Late Night USA «Niemand hat je mehr Leute niemals getroffen als Donald Trump»

Von Philipp Dahm

4.12.2019

Lauter Leute, die sich nicht kennen (von links): Donald Trump, Melania, Prinz Andrew und Jeffrey Epstein.
Lauter Leute, die sich nicht kennen (von links): Donald Trump, Melania, Prinz Andrew und Jeffrey Epstein.
Screenshot: YouTube

Während Donald Trump zuhause bloss Impeachment-Ärger am Hals hat, dürfte er beim NATO-Gipfel in London ganz entspannt sein. Von wegen: Der US-Präsident zettelt Zickenkrieg mit dem französischen Kollegen an.

Das Stockholm-Syndrom kann anscheinend auch den unbedarften Redaktor in der Schweiz treffen. Meint: Wenn anderswo in der Welt mal etwas passiert und der schwarze Peter für einmal nicht im Weissen Haus liegt, kann es sein, dass einem die Torheiten des Donald Trump plötzlich fehlen.

Natürlich passiert so etwas ausgerechnet dann, wenn die Krisenreaktionsteams ausgeflogen sind: Der Humor-Unterhändler Stephen Colbert hat ebenso Fernsehferien wie der Sondereinsatzkommandant Seth Meyers.

Es wäre vielleicht einmal die Chance, nicht-amerikanische Late-Night-Hosts vorzustellen: etwa die Kanadierin Lilly Sing, deren Inhalte amüsanter sind als die Stimme, mit der sie sie vorträgt. Oder den Briten James Corden. Allein: Auch die beiden haben Pause wegen der Thanksgiving-Feiertage.

Apropos Feiertage: So hässlich, pardon, festlich geht es Weihnachten im Weissen Haus zu. 
Apropos Feiertage: So hässlich, pardon, festlich geht es Weihnachten im Weissen Haus zu. 
Screenshot: YouTube

Zum Glück gibt es aber noch Late-Night-Stars, die einen mit dem stupiden Stoff versorgen, aus dem so ein Trump’sche Stockholm-Syndrom gestrickt ist – immerhin haben die verbalen Ausrutscher des US-Präsidenten trotz besinnlicher Feiertage ja keine Ferien. Nein, Jimmy Fallon ist nicht gemeint: Der arbeitet dieser Tage zwar, aber den können wir uns schenken, denn er schafft so wie immer – so, dass es niemandem wehtut.

Dabei gibt es genug Gründe, den Finger in die Wunde zu legen. Da wäre zum Beispiel Donald Trumps Tweet über eine Erklärung seines ukrainischen Kollegen, nach der es kein quid pro quo gegeben habe. Und wenn die Demokraten nicht so verrückt wären, wäre der ganze Impeachment-Unsinn damit auch vom Tisch, das findet zumindest der 73-Jährige.

«Danke für das Lösen des Falls, MAGAtha Christie! Tolles Argument», lacht Jimmy Kimmel in seiner Show. «Der Gedanke, dass Trump unschuldig ist, weil der Typ das gesagt hat, den er erpresst hat, ist lächerlich – sogar für Trump. Das ist, als würde er tweeten: ‹Breaking News: Der Schüler, dessen Geld fürs Zmittag ich gestohlen habe, sagt, er hat mir das Geld GEGEBEN, weil er meine Fäuste so bewundert›».

Fake-Tweet-News mit Jimmy Kimmel.
Fake-Tweet-News mit Jimmy Kimmel.
Screenshot: YouTube

Kimmels Präsident weilt derweil übrigens im London – wegen des NATO-Treffens. «Ich würde mein gesamtes Hab und Gut darauf verwetten, dass Donald Trump nicht weiss, wofür NATO steht. Warum fragt ihn das keiner?»

Und während den Amerikaner in Grossbritannien Proteste erwarten und sogar der populistische Premier Boris Johnson angesichts der Wahlen nächste Woche auf Abstand geht, glauben einer Umfrage zufolge 53 Prozent der Republikaner, Trump sei ein besserer Präsident als Abraham Lincoln.

So schön: Melania Trump setzt im stahlkalten Weihnachtslook des Weissen Hauses einige Farbtupf-Akzente.
So schön: Melania Trump setzt im stahlkalten Weihnachtslook des Weissen Hauses einige Farbtupf-Akzente.
Screenshot: YouTube

«Das ist, als würde man sagen: Masern sind besser als Glace», lacht Kimmel ungläubig. «Trump ist nicht einmal besser als [Schauspieler] Daniel Day-Lewis, der so tut, als wäre er Abraham Lincoln.»

Ein schönes Vergleichsvideo ist zwischen Minute 3:10 bis 4:05 zu sehen – und wer auf Weihnachtsdeko steht, die kalt und steril wirkt, dem sei noch der Clip mit Melania Trump aus dem Weissen Haus zwischen Minute 4:25 und 4:55 ans Herz gelegt.

