Hunderte meist maskierte Demonstranten haben am Samstag in Hongkong dem neu erlassenen Vermummungsverbot getrotzt.
In Hongkong ist der U-Bahn-Verkehr eingestellt worden – die Proteste hatten am Freitag zu Beschädigungen an den Anlagen geführt.
U-Bahn-Verkehr in Hongkong eingestellt
Hunderte meist maskierte Demonstranten haben am Samstag in Hongkong dem neu erlassenen Vermummungsverbot getrotzt.
In Hongkong ist der U-Bahn-Verkehr eingestellt worden – die Proteste hatten am Freitag zu Beschädigungen an den Anlagen geführt.
Das Vermummungsverbot in einem Rückgriff auf ein fast 100 Jahre altes koloniales Notstandsrecht verschärft die Spannungen in Hongkong. Die Regierung will weiter hart durchgreifen.
Hunderte meist maskierte Demonstranten haben am Samstag in Hongkong dem neu erlassenen Vermummungsverbot getrotzt. Bei einem ungenehmigten Marsch durch ein Einkaufsviertel protestierten sie gegen Polizeibrutalität und die Regierung.
Nach den schweren Ausschreitungen am Freitagabend sprach Regierungschefin Carrie Lam von einer «sehr dunklen Nacht». Die Proteste waren im Laufe des Abends eskaliert und in Chaos umgeschlagen.
Radikale Kräfte bauten Strassenblockaden, warfen Brandsätze, demolierten U-Bahnstationen und Geschäfte. «Die Stadt ist heute halb gelähmt», sagte Lam. Die Regierung werde mit «äusserster Entschlossenheit» gegen Gewalt vorgehen.
Demokraten ziehen vor Gericht
Das prodemokratische Lager machte einen neuen Versuch, das Vermummungsverbot und insbesondere die Berufung auf das fast 100 Jahre altes Notstandsgesetz aus der Kolonialzeit gerichtlich anzufechten. Das heute geltende Grundgesetz, die Mini-Verfassung der chinesischen Sonderverwaltungsregion, erlaube es der Regierungschefin nicht, solche Vorschriften zu erlassen, wurde argumentiert.
Das gelte erst recht, wenn diese Regelungen wie jetzt beim Vermummungsverbot auch Strafverfolgung umfasse, hiess es in dem Antrag. Das Oberste Gericht will sich schon am Sonntag mit der Eingabe befassen. Es hatte allerdings schon am Freitagabend einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen das Verbot abgelehnt.
Verschärfte Spannungen
Eigentlich waren an diesem Wochenende in der chinesischen Sonderverwaltungsregion kaum Proteste geplant. Doch die überraschende Verhängung des Vermummungsverbotes mit einem Rückgriff auf das koloniale Notstandsgesetz hat die Spannungen wieder verschärft. Es gibt Regierungschefin Carrie Lam noch viel weiter reichende Vollmachen.
In einem ungewöhnlichen Schritt war das U-Bahnnetz, das sonst täglich Millionen von Passagieren transportiert, auch am Samstag zunächst stillgelegt. Der Dienst auf allen Linien war am Vorabend gestoppt worden, weil Randalierer Stationen demoliert und Brände gelegt hatten. Auch der Airport Express fuhr erst am frühen Nachmittag Ortszeit wieder von der Innenstadt zum internationalen Flughafen.
Aus Angst vor neuen Ausschreitungen blieben am Samstag viele Einkaufszentren geschlossen. Auch hatten Geschäfte und Banken zu, die Beziehungen zu China haben und deswegen zum Ziel von Protestaktionen werden könnten. Selbst der legendäre Hongkonger Jockey Club sagte alle Pferderennen ab. In sozialen Netzwerken gab es Aufrufe zu neuen Demonstrationen, aber auch den Vorschlag, «einen Tag Pause» einzulegen.
Schuss in Oberschenkel
Nachdem am Dienstag erstmals ein Demonstrant angeschossen worden war, gab es ein zweites Schussopfer bei den Protesten. Ein erst 14-Jähriger wurde von einem Polizisten angeschossen. Die Kugel traf seinen Oberschenkel.
Während es zunächst geheissen hatte, der Polizist sei nicht im Dienst gewesen, teilte die Polizei in der Nacht mit, ein Beamter in Zivil habe «einen Schuss in Selbstverteidigung» abgegeben. Sein Leben sei ernsthaft bedroht gewesen. Er sei von einer «grossen Gruppe von Aufrührern» angegriffen worden.
In einem Video in sozialen Netzwerken war zu sehen, wie der Polizist verprügelt wurde. Dann wurde ein Brandsatz auf ihn geworfen, der ihn kurz in Flammen hüllte. Doch konnte er dem Feuer entkommen. Ihm entglitt die Waffe. Er holte sie jedoch vom Boden zurück, bevor ein Demonstrant sie aufgreifen konnte. Er verlor aber sein Magazin. Als der Beamte im Gesicht blutend versuchte, über das Handy Hilfe zu rufen, landete ein weiterer Brandsatz brennend vor seinen Füssen.
Vermummungsverbot seit Mitternacht
Das Vermummungsverbot gilt seit Mitternacht. Es dürfte jedoch erst langsam umgesetzt werden, weil die Polizisten noch instruiert werden müssen, wie sie vorgehen sollen.
Experten zeigten sich auch skeptisch, ob es radikale Demonstranten abschreckt. Sie hätten sich trotz angedrohter Haftstrafen bei illegalen Versammlungen nicht davon abhalten lassen, auf die Strasse zu gehen, wenn Protestmärsche verboten worden waren, wurde argumentiert.
Obwohl für den Bann das fast 100 Jahre alte Notstandsgesetz bemüht wurde, betonte Regierungschefin Lam, dass sie nicht den Notstand ausrufe. Auch sei Hongkong nicht in einem Notstand. Das Gesetz «für Notfälle und bei öffentlicher Gefahr» hatten die britischen Kolonialherren 1922 erlassen und nur zweimal angewandt wurde: Um im selben Jahr einen Streik von Seeleuten niederzuschlagen sowie 1967 bei Unruhen prokommunistischer Kräfte.
Weitere Notstandsmassnahmen möglich
Das Gesetz unter Kapitel 241 ermöglicht weitere Notstandsmassnahmen, «die als notwendig im öffentlichen Interesse betrachtet werden». Ausdrücklich genannt werden unter anderem Zensur, erleichterte Festnahmen und Haftstrafen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme und die Unterbrechung von Kommunikationsnetzwerken.
Justizministerin Theresa Cheng wollte nicht ausschliessen, dass die Regierung mit Hilfe des Notstandsrechtes noch weitere Schritte beschliessen könnte, wie die «South China Morning Post» berichtete. Genannt wurden unter anderem längere Haftzeiten für Festgenommene. Bisher wurden mehr als 2000 Demonstranten festgenommen. Viele sind auf Kaution auf freiem Fuss, bis sie vor Gericht erscheinen müssen.
Seit der Rückgabe 1997 an China wird die frühere britische Kronkolonie mit einem eigenen Grundgesetz nach dem Grundsatz «ein Land, zwei Systeme» autonom regiert. Die sieben Millionen Hongkonger stehen unter Chinas Souveränität, geniessen aber – anders als die Menschen in der kommunistischen Volksrepublik – mehr Rechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit, um die sie jetzt fürchten.
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