Late Night USA «Und uns wird nicht erlaubt, ihre Kulturstätten auch nur anzufassen?»

Von Philipp Dahm

7.1.2020

Unpolitischer Auftakt – Salma Hayek steht heute am Anfang aller Late-Night-Träume.
Unpolitischer Auftakt – Salma Hayek steht heute am Anfang aller Late-Night-Träume.
Screenshot: YouTube

Donald Trump versteht die Welt nicht mehr: Der Iraner tötet und metzelt, aber wenn er, der US-Präsident, iranischen Kultureinrichtungen mit Zerstörung droht, heulen gleich alle was von «Völkerrecht».

«The Late Show with Stephen Colbert» ist zurück aus der Winterpause – und er sei aufgeregt, dass es nun wieder losgehe, so beginnt der Gastgeber. Denn: «Gerade gab es ein bedeutsames Ereignis, dass die Welt erschüttert hat, also lasst uns gleich zur grossen Story kommen, über die alle reden: die 77. Verleihung der Golden Globes!» Wie bitte???

Colbert fährt fort: «Es war eine Nacht voll Glitzer und Glamour, und Gott steh’ uns bei, wir ziehen vielleicht in einen Krieg mit dem Iran!» Eben! Das ist doch das Thema. Oder doch nicht, Mister Colbert?

«Alle Stars gaben sich ein Stelldichein, als wir uns langsam immer näher auf den nächsten tragischen, nicht durchdachten militärischen Konflikt zubewegen. Mit dabei: Salma Hayek in einem Gucci-Kleid inklusive eines Ausschnitts, der nicht viel der Vorstellung überlässt. Es sei denn, man stellt sich einen unendlichen Quagmire im Nahen Osten vor!!!»

Zur Erklärung: Glenn Quagmire ist ein Sexbesessener aus der Zeichentrickserie «Family Guy», das Wort «quagmire» bedeutet gleichzeitig aber auch Morast.

Stephen Colbert – Iiiih, der hat Völkerrecht gesagt!
Stephen Colbert – Iiiih, der hat Völkerrecht gesagt!
Screenshot: YouTube

Völkerrecht

«Denn das ist es, Leute. Das ist es, was euch die letzten drei Jahre wachgehalten hat. Es waren nicht die ausgebeulten Anzüge, es war nicht der Covfefe, es war seine Fähigkeit, einen Krieg anzuzetteln, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Und niemand kann ihn stoppen!  Ach und: Glückwunsch an Awkwafina für den Golden Globe als beste Hauptdarstellerin.»

Dieser offenbar vorschnell abgeschickte Tweet Donald Trumps vom Mai 2017 prägte das Wort «covfefe».
Dieser offenbar vorschnell abgeschickte Tweet Donald Trumps vom Mai 2017 prägte das Wort «covfefe».

Was für ein Theater! Der Gastgeber gesteht, er sei ein wenig nervös, und der wahre Grund dafür ist natürlich die Liquidierung von Qassem Soleimani durch US-Drohnen in Baghdad – oder wie Colbert es ausdrückt: Die Krise mit dem Iran –­ im Irak – wegen des Iran. Präsident Donald Trump twitterte dazu dieses:

«Das Bombardieren von Kultureinrichtungen könnte ein Kriegsverbrechen sein», wendet Colbert ein und imitiert Donald Trump sodann: «Könnte ein Kriegsverbrechen sein? Was soll ich denn noch machen? Die Sphinx treten? Auf die Terrakotta-Armee pinkeln? Eine dieser Sachen habe ich nämlich schon getan. Und die andere auch.»

Trump: «So läuft das nicht»

Aussenminister Mike Pompeo hat dem Sender «ABC» jedoch verraten, es würden nur «rechtmässige» Ziele angegriffen – zu sehen ab Minute 4:39. Dumm nur, dass Donald Trump dieses Dementi höchstpersönlich ad absurdum geführt hat: Der US-Präsident sieht nämlich überhaupt nicht ein, warum diese kulturellen Einrichtungen passé sein sollten, schreibt die «Washington Post».

Gespaltene Zungen in Wadhington: Pompeo sagt dies, Trump sagt das.
Gespaltene Zungen in Wadhington: Pompeo sagt dies, Trump sagt das.
Screenshot: YouTube

Zitat: «Ihnen wird erlaubt, unsere Leute zu töten. Ihnen wird erlaubt, unsere Leute zu foltern und zu verstümmeln. Ihnen wird erlaubt, Sprengsätze am Strassenrand zu benutzen und unsere Leute hochzujagen. Und uns wird nicht erlaubt, ihre Kulturorte auch nur anzufassen? So läuft das nicht.»

Normalerweise müsse ein Präsident bei so einem Angriff die Demokraten und Republikaner im Kongress und Senat sowie die wichtigsten Mitglieder der Geheimdienstausschüsse der beiden Kammern informieren, doch die Opposition erfuhr von der Attacke durch die Medien.

Spoiler-Alert im Mar-a-Lago

Das könnte daran liegen, dass die Demokraten zu wenig im Mar-a-Lago sind, das ja dem US-Präsidenten gehört: Dort soll der 73-Jährige laut «The Daily Beast» an Silvester lautstark verkündet haben, er plane eine gewichtige Aktion in Sachen Iran, die «bald» erfolgen werde.

Wer nun glaubt, dass diese ganze internationale Krise absurder doch nicht werden könne, weiss wohl nicht, wie die Entscheidung zur Tötung Soleimanis zustande gekommen ist: Die «New York Times» berichtet, dass die Militärs Trump ein ganzes Bündel von Massnahmen vorgeschlagen hätten, bei der die Liquidierung des Generals in ihren Augen die extremste gewesen sei.

Letztere Variante würde der Oberbefehlshaber nicht wählen, glaubten die Generäle: Sie war angeblich ohnehin nur aufgeführt, um andere Optionen vernünftiger aussehen zu lassen.

«Wenn Ihr nicht wollt, dass er das wählt, bietet ihm das nicht zur Auswahl an», schimpft Colbert in Richtung Pentagon. «Ihr seid wie der Freund, der sagt: ‹Wieso hast du Schlussmachen gewählt? Das habe ich nur angeboten, damit du die Idee mit dem Dreier attraktiver findest.›»

«Dünn wie eine Rasierklinge»

Und Trump? Der tut so, als hätte er gar keine andere Wahl gehabt, wie der Clip ab Minute 8:20 beweist. Darin verkündet der 73-Jährige am 3. Januar: Auf seine Order hin sei «erfolgreich ein fehlerloser Präzisionsschlag» durchgeführt worden, der General Soleimani tötete – einen «Nummer-Eins-Terroristen überall auf der Welt».

Der Iraner habe böswillige Angriffe auf US-Diplomaten und -Militärs geplant, sei aber «in flagranti erwischt und terminiert» worden, so der Präsident. «Aber das Pentagon hat doch gesagt, der Angriff wurde durchgeführt, um zukünftige Attacken im Vorhinein zu vereiteln?», wundert sich Colbert. Zumal Insidern zufolge die Beweislage gegen Soleimani «so dünn sei wie eine Rasierklinge.»

Da werden Erinnerungen wach: Die Gemengelage lässt Colbert an 2003 denken, als George W. Bush in den Irak einmarschierte. Die Massenvernichtungswaffen, deren Vernichtung das Ziel dieses Krieges gewesen war, wurden nie gefunden. Vielleicht kommt Donald Trump ja auf die Idee, bald im Osten des Iraks nach dieser Büchse der Pandora zu suchen.

Late Night USA – Amerika verstehen

50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

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