Corona-Krise Trumps Feldzug gegen die WHO

dpa/tsha

20.5.2020

Den einen «Gegner» bekommt Donald Trump in der Corona-Krise nicht richtig zu fassen. Daher sucht sich der US-Präsident andere Ziele: China und die Weltgesundheitsorganisation. Was steckt hinter der Eskalation?

Es ist einer dieser gefürchteten nächtlichen Tweets. Am späten Montagabend (Ortszeit) veröffentlicht Donald Trump auf Twitter einen Brief an den Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus. Darin stellt der US-Präsident ein Ultimatum. Sollte sich die WHO binnen 30 Tagen nicht zu «wesentlichen Verbesserungen» verpflichten, werde er die Zahlungen der USA endgültig einstellen. Er droht sogar mit einem Austritt.

Eine Trumpsche Eskalation mitten in der Corona-Krise – pünktlich zur Jahrestagung der WHO. Schon vor einem Monat veranlasste er eine vorläufige Einstellung der US-Zahlungen. Damit löste er international Empörung aus. Nun treibt er die Auseinandersetzung auf die Spitze.

WHO habe den Tod vieler Menschen mitzuverantworten

Auf vier Seiten rechnet Trump ab: Die WHO sei Hinweisen auf den Coronavirus-Ausbruch anfangs nicht nachgegangen. Sei nicht früh genug eingeschnitten. Habe Informationen zurückgehalten. Sich Druck aus Peking gebeugt. Über Versäumnisse Chinas hinweggesehen. Stattdessen den Umgang des Landes mit der Pandemie gelobt. Nicht ausreichend über die Gefahren durch das Virus informiert. Falsche Ratschläge gegeben. Kurzum: Die WHO habe den Tod vieler Menschen mitzuverantworten.

In der Corona-Krise tat sich Trump von Anfang an schwer damit, in dem Virus einen «Gegner» zu haben, der sich nicht durch seine üblichen Methoden, durch Verbalattacken, durch Drohungen mit kompletter Zerstörung, mit «Feuer und Zorn» und dergleichen einschüchtern lässt. Der Präsident suchte sich andere Ziele für Schuldzuweisungen und Angriffe dieser Art: die WHO und China.

Pandemie als geopolitisches Kräftemessen

So macht er die Pandemie zu einem geopolitischen Kräftemessen, während andere gerade in einer weltweiten Gesundheitskrise internationale Kooperation und Solidarität als einzigen Ausweg sehen. Die WHO ist die wichtigste Sonderorganisation der Vereinten Nationen im Gesundheitsbereich. Ihre Aufgabe ist die weltweite Koordination in allen Gesundheitsfragen. In einer Pandemie soll sie für den schnellen Austausch vno Informationen sorgen. Sie unterstützt Länder mit schwächeren Gesundheitssystemen mit Experten und Empfehlungen, aber auch durch Ausrüstung.



Für Trump ist die WHO ein willkommenes Ziel. So kann er seine Kritik an den Vereinten Nationen sowie am wachsenden Gewicht des Wirtschaftskonkurrenten Chinas vereinen. Seit Wochen wirft er Peking vor, die Gefahr lange vertuscht und so grossen Schaden und menschliches Leid über die Welt gebracht zu haben. Mehrfach behauptete er, China habe das Virus selbst in einem Forschungslabor in Wuhan freigesetzt («Es war entweder Dummheit, Inkompetenz oder es war absichtlich»). Belege lieferte er nicht. Die WHO wiederum beschimpft er seit Wochen als «PR-Agentur» und «Marionette» Chinas.

Kritiker werfen dem US-Präsidenten vor, er wolle mit seinem Feldzug gegen die WHO nur von eigenen Versäumnissen ablenken. Trump spielte die Gefahr durch das Coronavirus zu Beginn der Krise lange herunter. Gegner meinen, sein anfängliches Zögern habe dazu beigetragen, dass die USA inzwischen in absoluten Zahlen das weltweit am stärksten betroffene Land sind – mit mehr als 1,5 Millionen bekannten Corona-Infektionen und mehr als 90'000 Toten.

Fragwürdige Gesundheitsratschläge

Ausserdem tat sich Trump in den vergangenen Wochen mit fragwürdigen Gesundheitsratschlägen hervor. So regte er öffentlich an, Menschen im Kampf gegen Corona Desinfektionsmittel zu injizieren. Gerade erst offenbarte er, dass er selbst als Prophylaxe ein Malaria-Medikament einnimmt, zu dessen Wirksamkeit beim Coronavirus es bislang keine belastbaren wissenschaftlichen Belege gibt.



Die Corona-Krise hat die Arbeitslosenzahlen in den USA in schwindelerregende Höhen schnellen lassen. Experten warnen, dass der grössten Volkswirtschaft der Welt dieses Jahr der stärkste Wachstumseinbruch seit der Weltwirtschaftskrise vor fast 100 Jahren droht. Und das mitten im Wahlkampf. Trump tritt im November für eine zweite Amtszeit an. Also tut er das, was er zu tun pflegt, sobald er sich in die Enge getrieben fühlt: Er schlägt um sich.

Trump ist seit jeher kein Freund von Multilateralismus. Aus seiner Abneigung für die Vereinten Nationen, deren Unterorganisationen und andere internationale Verbünde macht er keinen Hehl. Er hat die USA auf einen gnadenlosen «America first»-Kurs geführt – «Amerika zuerst». Er bricht dabei routinemässig mit Konventionen, die zuvor als unverrückbar galten. Nun auch mit Blick auf die WHO. Was er sich konkret unter den geforderten «wesentlichen» Veränderungen bei der Organisation vorstellt, bleibt vage.

Auch andere Länder irritiert über WHO

Auch andere Länder wie Australien und Japan waren irritiert, dass die WHO China auch bei schleppender Herausgabe von Daten nicht kritisiert hat. Viele verlangen Reformen. Auch Jeremy Youde von der US-Universität Minnesota Duluth, der sich seit 15 Jahren mit der WHO beschäftigt, hält Reformen für erforderlich. «Aber die Länder, die zu langsame Reaktionen kritisieren, sind dieselben Länder, die ihr nicht die Flexibilität geben, die sie bräuchte, um agiler zu sein.» Sie hielten die Pflichtbeiträge seit Jahren so niedrig, dass fast 80 Prozent des Budgets aus freiwilligen Beiträgen bestehe, an die Länder Bedingungen knüpfen können.

Die WHO würde der Ausfall der US-Beiträge empfindlich treffen. Die USA sind der grösste Beitragszahler, sowohl bei den Pflicht- als auch bei den freiwilligen Beiträgen. Insgesamt haben die USA nach Angaben der US-Vertretung in Genf im vergangenen Jahr rund 453 Millionen US-Dollar an die WHO gezahlt. Das ist mehr als die beiden nächstgrössten Zahler Grossbritannien und Deutschland zusammen – und nach US-Berechnungen zehn mal so viel wie China.

Die Coronavirus-Krise: Eine Chronologie

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