sie an der Szene vorbei, wunderte sich, dass sich die Räder noch drehten und dachte an einen Unfall. «Erst als wir später ganz allein auf der Strasse waren und eine Frau uns anschrie, wir sollten uns in Sicherheit bringen, haben wir kapiert.»

Hannah, die nach dem Abitur im vergangenen Jahr seit August in Neuseeland unterwegs ist, rettete sich dann in ein Café. Dort blieb sie ein paar Stunden. Am Samstag wagte sie sich zurück in die Innenstadt. Viele Leute sind dort nicht. Die meisten Geschäfte blieben den ganzen Tag über geschlossen. «Die Neuseeländer sind immer noch sehr hilfsbereit», meint Hannah. «Aber sie sind jetzt auch sehr in sich gekehrt.»


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