Coronakrise in den USA Neue Taktik – warum Trump nun nicht mehr Vogel Strauss spielt

Philipp Dahm

30.3.2020

Die Corona-Krise hat die USA voll erfasst, selbst Donald Trump merkt's. Der US-Präsident befürchtet nun mindestens 100'000 Tote – und gewinnt doch an Popularität. Strohfeuer oder nicht?

Es ist erstaunlich, was Donald Trump da am Sonntagabend auf dem Rasen vorm Weissen Hauses von sich gibt. Nicht wegen des Inhalts seiner Rede – jeder, der sich mit der Corona-Krise beschäftigt, wird das Gesagte nachvollziehen können. Doch zunächst – das hat Trump gesagt:

«Die Rechenmodelle sagen voraus, dass der Höhepunkt der Todesrate in zwei Wochen kommen wird. Ich sage es noch einmal: Die Spitze, also der höchste Punkt der Todesrate …», sagt Trump stöhnend ins Mikrofon – und er macht mit dem Arm eine wellenartige Bewegung, dann murmelt er: «Ihr erinnert euch … trifft uns wahrscheinlich in zwei Wochen. Nichts wäre schlimmer, als den Sieg zu erklären, bevor der Sieg gewonnen wurde – das wäre die grösste Niederlage von allen.»

Dass dies ausgerechnet aus dem Mund des 73-jährigen New Yorkers zu hören, ist seltsam gewesen, weil Donald Trump erstmals seit Ausbruch der Coronakrise einräumt, dass diese ein Problem ist. Dass er dann aber auch nicht davor warnt, sich nicht zu früh zu freuen, ist schlicht absurd – denn der Präsident selbst hat noch vor Kurzem getönt, die Seuche sei unter Kontrolle.

Und vergangene Woche wollte er noch, dass sich alle Amerikaner an Ostern in der Kirche wiedersehen. Nun verlegt er in diesen Zeitraum den Scheitelpunkt der anschwellenden Welle von Toten, die es noch geben dürfte: Der Traum von einem nationalen «Friede, Freude, Ostereier»-Fest dürfte geplatzt sein.

Republikaner als bessere Krisenmanager?

Dass sich der Mann aus dem Weissen Haus bis zum Wochenende beharrlich weigerte, die Krise als solche anzuerkennen, scheint seiner Popularität aber keinen Abbruch getan zu haben. Seine Zustimmungsrate ist jüngsten Umfragen zufolge um rund drei Prozent gestiegen.

«Realität akzeptiert»: Donald Trump mit Dr. Anthony Fauci bei einer Pressekonferenz am 29. März in Washington.
«Realität akzeptiert»: Donald Trump mit Dr. Anthony Fauci bei einer Pressekonferenz am 29. März in Washington.
Bild: Keystone

Wer sich die Karte der Johns Hopkins University ansieht, stellt zudem fest, dass in republikanisch regierten Regionen auffallend wenige Infektionen auftauchen, während die Demokraten-Staaten ihre traditionelle Rotfärbung auch dann behalten, wenn es um Covid-19-Erkrankungen geht.

Sind die Republikaner also die besseren Krisenmanager?

Covid-19-Erkrankungen in den USA: In den «blue states», die 2016 Trump gewählt haben, gibt es scheinbar weniger Infektionen – abgesehen von Florida und Pennsylvania.
Covid-19-Erkrankungen in den USA: In den «blue states», die 2016 Trump gewählt haben, gibt es scheinbar weniger Infektionen – abgesehen von Florida und Pennsylvania.
 Karte: Johns Hopkins University

Wer diese Schlussfolgerung zieht, vernachlässigt zwei Aspekte: Zum einen hängt die Zahl der nachgewiesenen Infektionen entscheidend damit zusammen, wie viel getestet wird. Und das wird von der Lage auf dem freien Markt beeinflusst: Weil das Gesundheitswesen nicht in den Machtbereich Washingtons fällt, konkurrieren die einzelnen Bundesstaaten beim Kauf von medizinischem Bedarf wie Beatmungsgeräten, Mundschutz oder eben auch Conoravirus-Tests.

Grösse, Dichte und Internationalität

Zum anderen ist die Bevölkerungsgrösse ein entscheidender Faktor. South Dakota, das zum Trump-Lager zählt, hatte 28 Fälle, während Virginia – dort lag bei der letzten Wahl Hillary Clinton vorn – 254 Infektionen zur selben Zeit nachweisen konnte. Aber in dem Staat im Mittleren Westen leben auch nur geschätzt 880'000 Personen, während es im Tabakland an der Ostküste gut 8,5 Millionen sind.

Bad News: Trump am 29. März im Weissen Hause.
Bad News: Trump am 29. März im Weissen Hause.
Bild: Keystone

Wenn es um eine Pandemie geht, spielt natürlich eine Rolle, wie nahe sich eine Bevölkerung kommt: Bei der Populationsdichte haben die ersten sieben Staaten allesamt demokratisch gewählt, bevor mit Florida, Pennsylvania und Ohio drei republikanisch gesinnte Staaten die Top Ten vervollständigen.

Abschliessend ist naheliegend, dass Staaten mit hoher Strahlkraft und internationaler Durchmischung von Covid-19 überproportional betroffen sind – und Kalifornien, Washington, New York und New Jersey, der Vorort des Schmelztiegels, haben 2016 samt und sonders Clinton gewählt. Wer daraus schliessen wollte, die Seuche sei deshalb ein demokratisches Problem, müsste auch annehmen, das neue Coronavirus mache an einer Landesgrenze halt.

100'000 bis 200'000 Todesopfer befürchtet

«Was wir wissen« warnt dann auch Anthony Fauci in einem Interview mit CNN, «wir haben ein sehr ernstes Problem in New York, wir haben ein ernstes Problem in New Orleans, und wir werden auch in anderen Gegenden ernste Probleme bekommen.»

Der oberste Epidemiologe der USA rechnet landesweit mit 100'000 bis 200'000 Toten durch die Seuche – obwohl er sich nicht gern festlege, wie er es sagte, weil die Pandemie im Gange und nur schwer auszurechnen sei. 

Es ist wohl diesen Experten zu verdanken, dass Donald Trump nun offenbar «die Realität akzeptiert», wie CNN schreibt: Von seinem Vorhaben, öffentliche Restriktionen bis Ostern aufzuheben, ist er abgerückt. Die Aussicht, auf diesem Wege bis zu 2,2 Millionen Todesopfer zu riskieren, hat den Präsidenten augenscheinlich zur Vernunft gebracht.

Dazu dürften auch seine Umfragewerte beigetragen, die trotz drei Prozent mehr Zustimmung bescheiden ausfallen. Wenn Trump im November die Wahl gewinnen will, dann ist nun höchste Zeit gewesen, die Vogel-Strauss-Taktik zu überdenken.

Denn normalerweise ist der «Rally Round the Flag»-Effekt bei derlei Katastrophen grösser, wobei der nationale Burgfrieden gemeint ist, der meistens auf ein Unglück folgt.

Ein Ereignis wie 9/11 hat George W. Bush von 39 auf 90 Prozent Zustimmung katapultiert, wie National Public Radio erinnert. 

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