Jimmy Kimmel vermutet eine subversive Botschaft hinter der Dekoration, kann aber nicht ausmachen, wie sie lauten könnte.
Jimmy Kimmel vermutet eine subversive Botschaft hinter der Dekoration, kann aber nicht ausmachen, wie sie lauten könnte.
Screenshot: YouTube

Nachdem Joe Biden im Anschluss für seinen Tourbus-Slogan für die Iowa-Wahl – «No Malarkey» (kein Scheiss) – belächelt wird, steht fest, dass Billy Bushs unrühmliches Gespräch mit Donald Trump von 2016 nicht mehr die peinlichste Car-Aktion eines Kandidaten ist.

Zur Erinnerung: Damals hatte Trump mit Blick auf die Frauen den Satz geprägt: «Grab ‘em by the pussy».- Zumindest aber ist das eine Sprache, die US-Jugendliche verstehen – im Gegensatz zu dem «Malarkey», mit dem Joe Biden um Wähler ringt.

In Grossbritannien angekommen wird Donald Trump ab Minute 2:05 nach Prinz Andrew gefragt – er kennt diesen nach eigenem Bekunden nicht. Nur: mehrere Bilder, die Kimmel im Anschluss zeigt, beweisen das Gegenteil. «Niemand hat je mehr Leute niemals getroffen als Donald Trump, sagt Kimmel lachend – und zeigt ab Minute 2:54 den Kenne-ich-nicht-Supercut.

Ein noch schönerer Clip wartet ab Minute 3:56 auf den Zuschauer: Donald Trump erklärt Emmanuel Macron beim NATO-Date in London den Krieg. Also fast – und er erklärt, warum er Frankreichs Steuern für die US-Online-Giganten Google und Facebook nicht gut findet. Das Ganze gipfelt in Trumps Aussage: «Wenn jemand amerikanische Firmen ausnimmt, sind wir das.» Oder wie Kimmel sagt: «Niemand schlägt meinen kleinen Bruder zusammen ausser mir.»

Das Impeachment-Verfahren interessiert Trump nach eigenem Bekunden nicht. Jimmy Kimmel zeigt Trumps Tweets zum Thema, das jener scheinbar ignoriert – aus den letzten 48 Stunden.
Das Impeachment-Verfahren interessiert Trump nach eigenem Bekunden nicht. Jimmy Kimmel zeigt Trumps Tweets zum Thema, das jener scheinbar ignoriert – aus den letzten 48 Stunden.
Screenshot: YouTube

Ab Minute 5:34 sehen wir dann den New Yorker in der nächsten Kampfrunde mit dem französischen Präsidenten: Trump nennt die jüngsten Bemerkungen Macrons, wonach die NATO wegen des fehlenden US-Engagements hirntot sei, «krass» und «ziemlich hässlich: Frankreich hat eine sehr hohe Arbeitslosenquote, und der Wirtschaft geht es nicht gut», sagt der US-Präsident Pressevertretern.

«Du kannst nicht einfach herumlaufen und solche Aussagen über die NATO machen. Das ist respektlos.»

Ab Minute 6:03 folgt der Zusammenschnitt, in dem Trump selbst kein gutes Haar an dem Bündnis lässt. Das Highlight aus dem Mund des politischen Spätzünders: «Die NATO ist überflüssig. Sie ist alt, fett und schlampig.»

Und wenn wir schon bei respektlos sind: Sehen Sie sich gefälligst noch ab Minute 9:22 an, wie Trump über seinen demokratischen Gegenspieler Adam Schiff spricht: «Er ist ein Verrückter. Er ist ein geistesgestörter Mensch. Er ist aus vielerlei Gründen, die offensichtlich sind, mit einem Komplex gross geworden – und ein sehr kranker Mann.»

Der Fairness halber sei noch nachgereicht, dass «The Daily Show with Trevor Noah» ebenfalls noch genau hinschaut, wenn ein Donald Trump einen Zickenkrieg mit seinem französischen Pendant anzettelt.

Was bei Kimmel untergegangen ist, sehen Sie hier ab Minute 3:58 – wie Trump Macron scheinheilig fragt: «Wollt Ihr nicht ein paar IS-Kämpfer haben?» – und nach der Antwort des Franzosen sagt Trump doch tatsächlich: «Deshalb ist er ein guter Politiker, denn das war eine der besten Nicht-Antworten, die ich je gehört habe.»

Macron beisst nach einigen Beleidigungen von Trump die Zähne zusammen, aber Trevor Noah weiss, wie es in dessen Seele aussieht.
Macron beisst nach einigen Beleidigungen von Trump die Zähne zusammen, aber Trevor Noah weiss, wie es in dessen Seele aussieht.
Screenshot: YouTube

Fazit und Diagnose: Wir hoffen, dass diese geballte Portion Pöbeleien vom US-Präsidenten auch Ihr, liebe Leserinnen und Leser, Stockholm-Syndrom vorerst gelindert hat.

Und nicht vergessen: viel trinken!

Wir sehen uns dann bei der nächsten Late-Night-USA-Visite.

Bilder des Tagres

Late Night USA – Amerika verstehen

50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

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